Energieträger statt Energiequelle

03.11.2016EnergieErdgas, Sektorkopplung, Energiewende, GaswirtschaftDISKUSSIONSBEITRAG FÜR EINE ZUKUNFT DES GASSEKTORS

Lange wurde Gas aufgrund des relativ geringen CO2-Gehalts als ideale Brückentechnologie für die Energiewende gehandelt. Jetzt droht die Gaswirtschaft durch die zunehmende Elektrifizierung im Rahmen der zunehmend ambitionierteren Dekarbonisierungsziele „rechts überholt“ zu werden – mit zunehmender Unsicherheit für Geschäftsmodelle und Investitionen im Gassektor. Wir zeigen, dass eine solche Entwicklung nicht unabwendbar ist, wenn es der Gaswirtschaft gelingt, die vorhandenen Chancen clever zu nutzen. Dabei spielt die vorhandene Infrastruktur die zentrale Rolle. Zur Nutzung der Chancen ist aber ein Paradigmenwechsel in Politik, Regulierung und Gaswirtschaft notwendig – dessen Eckpunkte wir am Ende dieses Beitrags auflisten.
 


Gas musste sich im Markt von Beginn an stets gegen konkurrierende Energieträger behaupten: Seit der Gasifizierung stand es im mittelfristigen Wettbewerb zu anderen fossilen Energiequellen wie Heizöl. Dennoch hat sich Gas als Energiequelle in vielen Bereichen zum Marktführer entwickelt, z.B. im Wärmesektor mit einem Anteil von fast 50% im Wohnungsbestand.

Die Frage ist jedoch, wie lange diese Position noch gehalten werden kann, da Gas mittlerweile durch die Klimaschutzpolitik unter Druck gerät. Spätestens mit den Pariser Klimabeschlüssen von Dezember 2015 (COP21), die eine fast vollständige Dekarbonisierung des Energiesektors vorsehen, ist klar: der Ausstieg aus fossilen Energiequellen wird in allen Sektoren weiter voranschreiten.

Gas ist derzeit gut fürs Klima, aber das Klima zunehmend schlecht für Gas

Zwar ist Erdgas deutlich weniger CO2 intensiv als andere fossile Brennstoffe – so werden bei der Deckung des Haushaltswärmebedarfs durch Gas gegenüber Heizöl bei gleichem Verbrauch rd. 20% CO2 eingespart. Erdgas kann aber aufgrund der weiterhin vorhandenen Emissionen letztlich nicht zu einer vollständigen Dekarbonisierung beitragen. Damit ist unter Klimaschutzgesichtspunkten die Zukunfts¬perspektive für Gas ungewiss. Die Bundesregierung plant bis 2050 einen klimaneutralen Gebäudebestand zu haben und auch die EU verfolgt ambitionierte CO2-Vermeidungsziele: So erfordert das 80% CO2-Reduktionsziel der EU bis zum Jahr 2050 einen Rückgang des Erdgasverbrauchs auf rund ein Viertel – falls Erdgas nicht doch noch im großen Stil andere fossile Energieträger ersetzen kann.
 

-75% Notwendiger Rückgang im Erdgasverbrauch um bei aktuellen Energieträger-anteilen das 80% Ziel der EU bis 2050 zu erreichen.

Direkte Elektrifizierung statt Brückentechnologie?

Hinzu kommt, dass mit der zunehmenden Elektrifizierung von Sektoren („Power-to-Heat“ im Wärmesektor oder auch E-Mobility) eine Alternativtechnologie zunehmend an Verbreitung gewinnt, welche vermeintlich eine langfristige Perspektive zur vollständigen Dekarbonisierung liefern kann. Gelingt es, wie politisch geplant, die Stromerzeugung auf erneuerbare Energien umzustellen, wären damit auch alle elektrisch betriebenen Anwendungen emissionsfrei – zumindest soweit sich Nutzungsformen flexibilisieren und damit an eine schwankende Erzeugung aus Wind und Sonne anpassen lassen.

Angesichts dieser Szenarien scheint Erdgas als zwar CO2-arme aber weiterhin fossile Energiequelle auf verlorenem Posten – warum noch auf eine „Brückentechnologie“ setzen, wenn die CO2-freie Zukunft doch schon so nah scheint?

Existierende Infrastruktur – die oft übersehene Chance für Gas

Ist die Gasversorgung damit langfristig zukunftslos? Nicht unbedingt – und ökonomisch wäre dies auch nicht wünschenswert: Mit dem Gasnetz besitzt Deutschland eine leistungsfähige Fern- und Verteilnetzinfrastruktur inklusive großer Speicher. Eine einzige bestehende Ferngaspipeline kann die gleiche Energiemenge transportieren, wie 10 oder mehr parallele Stromhochspannungstrassen. Die vorhandenen Gasspeicher können soviel Energie speichern, wie in ganz Deutschland in 4 Monaten an Strom verbraucht werden. In den Verteilnetzen liegen rund 20 Mio. Hausanschlüsse zu den Endverbrauchern.

Durch die von der aktuellen Klimapolitik geschaffene Dynamik zu Ungunsten von Gas droht diese Infrastruktur überflüssig zu werden, obwohl gleichzeitig Politik und Gesellschaft über massive Ausbaupläne für Strominfrastruktur diskutieren. Die hitzige Debatte über notwendige Hochspannungstrassen läuft bereits seit längerem. Wenn die Visionen von der Elektrifizierung des Verkehrssektors (mit Ladesäulen auf allen Straßen und Stellplätzen) umgesetzt werden und zunehmend auf Elektroheizungen umgestellt wird, müssen auch die Stromverteilnetze und Leitungen in den Städten und Gemeinden massiv ausgebaut werden.

Es droht die Situation, dass Gasnetze brach liegen, während parallel in großem Ausmaß neue Stromleitungen verlegt werden. Dies wäre aus volkswirtschaftlicher Sicht offensichtlich keine sinnvolle Entwicklung.

Von der Energiequelle zum Energieträger

Die existierende Infrastruktur stellt eine große Chance dar, wie der Gassektor trotz (und vielleicht sogar gerade) angesichts der Dekarbonisierung auch langfristig seine Bedeutung halten kann. Dafür muss sich der Energieträger Gas von der fossilen Energiequelle Erdgas lösen und insbesondere die vorhandene Infrastruktur auch für eine klimaneutrale Nutzung erschlossen werden.

Gas als wandelbaren Energieträger nutzen wie Strom – nur mit Molekülen statt Elektronen!

Bereits heute existieren Technologien, um aus Strom in Überschuss¬situationen – etwa bei starkem Wind- und Solarenergieaufkommen – Wasserstoff und andere Gase (wie Methan) zu erzeugen, die in das Gassystem eingespeist werden können. Oft wird kritisiert, dies sei in Anbetracht von Umwandlungsverlusten von Strom in Gas nicht sinnvoll. Dabei wird aber übersehen, dass die deutsche Gasinfrastruktur heute schon vorhanden ist, aber die andernfalls erforderliche Strom¬infra¬struktur erst noch errichtet werden müsste – auch gegen den erkennbaren Widerstand der lokal betroffenen Bevölkerung (mit allem damit verbundenem Zusatzaufwand). Biogas ist eine weitere Quelle für klimaneutrales Gas, deren Nutzung bereits heute Stand der Technik ist.

Es lohnt in diesem Zusammenhang auch ein Blick ins Ausland: So werden in Großbritannien bereits von offizieller Seite Szenarien geprüft, wie bereits bei der Erdgas-Produktion das CO2 abgespalten und gebunden werden kann, um dann letztlich klimaneutralen Wasserstoff über die Gasnetze in die Haushalte zu liefern.

In einem solchen Szenario könnte die vorhandene Transportinfrastruktur sowie die vorhandenen Brenner weiter genutzt werden, mit allen Kostenvorteilen. Statt die Heizungen in den Kellern auf Wärmepumpen umzurüsten, Verteilnetze auszubauen, neue Stromtrassen quer durch Deutschland zu den großen Wind-Erzeugungsanlagen im Norden zu bauen, würde der Strom nahe am Ort der erneuerbaren Erzeugung in Gasmoleküle „umgewandelt“, die dann über die vorhandene Gasinfrastruktur unmittelbar einen Beitrag zur Dekarbonisierung des Wärmesektors leisten könnten.

Letztlich wäre dann das Gasnetz neben dem Stromnetz nur eine weitere Transport-Infrastruktur, die Energieträger zu Endverbrauchern liefert – nur eben Gasmoleküle statt Elektronen.

Drohender ökonomischer Teufelskreis erfordert rasches Handeln

So interessant ein solches Szenario ist, so wichtig ist es, nun auch kurzfristig entsprechende Weichenstellungen vorzunehmen – andernfalls droht die kommerzielle Realität schneller Fakten zu schaffen als ökonomisch sinnvoll. Denn auch als „Brückentechnologie“ ist der Gassektor aktuell auf Kapital zum Erhalt und Weiterbetrieb angewiesen.

Allein bei den Netzen für Gas fallen gemäß Bundesnetzagentur pro Jahr über 5 Mrd. € Kosten an – weit überwiegend fixe Kosten, unabhängig von der transportierten Menge. Zusätzlich wandelt sich die Gasversorgung gerade massiv: Die einheimische Produktion in Deutschland und den Nachbarländern geht zurück und zwar schneller als dies im Rahmen der klimapolitischen Ziele gefordert wäre. Erdgas muss zunehmend über weite Wege transportiert werden – mit entsprechendem Bedarf für neue Infrastruktur, gemäß Netzent¬wicklungsplan im Wert von 4,4 Mrd. € bis zum Jahr 2027.
 

4,4 Mrd. € - Investitionsbedarf allein gemäß Netzentwicklungs-plan bis 2027.

Es ist leicht vorzustellen, was angesichts dieser hohen Fixkosten passiert, wenn aufgrund der Klimaschutzziele die langfristig zu transportierenden Mengen abnehmen würden: Die Kosten pro Gaseinheit steigen für die verbleibenden Gasverbraucher – und machen Gas ökonomisch weiter unattraktiver. Es droht ein Teufelskreis, der dazu führen könnte, dass die Gasnutzung aus kommerziellen Gründen schneller ausläuft, als angesichts der durchaus interessanten, vorangehend skizzierten langfristigen Perspektiven als CO2-neutraler Energieträger sinnvoll wäre.

Paradigmenwechsel nötig bei Politik, Regulierung und Gaswirtschaft!

Um eine mögliche Umstellung auf ein „grünes“ Gasnetz nicht zu blockieren, müssten aber Politik und Gaswirtschaft schon heute Entscheidungen treffen oder gegenteilige Entscheidungen vertagen. Es ist eine systemweite Evaluierung der Gasoption unter Berücksichtigung der Weiternutzung der bestehenden Infrastruktur erforderlich.

  • Die Politik sollte sich bis zu einer Klärung mit weitreichenden Eingriffen, wie etwa dem geplanten Einbauverbot von Gasheizungen ab 2030 zurückhalten. Wasserstoff und Methan aus erneuerbaren Energien müssen zudem als sogenannte Biokraftstoffe anerkannt werden (Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie).
    Generell scheint es notwendig, energiepolitischen Entscheidungen darauf zu prüfen, ob sie ein „level-playing-field“ verschiedener Energieträger erlauben, oder ob bspw. einseitig zu präskriptiv auf Elektrifizierung gesetzt wird. Zudem sind die Vorteile, welche die existierende Infrastruktur bietet (bspw. geringere neue Eingriffe in Landschaftsbild, hohe Akzeptanz bei Bürgerinnen und Bürgern…), auch entsprechend monetär bei Kosten-Nutzen-Abwägungen zu berücksichtigen.
  •  Hinsichtlich der Regulierung des Gassektors muss die Frage gestellt werden, ob es nicht an der Zeit ist, angesichts der zunehmend schwierigen Wettbewerbssituation des Energieträgers an sich den regulatorischen Druck zu senken: Offensichtlich ist es nicht sinnvoll, mit hohem regulatorischen Aufwand das letzte Quäntchen Anbieterwettbewerb zu optimieren, wenn die Zahlungsbereitschaft der Kunden an sich durch offensichtliche Alternativtechnologien begrenzt ist.
    Vor diesem Hintergrund stellt sich auch die Frage, in wieweit die aktuelle Diskussion zur Versorgungssicherheits-Vorsorge nicht über das Ziel hinausschießt – was hilft eine noch sichere Versorgung, wenn durch die mit der Vorsorge verbundenen Kosten der Energieträger „aus dem Markt“ gepreist wird? Hier gilt es, bei allen Vorsorgemaßnahmen deren Kosten und Nutzen gegeneinander abzuwägen.
  • Aber auch die Branche muss sich dem Wandel stellen: Die Gasversorger müssen überlegen, welche Rolle sie in einer zukünftigen Wertschöpfungskette einnehmen, bei der Gas nicht Energiequelle, sondern Medium in einer neuen Lieferkette ist, die von erneuerbaren Quellen bis in den Heizungskeller reicht.
    Auch die Kommunikation muss sich kurzfristig wandeln: Es muss der Gaswirtschaft gelingen, eine gemeinsame Vision für eine großflächige CO2-neutrale Gasversorgung als Teil einer umfassenden Sektorkopplung aufzuzeigen, um angesichts der kurz- bis mittelfristig anstehenden Investitionsentscheidungen auf allen Ebenen – vom Heizungskeller bis hin zur Pipelines und dem Standort von Windanlagen – bereits heute entsprechende Signale und Planungs¬perspektiven zu senden

Der Energieträger Gas kann daher auch zukünftig eine Bedeutung im Wärmemarkt haben, wenn es auf Seiten von Politik und Gaswirtschaft gelingt, den Ausstieg aus der (Brücken-)Energiequelle „Erd“gas einzuleiten und entsprechende CO2-neutrale Alternativen marktreif zu entwickeln. Viel Zeit bleibt hierfür allerdings nicht mehr.

Autor:
David Bothe,
Associate Director, Frontier Economics
http://www.frontier-economics.com/de