Herr Prof. Dr. Schmitz, was haben Ihrer Meinung nach der stationäre Handel und der Online-Handel gemein?
Kunden werden verstärkt online und stationär kombiniert einkaufen. Je nach Stimmung und Situation. Darauf müssen sich die Anbieter einstellen. Es wird nicht die typischen online- Kunden geben oder die typischen Stadt-Shopper. Um weiterhin Umsatz zu generieren, bzw. keinen zu verlieren, wird es notwendig sein, beide Formen des Einkaufens gleichzeitig anzubieten. Allerdings wird es im Hinblick auf zukünftiges Kaufverhalten spannend sein, tiefer in die Sortimentskategorien einzusteigen. Welche Artikel werden von wem eher stationär und welche online gekauft. Welche Serviceleistungen werden verstärkt erwartet. Die größte Gemeinsamkeit der beiden Angebotsformen werden die überwiegend identischen Kunden sein.
Wo sehen Sie die größte Herausforderung für das Drogeriegeschäft? Werden die stationären Händler von Playern wie allyouneed.com oder windeln.de bedroht oder entdecken diese nur neue Zielgruppen?
Einzelne Warengruppen dürften bedroht sein, aber nicht die Drogerie als Ganzes. Die Herausforderung dürfte darin bestehen, solche Warengruppen einschließlich der entsprechenden Serviceleistungen zu identifizieren, über die sich in Zukunft die Drogerie profilieren kann. Wo liegen Potenziale, anhand derer eine Abgrenzung zu Mitbewerbern und angrenzenden Branchen (beispielsweise Parfümerien, Apotheken) nötig ist.
Sie sagen, dass es, egal ob on- oder off, darum geht, Geschichten zu erzählen: Was meinen Sie damit ganz konkret? Wie geht das? Und welches Potential liegt hier für den Drogeriemarkt?
Storytelling ist eine sehr wirkungsvolle und medienübergreifende Art der Kommunikation. Storytelling wirkt bewusst und unbewusst sowohl einstellungs- als auch verhaltenssteuernd. Bilder, Emotionen oder Erinnerungen werden erzeugt, die sich auf das Kaufverhalten niederschlagen. Es kann sogar vermutet werden, dass nicht nur impulsive Entscheidungen angeregt werden, sondern auch Zielkäufe beeinflusst werden. Da beide Entscheidungstypen für die Drogerie typisch sind, ist das Thema der in Geschichten verpackten, „appetitlichen“ Kommunikationsart relevant. Wenn wir eine (gute) Geschichte hören, greifen wir unbewusst auf gelernte Muster und Strukturen zurück und interpretieren Schlüsselreize auf Grundlage unserer Erfahrungen. Muster geben Orientierung und schaffen Vertrauen, um die Komplexität einer unüberschaubaren Welt zu reduzieren.
Erfolgreiche Produkt- aber auch Unternehmensmarken sind mehr als nur ein Logo oder Erkennungszeichen. Marken können ein Lebensgefühl und Identifikation schaffen. Sie stehen für erstrebenswerte Lebenskonzepte (Freiheit, sich wohl fühlen, jung sein etc.). Sie sind begehrenswerte Illusion der Wirklichkeit. Besonders anziehend sind solche Marken, die Werte und Missionen leicht verdaulich und spannend darstellen können. Hier helfen Geschichten. Es dürfte klar werden, welche Möglichkeiten hier für den Drogeriemarkt bestehen. Der Hersteller kann viele Geschichten über seine Marken erzählen. Der Händler kann seine Philosophie (die Königsdisziplin) erzählen und natürlich Stories über seine Eigenmarken. Neuerdings werden die viralen Word-of-Mouth-Potenziale genutzt, um hohe Aufmerksamkeit zu bekommen. Jeder kann sie nutzen.
Haben Sie ein oder zwei konkrete Beispiele vor Augen? Was ist Ihre Lieblingsgeschichte und was können die Händler und Hersteller davon lernen?
Ich mag viele Geschichten. Besonders gut gefällt mir die auf die Philosophie der Marke abgestimmte Geschichte von Johnny Walker (The Man who walked around the World). In wunderbarer Weise werden Historie, Philosophie, Visionen und Strategien von einem bekannten Schauspieler erzählt. Sie ist absolut unique. Weitere Geschichten sind Lego oder Ikea. Beide erreichen durch ihren Kommunikationsmix Markenidentität, die an allen Touchpoints lebendig wird.
Die 3 großen To Do’s für gutes Storytelling sind:
Die erste, wohl schwierigste Aufgabe besteht darin, die Seele bzw. den Markenkern zu definieren. Hiermit sind zwei weitere Fragestellungen verbunden: wie man in Zukunft gesehen werden will und wer die Marke lieben soll. Wenn dies nicht klar ist, kann keine gute Geschichte erzählt werden.
Die zweite Aufgabe darin, Faszination und gleichzeitige Authentizität zu vermitteln. Die Marke muss in konsistenter Weise an allen Berührungspunkten zum Kunden lebendig wirken. Das bedeutet: abgestimmtes Vorgehen aller an der Kommunikation Beteiligten.
Eine dritte Aufgabe besteht darin, mutig zu sein. Man redet über solche Geschichten, die in ihrer Art einzigartig originell sind, aber auch etwas gewagt oder überraschend. Sonst würde man nicht darüber reden. Das bedarf einer ordentlichen Portion Souveränität, Einvernehmen und Entscheidungsfreude. Gerade dieser letzte Punkt ist dafür verantwortlich, dass bislang die Anzahl guter Markengeschichten überschaubar ist. Selber schuld.
Autor: Prof. Dr. Claudius Schmitz, Hochschullehrer und Unternehmensberater, Westfälische Hochschule in Gelsenkirchen, Lehrgebiet Handel und Marketing
Kontakt: Nelli Hajdu, Konferenz-Managerin EUROFORUM | XING