Kennen Sie noch den Dauerbrenner der letzten Jahre? „Wann kommt denn nun endlich Solvency II?“ – „Na, Solvency II kommt doch in zwei Jahren …“ Diese Antwort hatte nach all den Verschiebungen des Projekts schon fast Allgemeingültigkeit. Am 01.01.2016 erfolgte nun der offizielle Startschuss für das neue Aufsichtssystem Solvency II. Das Erreichen dieses Meilensteins bedeutete das Ende einer langen und von sehr hoher Dynamik geprägten Vorbereitungszeit mit vielen Kontroversen. In der Interimsphase des letzten Jahres hatte die Versicherungsbranche in 2015 erstmals die Gelegenheit den vollständigen Ablauf anhand einer reduzierten Jahres- und Quartalsmeldung – bei gleichzeitig ausgedehnten Abgabefristen – inklusive der Abgabe der Meldung an die BaFin zu testen. Sowohl die Aufsichtsbehörden als auch die Unternehmen konnten hier sicherlich eine Vielzahl wesentlicher Erkenntnisse gewinnen, denn das System hat wie erwartet einen hohen Komplexitätsgrad erreicht.

Die Meldungen für 2016 umfassen eine reduzierte Auftaktmeldung (Day-One-Reporting), vier Quartals- und eine Jahresmeldung für Einzelversicherungsunternehmen und Versicherungsgruppen. Darüber hinaus runden die EZB-Meldungen und das Financial Stability Reporting die Solvency-II-spezifischen Meldeanforderungen ab. Es ist also nicht zu befürchten, dass den Unternehmen nach erfolgter Einführung von Solvency II langweilig wird, zumal sie auch weiterhin den Anforderungen des nationalen aufsichtsrechtlichen Meldewesens genügen müssen. Die Fristen für die Meldungen stellen eine echte Herausforderung für die Branche dar, zumal nun auch die aufsichtlich abgefragten Informationen in vollem Umfang zu melden sind. Der Gestaltung der einschlägigen Prozesse kommt daher besondere Bedeutung zu. Die einzelnen Glieder der Prozessketten sollten bei der Fülle der Aufgaben nahtlos ineinander greifen, um die Fristen dauerhaft wahren zu können.

Die Regelungen gelten nicht für die Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV). Ob sich dies in Zukunft ändert - und wenn ja, wann – ist derzeit völlig offen. Die Positionen der Beteiligten könnten dabei unterschiedlicher kaum sein. Dies hat sich in den kontroversen Diskussionen um die EbAV-II-Richtlinie, deren Text Ende Juni veröffentlicht wurde, niedergeschlagen. Anders als eingangs geplant, finden die Anforderungen der ersten Säule des Solvency-II-Modells keinen unmittelbaren Eingang. Damit trägt man nun der Kritik zunächst Rechnung, dass das angedachte Modell für die EbAV nicht passend ist. Eine abschließende Bewertung, ob sich diese Sicht auf Dauer behaupten kann, ist indes derzeit noch nicht möglich. Die aktuelle Textfassung der Direktive umfasst im Wesentlichen Fragestellung der Governance und Offenlegung. Das Prozedere sieht als nächsten Schritt die Annahme durch das EU-Parlament (nach aktuellem Stand noch in 2016) vor. Im Anschluss begänne mit der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt die Umsetzung innerhalb der Mitgliedsstaaten. Dadurch werden perspektivisch einige derzeit bestehende aufsichtsrechtliche Inkonsistenzen zwischen den Versicherern und den Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung im Sinne des Level-Playing-Field-Gedanken – dieser besagt vereinfacht, dass gleiche wirtschaftliche Sachverhalte den gleichen Regeln folgen sollen – bereinigt.

Auch wenn das genaue Zielbild des Aufsichtssystems für die EbAV noch nicht feststeht, die Umsetzung der EbAV-II-Richtlinie wird nun für eine zusätzliche Zunahme der Dynamik sorgen. Und auch bei den Versicherern ist nach erfolgter Produktivsetzung von Solvency II das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Die Europäische Kommission hat für 2018 eine Überprüfung der Standardformel angekündigt und EIOPA vor kurzem dazu aufgerufen bis Oktober 2017 Empfehlungen für Anpassungen auszusprechen.

Autor: Andreas Penzel, Leiter Innovationsmanagement, Senior Manager, ISS Software GmbH
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