Going Austrian im Gasmarkt

25.11.2013EnergieGasmarkt, Energiewirtschaft, International

Kostenbewusstsein auf dem Gasmarkt?

Erfahrene Wirtshausgänger und abgebrühte Gourmets haben hier sofort die richtige Assoziation: „Going Dutch“ – jeder zahlt für sich selbst, maximales Kostenbewusstsein bei allen Beteiligten. Nun liegt Österreich nicht nur in geographisch entgegengesetzter Richtung der Niederlande. Auch in (energie-)wirtschaftlicher Sicht kann ein Ausflug in die so nahegelegene Fremde das Kostenbewusstsein strapazieren, wie folgender Bericht zeigt.

Going Austrian im Gasmarkt

Im Frühsommer 2012 startete regiocom das Projekt: Ein in Österreich bereits vertriebenes Gasprodukt sollte auf die technische und betriebliche Plattform des deutschen Schwesterproduktes migriert werden. Das Ziel: zwei Länder, zwei Marktregimes, aber eine Systemarchitektur und eine Serviceorganisation in zwei Ländern. Im Kern stand SAP IS-U als Lösung für Abrechnung und Kontierung sowie mit IS-U CIC als Arbeitsinstrument im Service Center. Für die lieferantenseitige Marktkommunikation hatte sich seit Jahren die hauseigene Lösung rcUTIL bewährt. Eine Reihe von Anwendern bedienen mithilfe von rcUTIL in Deutschland seit Jahren den Lieferantenwechsel und die laufenden GPKE/GeLi/WiM-Prozesse. Ziel war es, dieses System an die für Herbst 2012 angekündigten neuen österreichischen Formate und die neuen Prozessvorgaben anzupassen.

Konsequente Marktrollentrennung bis zum Endkunden

Eigentlich kein Hexenwerk, schließlich macht es das österreichische Marktregime einem Neuankömmling dem Anschein nach eher einfach. Die Marktrollentrennung ist konsequenter durchgezogen als in Deutschland: Der Lieferant „haftet“ hier gegenüber dem Kunden nur für die eigentliche Belieferung, also den Energiepreis. Der Netzbetreiber stellt Netzgebühren endkundengerecht in Rechnung und liefert verbindliche kWh-Werte. Die Turnusrechnung wird folgerichtig dem Ablesungsrhythmus des Netzes unterworfen. Das wirkt nicht nur sehr pragmatisch, es reduziert auch die unterjährige EDIFACT-Kakophonie. Außerdem nimmt diese Trennung den Diskussionen mit den Endkunden einiges an Gesprächsstoff, wie etwa Brennwert und Zustandszahl, oder aber eventuelle unterjährige Änderungen des Netz- und damit des Gesamtpreises. Im Grunde wird in Österreich ein Zweivertragsmodell bis hin zum Privatkunden praktiziert.

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Natürlich muss ein Energieanbieter, der bisher in Deutschland vermarktet hat, einiges umstellen. Die Transparenz der Netzbetreiberangaben macht das Geschäft zum einen einfacher, sie reduziert aber auch die Anzahl der Freiheitsgrade bei der Preisgestaltung neuer Produkte. Konkurrierende Preisvergleichsrechner wie Verivox & Co. gibt es bei unserem alpinen Nachbarn kaum (durchblicker.at und stromgas24.at). Der wesentliche Preisvergleichsrechner wird offiziell vom Regulierer eControl betrieben bzw. stellt der Regulierer Unternehmen eine Web-Anbindung an seinen „Tarifkalkulator“ zur Verfügung (der von allen Lieferanten und von stromgas24 genutzt wird). Marktauftritt und Produktgestaltung müssen also grundlegend neu aufgesetzt werden.

Neuer Marktgebietszus

Eine weitere Besonderheit liegt in der Energiebereitstellung. Hier muss der aus Deutschland kommende und möglicherweise auch in Deutschland beschaffende Gaslieferant die „Cohabitation“ zweier Marktgebietsregimes berücksichtigen. Während wir in Deutschland einzelne Sonderfälle wie Flensburg als Randerscheinungen wahrnehmen, ist Österreich ab dem 1. Oktober 2013 veritabel geteilt: Tirol und Vorarlberg sind dann Teil des NCG-Marktgebietes, die Marktkommunikation erfolgt jedoch nach österreichischem Regime. Für neue Gaslieferanten auf dem österreichischen Markt ist das jedoch unkritisch. Die Buchung von Kapazitäten erfolgt für den gesamten österreichischen Markt, der Lieferant muss auf die Marktgebietsgrenzen keine Rücksicht nehmen. Kapazitäten werden von den Netzbetreibern mit der dem Gas-Regelzonenbeauftragten AGGM abgeglichen („Rucksackprinzip“ der Endkunden), die Lieferanten müssen der AGGM nur ihre Fahrpläne übermitteln.

Datenformate technologisch à jour

Erleichtert wird der Aufbau eines Abrechnungsbetriebes durch die neuen Regeln für die Marktkommunikation. Im Normalfall konzentriert sich hier der Datenaustausch auf die An- und Abmeldung sowie die Daten zur jährlichen Netzrechnung und zur Netz-Schlussrechnung. Es steht zu erwarten, dass die Anzahl der Nachrichten pro Lieferstelle und Jahr merklich niedriger liegt als wir dies aus Deutschland kennen.

Erfreulicherweise hat sich Österreichs Energiebranche und ihr Regulierer für das Datenformat XML entschieden. Durch die XML-typische Art der Formatvorlagen wird die Gefahr von „Missverständnissen“ auf der Datenebene weitestgehend ausgeschlossen. Diskussionen darüber, ob ein Feld nun wirklich ein Pflichtfeld ist oder ob es bei Nichtbelegung mit dem Defaultwert 0 oder 99 zu belegen sei, sind damit praktisch ausgeschlossen. Ein nennenswerter Teil der bisherigen deutschen APERAK-Funktionalitäten wird schlichtweg nicht benötigt.

Schlussendlich sieht das Einführungskonzept auch eine Testplattform vor, anhand derer die Marktteilnehmer die von ihren Systemen generierten Nachrichten validieren und im zweiten Schritt die Prozessabläufe testen konnten. Auf diese Weise sollte zum Oktober 2012 der bisherige Austausch von CSV/Excel-Listen ersetzt werden. Dieser Listenaustausch hatte zwar zur Marktöffnung vor 11 Jahren sinnvolle Dienste geleistet, da er insbesondere kleinen Stadt- und Gemeindewerken die Anschaffung neuer Systeme ersparte. Für den Massenbetrieb eines tatsächlich liberalisierten und damit auch volatilen Marktes war dieses Verfahren jedoch ungeeignet, da hier die Listen nur das Tableau für ein meist weitgehend händisches Ein- und Auslesen von Daten und einer weitgehend personalisierten Sachbearbeitung darstellten.

Alles in allem klingt dies nach einem guten Konzept. Wieso dann der etwas bissige Unterton in der Einleitung dieses Artikels?

Wieso teuer? Leider „verstolperten“ sich die österreichische Energiebranche und der Regulierer entlang der Terminkette. Nachdem im September 2012 zwar Formatvorgaben, aber noch keine umsetzbaren Prozessvorgaben vorlagen, war der Herbsttermin erst einmal hinfällig. Auch der dann kommunizierte 01.01.2013 erwies sich als nicht haltbar. Nicht zuletzt stellte es sich heraus, dass die gemeinschaftliche Plattform für den Datenaustausch und die vorherigen Tests noch weit von einer Betriebsaufnahme entfernt waren. Konsequenterweise wurde dann erst einmal kein weiterer Termin verkündet, die beteiligten Akteure (Arbeitsgruppen, Betreiber Austauschplattform, Regulierer) versprachen stattdessen ein zügiges Erreichen der noch offenen Teilziele. So lag dann im Laufe des Frühjahrs eine implementierungsfähige Prozessbeschreibung für Lieferantenwechsel, Netzrechnungsprozesse und andere Abgleichsvorgänge vor. Vor den Sommerferien nahm die Datenaustauschplattform ihren Testbetrieb auf. Einem Formatwechsel im Herbst 2013 steht kein erkennbares ernsthaftes Hindernis mehr im Wege – so weit, so erfreulich. Ein verbindliches Datum gibt es jedoch nicht.

Dieses eine Jahr war allerdings für manchen Marktteilnehmer ein Jahr mit unnötigen Aufwänden. Nicht nur dadurch, dass die Systemlieferanten ihre Entwickler und Customising-Fachleute fast ein Jahr lang in Hab-Acht-Stellung halten mussten, bis diese eine verbindliche umsetzungsfähige Spezifikation bekamen. Auch musste das bestehende und deutlich personalaufwändigere Wechselregime mit unbestimmtem Zeithorizont aufrecht erhalten werden. Optimierungsarbeiten waren sinnlos, da es ab Januar 2013 keine verbindlichen Zeithorizonte und Einführungstermine mehr gab. So darf regiocom über anderthalb Jahre sowohl das Team für den bisherigen Wechselbetrieb finanzieren, als auch ein weiteres IT-Team, das den sich schrittweise klärenden Spezifikationen und Prozessvorgaben „hinterherarbeitet“.

Die Kosten für die Vorhaltung von IT-Fachleuten, für höhere Wechsel- und Transaktionskosten und für verzögerten Wettbewerb sind nicht explizit. Sie entstehen in den Organisationen und im Marktverbund. Aber sie sind sehr real – und am Ende bezahlt sie der Gaskunde.

Wettbewerbsorientierte Anbieter im Strom- und Gasmarkt sind auf hocheffiziente Wechselprozesse angewiesen. Mit den neuen Formaten und Marktregeln ist das möglich, sie sind eine Voraussetzung für einen „bewegten“ Gasmarkt in Österreich. Verbindliche Einführungstermine sind die Voraussetzung für eine gute Personal- und IT-Planung. Deshalb hoffen viele Marktteilnehmer mit aller Kraft auf eine Umsetzung im Oktober oder November – eine Garantie dafür gibt es aber leider nicht. Wie auch immer: Wir werden darüber berichten.

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Autor: Klemens Gutmann, Geschäftsführer, regiocom GmbH, Magdeburg

Kontakt: Ingela Marré, EUROFORUM | Ingela Marré auf XING