Digitalisierung als Herausforderung für den Vertrieb

20.10.2016RechtDigitalisierung, Versicherung, Vertrieb, Verträge

Vertragsschluss über Websites und Apps

Das Interesse daran, Verträge online abzuschließen, wächst kontinuierlich, und dies keineswegs nur in der jüngeren Generation. Darin liegt für den Vertrieb von Versicherungsprodukten eine große Chance – über gut gestaltete Websites und Apps kann es gelingen, sie vom „Push“- zum „Pull“-Produkt zu machen, und dies gerade auch bei Kunden, die den Weg zur Agentur eher scheuen. Allerdings gelten die rechtlichen Anforderungen, denen der Vertrieb genügen muss, in weitem Umfang auch für den digitalen Abschluss. Insbesondere bei der Erfüllung von Informationspflichten bestehen in der Praxis noch Defizite.
 


Digitale Übermittlung des „Informationspakets“ zum Vertrag

Das Bündel an Vertragsinformationen, das jedem Versicherungsinteressenten rechtzeitig vor Abgabe seiner Vertragserklärung in Textform zu übermitteln ist, darf beim Online-Abschluss nachgereicht werden, wenn es nicht zuvor verfügbar gemacht werden kann. Indessen lässt sich beim Vertragsschluss über eine Website oder App – anders als über das Telefon – eine rechtzeitige Übermittlung bewerkstelligen. Für die Einhaltung der Textform genügt es nämlich, dass die Informationen auf einem dauerhaften Datenträger übermittelt werden, so dass der Kunde sie für einen angemessenen Zeitraum unverändert abrufen kann. Es reicht daher die Übermittlung per E-Mail oder obligatorischem Download. Daneben genügt auch eine sog. sophisticated website, also ein passwortgeschützter persönlicher Bereich, in dem die Unterlagen für den Kunden dauerhaft verfügbar und späteren Eingriff en des Versicherers entzogen sind.

Hingegen reicht allein ein Button auf der Website oder der App, der zu den gebotenen Informationen führt, ebenso wenig wie ein nur optionaler Download. In beiden Fällen wäre nämlich nicht sichergestellt, dass der Kunde die Daten tatsächlich speichert oder ausdruckt. Auch eine Bestätigung, etwa durch Setzen eines „Häkchens“, dass die Unterlagen gespeichert oder ausgedruckt seien, könnte darüber nicht hinweghelfen; eine solche Gestaltung wäre unwirksam. Allerdings dürfen die Anforderungen an einen Zwangs- Download auch nicht übertrieben werden. So muss es genügen, wenn technisch gewährleistet wird, dass der Kunde den Download initiiert hat. Ob dieser sodann abgebrochen wird, etwa weil nicht genügend Speicherplatz vorhanden ist, fällt nach allgemeinen Regeln in die Risikosphäre des Empfängers. Ein Verzicht des Kunden auf die Informationsübermittlung setzt eine gesonderte Erklärung mit Unterschrift voraus; dies ist im Online-Geschäft wegen des erforderlichen Medienbruchs unpraktikabel.

Beratungspflicht als „Lackmustest“

Die praktische Durchführbarkeit eines medienbruchlosen Online-Vertragsschlusses steht und fällt mit der Frage, ob die gesetzliche Beratungspflicht auch auf digitalem Wege erfüllbar ist. Für den Versicherer, der im Direktvertrieb agiert, ist die Lage insoweit geklärt: Ihm kommt die sog. Bereichsausnahme für Fernabsatzverträge zugute. Dahinter steht die Überlegung des VVGGesetzgebers, dass die Befragungs- und Beratungspflicht in solchen Fällen praktisch nicht erfüllbar sei; zudem sei dem Kunden bewusst, dass er eine Beratung nur auf Nachfrage erhalten könne. Dies müsste genauso beim Vertrieb über Vermittler (Vertreter und Makler) gelten. Indessen ist die Lage hier umstritten, denn insoweit hat der Gesetzgeber auf eine vergleichbare Ausnahmeregelung verzichtet.

Ungeachtet dieses Streits ist es auch dann, wenn keine gesetzliche oder (wie häufig bei Maklern) vertragliche Beratungspflicht besteht, nicht zuletzt mit Blick auf das Stornorisiko anzuraten, dem Kunden eine bedarfsgerechte Beratung zu offerieren.

Die Fragepflicht, die am Beginn des Beratungsprozesses steht und die der Bedarfsermittlung dient, lässt sich durch einen sog. „Welcome call“ erfüllen; darin liegt freilich ein häufig nicht gewünschter Medienbruch. Alternativ kann der Kunde online befragt werden, etwa indem er in einem Drop-Down-Menü eine Versicherungssparte wählt und dort seinen Bedarf angibt oder indem er Textfelder ausfüllt. Dabei müssen abhängig von der Komplexität des Versicherungsprodukts Erklärungsfunktionen ansteuerbar sein, die versicherungsspezifische Themen erläutern.

Auch beim Online-Abschluss muss nur auf erkennbare Beratungsanlässe eingegangen werden. Erforderlich ist ein Algorithmus, der widersprüchliche oder unvollständige Angaben im Wege einer Plausibilitätskontrolle erkennt; sie bieten sodann Anlass zu Nachfragen. Bleiben Verständnisschwierigkeiten gerade aufgrund der Defizite einer reinen Online-Kommunikation unerkannt, so wird im Zweifel der Betreiber der Website oder der App die Folgen tragen müssen, da er sich der Vorteile des digitalen Vertragsschlusses bedient.

Beratung so wie „Aug in Aug“?

Beim digitalen Vertragsschluss erwartet der durchschnittliche Kunde nicht dieselbe Beratungsintensität wie in einem persönlichen Gespräch. Insofern ist der oben erwähnten Einschätzung des Gesetzgebers zuzustimmen, auch wenn seine weitere Annahme, eine Beratung sei online gar nicht leistbar, mittlerweile durch technische Neuerungen wie Pop-up-Fenster oder Instant-Chat überholt sein dürfte. Heutzutage lassen sich die meisten Beratungsschritte durch Tools digital abbilden. Sie entsprechen gerade bei Standardprodukten den im Offline-Vertrieb eingesetzten Fragebögen.

Kniffliger wird es bei Versicherungsprodukten mit erhöhtem Beratungsbedarf. So wird es bei der Gebäudeversicherung nicht genügen, als „Versicherungswert 1914“ schlicht eine Zahlenangabe anzufordern. Vielmehr sind alle relevanten Faktoren abzufragen. Hier wie auch bei der Kapitallebensversicherung erscheinen persönliche Kontaktmöglichkeiten wie Live-Chats oder Hotlines unabdingbar, um eine bedarfsgerechte Beratung zu gewährleisten. Ungeklärt ist bislang, ob bei komplexeren Produkten die Inanspruchnahme einer solchen persönlichen Kommunikationsmöglichkeit obligatorisch ist. Dafür spricht, dass der Gesetzgeber für einen Verzicht auf Beratung (ebenso wie hinsichtlich der Informationsübermittlung) eine gesonderte schriftliche Erklärung verlangt. Andererseits würde damit in der Praxis der „niedrigschwellige“ digitale Zugang gerade solchen Kunden versperrt, die nicht ohne Weiteres ersatzweise eine Agentur aufsuchen. Dies spricht auch aus gesellschaftspolitischer Sicht dafür, dass die Anforderungen an eine Online-
Beratung nicht überspannt werden sollten.
 

Die praktische Durchführbarkeit eines medienbruchlosen Online-Vertragsschlusses steht und fällt mit der Frage, ob die gesetzliche Beratungspflicht auch auf digitalem Wege erfüllbar ist.

Fallstricke bei der Anzeigepflicht

Sehr praxisrelevant und bislang ungeklärt ist es auch, auf welche Weise der Versicherer oder Vermittler dem Textformerfordernis bei den Antragsfragen gerecht werden kann. Nach dem reformierten VVG muss der Versicherungsnehmer grundsätzlich nur solche Fragen beantworten, die ihm in Textform gestellt worden sind. Beim sog. Tele-Underwriting wird üblicherweise ein Protokoll versendet, in dem die telefonisch gestellten Fragen und Antworten vor der Vertragserklärung überprüft werden können. Dies lässt sich auch auf den digitalen Vertragsschluss übertragen. Alternativ kommt es in Betracht, dass die Antragsfragen in derselben Weise wie die Vertragsinformationen übermittelt werden, also per E-Mail, Zwangs-Download oder sophisticated website. Dies ist freilich dann schwierig umzusetzen, wenn von der Beantwortung einer bestimmten Frage die Folgefragen abhängen (sog. Fragebaum). Nicht gewahrt ist die Textform jedenfalls dann, wenn die Fragen dem Vertragsinteressenten allein am Bildschirm präsentiert werden.

Versicherungs-Apps als Maklertätigkeit

In jüngerer Zeit treten vermehrt Anbieter von Apps am Markt auf, die mit einer übersichtlichen Verwaltung aller Versicherungsverträge werben. Dabei geht es letztlich oft um ein Maklermandat mit entsprechender Vollmacht. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden; im Gegenteil können gerade durch eine ansprechend gestaltete App Adressaten angesprochen werden, die sich sonst kaum für ihren Versicherungsschutz interessieren, und ihnen kann eine bedarfsgerechte Beratung geboten werden. Allerdings muss der App-Betreiber wie jeder andere Makler die Informationspflichten über seine Tätigkeit erfüllen. Das wird in der Praxis derzeit vielfach noch vernachlässigt. So ist oft nicht vom Makler die Rede, sondern von einem „Betreuer“, „Ansprechpartner“ oder „Versicherungsmanager“. Statt solcher eher verschleiernder Begriffe muss der Vermittler die statusbezogenen Informationen beim ersten Geschäftskontakt klar und verständlich in Textform mitteilen. Vieles spricht dafür, dass dies schon beim Aufruf der Website oder zu Beginn des Registrierungsvorgangs bei der App zu erfolgen hat.

Online-Abschluss bietet große Chancen

Auch wenn die Rechtsentwicklung mit dem rasanten digitalen Fortschritt nicht in jeder Hinsicht Schritt hält und manche Fragen noch ungeklärt sind: Der Vertrieb sollte die Chancen nutzen. Dabei gilt es bei offenen Rechtsfragen im Zweifel den sichersten Weg zu wählen. Zugleich sollten die Gerichte bei der Lösung jener Fragen stets auch den gesamtgesellschaftlichen Nutzen im Blick haben, den die Erschließung neuer Kundenkreise für eine individuelle Risikovorsorge bietet.
 

Prof. Dr. Christian Armbrüster

Prof. Dr. Christian Armbrüster
FU Berlin

 

 


Dieser Beitrag ist Teil der aktuellen Ausgabe des Handelsblatt Journals „Versicherung“, das Sie hier erhalten können: http://veranstaltungen.handelsblatt.com/journal/