Die Altersvorsorge der Deutschen und ihre drei Bedrohungen

10.01.2014FinanceAltersvorsorge

Ist das deutsche Altersversorgungssystem demographiefest?

Die Demographiefestigkeit des deutschen Altersversorgungssystem ist durch drei Entwicklungen bedroht: Demnächst geht die Babyboom-Generation in Rente, wir leben immer länger und wir haben seit Jahrzehnten eine sehr niedrige Geburtenrate. Jede dieser drei Entwicklungen bedarf einer eigenen rentenpolitischen Antwort; jede weitsichtige und demographiefeste Rentenpolitik muss einen Mix dieser drei Antworten enthalten.

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Geeignete Antwort auf diese Entwicklungen

Glücklicherweise wurde in Deutschland eine geeignete Antwort auf diese Entwicklungen in den Reformen seit 1992 auch aufgegriffen. Der 2004 eingeführte Nachhaltigkeitsfaktor ist die geeignete Antwort auf die niedrige Geburtenrate: Wenn das zahlenmäßige Verhältnis von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern sinkt, bewirkt er eine in etwa gleichproportionale Erhöhung des Beitragssatzes und Absenkung des Rentenniveaus, so dass die demographische Last gerecht auf Alt und Jung verteilt wird. Zweitens reagiert die Rente mit 67 auf die steigende Lebenserwartung: Seit der Jahrtausendwende ist die Lebenserwartung im Alter von 60 Jahren um fast 2 Jahre angestiegen, bis zur vollständigen Einführung der Rente mit 67 werden es weitere 2 Jahre sein. Eine Anpassung des Renteneintrittsalters um 2 Jahre bedeutet also immer noch eine deutliche Verlängerung der Rentenbezugszeit. Drittens kann die Last des großen Rentenschubs infolge des Renteneintritts der Babyboomer zu einem Teil dadurch aufgefangen werden, dass die Babyboom-Generation durch private und betriebliche Altersvorsorge einen Teil dieser Last selbst trägt.

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Altersarmut in Deutschland unterhalb des Niveaus der Gesamtbevölkerung

Eigentlich sind wir in Deutschland also gut aufgestellt. Auch das zentrale sozialpolitische Ziel der Vermeidung von Altersarmut haben wir weitgehend erreicht: Altersarmut liegt deutlich unterhalb des Niveaus der Gesamtbevölkerung, wo sie knapp dreimal so verbreitet ist. Auf die häufiger gewordenen Unterbrechungen von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen muss man achten; hier liegen die Probleme aber im Arbeitsmarkt und nicht an der Rentenpolitik.

Besonders stolz können wir darauf sein, wie stark die Beschäftigung von Menschen im Alter zwischen 55 und 64 Jahren angestiegen ist. Wir könnten es uns sogar leisten, den Beitragssatz deutlich zu senken, weil trotz europäischer Schuldenkrise die Beschäftigung so hoch ist, dass sich die Beitragslast auf mehr Schultern verteilen lässt als man es sich vor einigen Jahren kaum hätte träumen lassen. Dies ist nicht vom Himmel gefallen. Die Reformen seit 1992 waren hart und lange Zeit gab es für die Beitragszahler kaum einen Gewinn an Kaufkraft. Die nun eigentlich fällig gewordene Beitragssenkung hätten sich die Beitragszahler also mehr als redlich verdient.

Leider gerät diese weitsichtige und erfolgreiche Rentenpolitik der letzten zwei Dekaden durch die Beschlüsse der neuen großen Koalition in Gefahr. Sie konzentrieren sich darauf, den mehrheitlich bereits gut dastehenden sozialversicherungspflichtig Beschäftigten eine weiter verbesserte Rente zu liefern, verhindern jedoch nicht Altersarmut und verschlechtern dramatisch die Demographiefestigkeit.

Agenda-Reformen haben uns einen Beschäftigungsboom beschert

Die Agenda-Reformen haben uns einen Beschäftigungsboom beschert, eben auch die spektakulär angestiegene Erwerbstätigkeit Älterer. Die Rente mit 63 wird diesen Trend wieder umkehren. Eine abschlagsfreie Rente mit 63 bedeutet auch zuschlagsfrei, d.h. für die, die länger arbeiten wollen, gibt es keine höhere Rente pro Entgeltpunkt mehr. Alle, die zur Rente mit 63 berechtigt sind, werden diese daher auch nehmen. Das mag angehen für die ca. 7% der Arbeitnehmer, die 45 Jahre harte Arbeit auf dem Buckel haben. Die nun geplante Anrechnung der Arbeitslosenzeiten erhöht den Anteil der Berechtigten jedoch um ca. die Hälfte. Erziehungszeiten einschließlich der neuen Mütterrente erhöhen den Anteil weiter auf fast ein Viertel, was im Endspurt der Koalitionsverhandlungen schlicht übersehen wurde. Hier muss die neue Regierung wieder auf einen demographiefesten Kurs zurückfinden. Die monetären und psychologischen Kosten des Signals Rente mit 63 sind desaströs.

Die Beschlüsse der neuen großen Koalition sind kurzsichtig und einseitig: Die Wohltaten kommen der älteren Generation zugute, während es die zukünftigen Beitragszahler finanzieren müssen, die ohnehin durch den demographischen Wandel gebeutelt werden. Einseitig auch, weil sie der Mittelschicht zugutekommen, nicht aber den von Altersarmut Bedrohten. Die Zuschussrente kann die verbliebene Altersarmut nicht verhindern, weil armutsgefährdete Menschen mit ihren unterbrochenen Erwerbsbiographien die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllen. Stattdessen sollte die jungen Menschen besser ausgebildet und integriert werden. Und wem die steuerfinanzierte Grundsicherung zu niedrig ist, der sollte den Mut haben, sie auf ein höheres Niveau anzuheben.

Insgesamt war Deutschland auf gutem Wege und unser Altersversorgungssystem weitestgehend demographiefest. Man kann der neuen Regierung nur wünschen, dass sie zur Weitsicht der rot-grünen und der ersten großen Koalition Merkel zurückfindet.

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Autor: Prof. Axel Börsch-Supan, Ph.D., Munich Center for the Economics of Aging (MEA), Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik

Kontakt: Dipl.-Volksw. Utta Kuckertz-Wockel, Senior-Konferenz-Managerin EUROFORUM