Gastbeitrag Christoph Berdi

Vorzeige-Startups

6Wunderkinder gilt als eines der deutschen Vorzeige-Startups. Sie helfen mittlerweile Millionen Usern in aller Welt, ihren Beruf und ihren Alltag zu organisieren. Diesem Zweck dient "Wunderlist", das einzige Produkt des Unternehmens. Dabei handelt es sich um einen intelligenten Manager für To-do-Listen, der in der Cloud liegt, und über Apps und das Internet auf allen Endgeräten, ob Smartphone, Tablet oder Computer, verfügbar ist.

Deutsche Startups: Hindernislauf zum Erfolg

 

Aufsehen erregte 6Wunderkinder Ende 2013, als Sequoia Capital in das Unternehmen einstieg. Mit Hilfe dieses US-amerikanischen Investors konnten 6Wunderkinder nicht nur die Neuentwicklung der Wunderlist und die Internationalisierung finanzieren, sondern sie erhielten auch einen direkten Link zum vibrierenden Silicon Valley mit seiner weltweit einmaligen Innovations- und Investitionskultur.

Startups wie 6Wunderkinder stehen exemplarisch für eine lebendige Gründerszene in Deutschland. Sie haben die ersten Hürden auf dem Weg zum internationalen Erfolg genommen, ziehen die Aufmerksamkeit der Wirtschaftspresse auf sich und werden gerne als mustergültige Beispiele dar- und vorgestellt. Mit innovativen Geschäftsmodellen oder Technologien setzen sie auf die Zukunft, und doch weiß die Öffentlichkeit relativ wenig über sie. Denn wie dieser Markt der Mutigen genau beschaffen ist, lässt sich mangels statistischer Daten nicht präzise sagen.

Niemand weiß wirklich, wie viele Startups es gibt, wie sie vorankommen, wie viele Menschen sie beschäftigen, oder wie sich wirtschaftlich entwickeln.

Männer beherrschen die Gründerszene

Der Deutsche Startup Monitor (DSM) als Initiative des Bundesverbandes Deutsche StartUps und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG gibt erste tiefere Einblicke in die Gründerszene. Von den befragten 900 Unternehmen wurden 90 Prozent von Männern gegründet, die meistens im Team ihren Traum verwirklichen möchten. Die im DSM vertretenen Start-ups schaffen im Schnitt 17 Arbeitsplätze in den ersten drei Jahren. Gut ein Fünftel ist mit Venture Capital finanziert.

Verwirklicht werden solche Anfangserfolge jedoch mitunter in einem wahren Hindernislauf. Denn viele Startups ist der Zugang zu Wagniskapital schwierig. 38 Prozent bezeichnen dies als "schweres" oder "äußerst schweres" Hemmnis. Die Gründer bemängeln zudem die von Ländern und Bund gesetzten Rahmenbedingungen für Startups sowie das deutsche Bildungssystem, das zu wenig unternehmerisches Denken vermittle. Eine aktuelle Studie des Vodafone-Instituts für Gesellschaft und Kommunikation stützt diese Kritik: Drei Viertel der 18- bis 30-jährigen Deutschen haben keine Lust, für ein digitales Startup zu arbeiten oder gar eines zu gründen. Junge Italiener und Spanier hätten dagegen einen „deutlich größeren Appetit“ auf digitales Unternehmertum.

Keine Kultur des Scheiterns

Was die Gründer laut DSM auch nervt: Die fehlende Kultur des Scheiterns. Scheitern gilt in den USA eher als Voraussetzung für langfristigen Erfolg, während es in Deutschland als "persönliches Versagen" gesehen wird. Was in den USA immer wieder passiert und in Deutschland für Gründer kaum möglich ist, ohne Schaden zu nehmen, zeigt das Cover der Zeitschrift brand eins vom November dieses Jahres. Es zitiert Max Levchin, Gründer des Bezahldienstes Paypal:

Das erste Unternehmen, das ich gegründet habe, ist mit einem großen Knall gescheitert. Das zweite ist ein bisschen weniger schlimm gescheitert, das dritte Unternehmen ist auch anständig gescheitert, aber das war irgendwie okay. Ich habe mich rasch erholt, und das vierte überlebte bereits. Nummer fünf war dann Paypal.

Scheitern als Bonus

Scheitern nicht als Malus, sondern als Bonus für künftige Geschäftsideen zu empfinden – allein diese Haltung zeigt, dass Startups nicht nur einen technologischen und wirtschaftlichen Beitrag für den Wirtschaftsstandort Deutschland leisten. Sie schaffen neue Unternehmenskulturen, die im Zeitalter der digitalen Transformation beispielhaft sind: ohne die berüchtigten Silos, fast ohne Hierarchien, vernetzt, mit viel Raum für die individuellen Fähigkeiten des Einzelnen und mit einer vertrauensvollen Atmosphäre, in der die Mitarbeiter Wissen bedenkenlos mit Kollegen oder anderen Teams zu teilen.

Manche beschäftigen sogar „Feelgood-Managerinnen“. Laut einem Bericht von deutsche-startups.de haben derzeit tatsächlich nur Frauen solche Stellen inne. Sie sollen nicht nur den Mitarbeitern das Arbeiten so angenehm wie möglich machen, sondern die Kultur, die Werte und den Spirit aus der Gründungszeit auch durch oft turbulente Wachstumsphasen tragen.

Ökosystem Berlin

Wenn die Politiker die Chance auf Erfolgsstorys von Startups verbessern möchten, müssen sie in Berlin nur einmal vor die Türe treten. Die Bundeshauptstadt ist auch Hauptstadt der Gründer. Berlin, so heißt es seitens KPMG, ziehe Startups magisch an. Dort gebe es funktionierende Netzwerke und eine lebendige Innovationskultur. Größere Startups mit einem Umsatz von mehr als zehn Millionen Euro finden sich vor allem dort.

Auch 6Wunderkinder ist in Berlin beheimatet. Gründer Christian Reber sagte dem Handelsblatt nach dem Abschluss des Sequoia-Deals: „Jetzt muss der nächste Schritt folgen, dass die Unternehmen international relevant werden. Bei Soundcloud, Wooga, Wunderlist und vielen anderen ist das bereits so. Jetzt wird daraus ein Ökosystem erwachsen. Unternehmen stellen Talente ein, gehen hoffentlich irgendwann an die Börse, danach gründen die Mitarbeiter mit dem Geld aus ihren Anteilen wieder neue Unternehmen.“

Reber zeichnet hier ein Idealbild des Ökosystems der Startups, dessen Lebensbedingungen und Klima aus Sicht vieler Gründer weiter verbesserungswürdig ist. Das zeigt sich nicht nur in der fehlenden Toleranz gegenüber zunächst Gescheiterten und den Herausforderungen der Finanzierung, sondern auch in gesellschaftspolitischen Fragen: Woran liegt es eigentlich, dass Startups nur ganz selten von Frauen gegründet werden?

Autor: Christoph Berdi, Journalist, Moderator und Berater im Themenfeld Marketing, Marken und Medien, http://christoph-berdi.de