So sollen die Banken ihre Risikoaktiva und Bilanzsummen reduzieren (Stichwort: „Deleveraging“), mehr Eigenkapital vorhalten, aber gleichzeitig die Kreditversorgung der Wirtschaft und der kriselnden Staaten sicherstellen. Sie sollen Klumpenrisiken vermeiden, die Hände vom Investmentbanking lassen und gleichzeitig Unternehmen dabei helfen, Risiken teilweise mittels komplexer Finanzmarktprodukte abzusichern. Sie sollen Anleger umfassend und kostenlos beraten, hohe Zinsen für Einlagen zahlen, niedrige Zinsen für Kredite verlangen und gleichzeitig Investoren gewinnen, denen sie eine angemessene Rendite bieten. Nicht zuletzt sollen sie attraktive Arbeitgeber bleiben und sich als „Good Corporate Citizen“ um die Gesellschaft verdient machen. Das alles in einem herausfordernden Umfeld, das durch Staatenrettungen, Niedrigstzinsen und verschärfte Regulierung geprägt ist.
Die unterschiedlichen Anforderungen an die Finanzindustrie sind kaum noch miteinander zu vereinbaren – einer breiteren gesellschaftlichen Öffentlichkeit scheinen sie deshalb nicht weniger gerechtfertigt zu sein.
Zwei Punkte werden dabei leider allzu oft übersehen: Erstens haben sich gerade deutsche Banken bereits radikaler und nachhaltiger verändert als gemeinhin angenommen – und das aus eigenem Impuls und getrieben von der Erkenntnis eigener Fehler in der Vergangenheit. Mit der Aufarbeitung gehen pragmatische Konsequenzen einher: Riskante Eigengeschäfte sind längst passé, das Einlagengeschäft als stabile Refinanzierungsquelle feiert ein Comeback und das Streben nach kurzfristiger Ertragsmaximierung ist der Orientierung am langfristigen, nachhaltigen Geschäftserfolg gewichen. Kurz: Banken sind zu einer reiferen, stabileren und risikoärmeren Industrie geworden. Allerdings auch zu einer, in der hohe renditen für Investoren auf lange Zeit nicht mehr erwartet werden dürfen.
Zweitens aber ist das Finanzsystem als Ganzes – jenseits des Banking –,trotz der genannten Fortschritte, kaum stabiler geworden. Die Ursachensind rasch umrissen: Sie liegen darin begründet, dass regula torische Veränderungen international, wenn überhaupt, nur uneinheitlich vorgenommen werden. Die ausbleibende Regulierung von sogenannten „Schattenbanken“ oder die Nicht-Einführung von Basel II und III in den USA sind nur zwei Beispiele. G20 und FSB (Financial Stability Board) haben es bislang nicht geschafft, das internationale Spielfeld zu ebnen, im Gegenteil. Nationale wie internationale regulatorische Initiativen sorgen darüber hinaus zunehmend für die Herausbildung neuer Klumpenrisiken.
So wird zum einen die aufsichtsrechtliche Definition sogenannter systemrelevanter Banken (SIFIs) für eine erhebliche Unwucht in genau dem System sorgen, das eigentlich stabilisiert werden soll. Denn sie schafft starke Anreize, künftig vornehmlich in die Institute zu investieren, die mit Sicherheit im Krisenfall durch den Staat gerettet werden – zum Nachteil kleinerer und mittlerer Banken. Zum anderen führen die Überlegungen zu einem Trennbankensystem dazu, die Risiken aus dem Investmentbanking bei einigen wenigen Adressen zu konzentrieren, deren Ausfall wiederum deutlich kritischer für das Finanzsystem wäre.
Das alles schwächt die europäische Bankenbranche nachhaltig. Denn in anderen Regionen, speziell im amerikanischen Raum, hat man andere, viel pragmatischere Lehren aus der Finanzkrise gezogen und dadurch den Banken einen erheblichen Wettbewerbsvorteil verschafft. Die Investoren haben reagiert – sie investieren fast ausschließlich in amerikanische Bankenaktien. Der regulatorische Eifer Deutschlands ist inzwischen Legende: Deutschland hat ein nationales Trennbankengesetz bereits beschlossen – noch bevor die Ausgestaltung eines entsprechenden europäischen Ansatzes abgeschlossen ist. Für Investoren wirkt das in hohem Maße abschreckend.
Neben den kostenintensiven und unnötigen Doppelbelastungen, die Banken zu tragen haben, wenn die auf das nationale Trennbankensystem angepassten Geschäftsmodelle nach Verabschiedung eines europäischen Ansatzes erneut angefasst werden müssen, sind es vor allem die volkswirtschaftlichen Folgekosten und die damit verbundenen nachhaltigen Wohlfahrtsverluste, die zur Sorge veranlassen.
Das kundenzentrische Modell der Universalbank, zumal deutscher Provenienz, hat sich als robust erwiesen und wird von Kunden hoch geschätzt. In einem Trennbankensystem ist der Vorteil des Kunden, Handels- und Kreditgeschäft aus einer Hand und damit günstiger zu bekommen, passé. Stattdessen werden Banken die Kosten, die durch doppelte Refinanzierungen, fehlende Möglichkeiten zur Quersubventionierung einzelner Geschäftsbereiche und den generellen Wegfall von Geschäft entstehen, an ihre Kunden weitergeben müssen. Hinzu kommen die Effekte des massiven Deleveraging, die sich erst in den kommenden Jahren zeigen werden: Kredite werden nur noch in deutlich geringerem Umfang als bislang zur Verfügung stehen. Für die zu 75 Prozent kreditfinanzierte deutsche Wirtschaft sind das bedrohliche Aussichten.
Niemand sollte sich täuschen: Banken haben die Notwendigkeit zur Veränderung erkannt und handeln entsprechend, der Anpassungsprozess im Bankgeschäft ist radikal. Das ist per se zu begrüßen. Allerdings tun wir gut daran, diesen Prozess mit einem klaren Zielverständnis für gesunde und starke Banken zu betreiben, letztlich und vor allem zum Nutzen der Bankkunden und unserer Volkswirtschaft. Die Zeche dafür, dieses Ziel nicht vor Augen zu haben, zahlen wir ansonsten alle. Naivität hilft keinem.
Dr. Theodor Weimer. Artikel erschienen im Newsletterin Standpunkte Banken, Ausgabe 2/2013
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