Wann waren Sie das letzte Mal in einer Bankfiliale und wie hat sich das angefühlt? Ich weiß es gar nicht mehr...
Vor zwei Jahren haben wir uns bei einer großen Bank mit der Frage „Was ist die Zukunft des Privatkundengeschäfts?“ beschäftigen dürfen. Schnell zeigte sich, dass die Frage zumindest in Teilen schon implizit beantwortet war. Denn gleichzeitig wurde ein großes Projekt aufgesetzt, in dem die Filialen modernisiert und für das Privatkundengeschäft vorbereitet wurden. Modernisierung hieß, einen Lounge Bereich mit schweren Ledersesseln einzurichten, eine Kinderecke aufzubauen, die Laufwege zu verändern und eine „insgesamt“ freundlichere Atmosphäre herzustellen.
Unserer Reaktion auf diese Information: „Get out of the house!“. Wir haben uns eine Stunde Zeit genommen, 2’er Teams gebildet und sind raus auf die Straße, um mindestens 5 Passanten zu interviewen. Danach stellten wir uns gegenseitig die Aufnahmen vor und berichteten von unseren Beobachtungen. Alles in allem kein großer Aufwand und sehr schnell durchgeführt.
„Sind Sie Privatkunde? Wann waren Sie das letzte Mal in der Filiale? Wie fühlt sich Filiale an?“
Bei allen Befragten waren es mindestens 6 Monate seit dem letzten Filialbesuch, meistens waren es mehr als drei Jahre. Interessanterweise galt das auch für die anwesenden Mitarbeiter und Manager der Bank. Diese Erkenntnis löste betretenes Schweigen aus. Es kam aber noch dicker. Hier ein paar O-Töne aus den Interviews: „Die Banken haben zu, wenn ich daran vorbei komme,“ „Ich mache meine Bankgeschäfte online und bin meistens nur am Automaten,“ „Wenn ich am Wochenende Schreibkram kaufe, sehe ich wie andere Leute anstehen.“ Und nicht zu vergessen auf die Frage, ob man die eigenen Kinder mitbringt, antwortete eine Privatkundin spontan: „Nein! Um Gottes Willen, die haben da doch Angst.“
Was fängt man mit den Momentaufnahmen an, die so ein „Get out oft the house!“ erzeugen? In unserem Beispiel zeigen diese Momentaufnahmen, dass die Filiale als Kontaktpunkt eine absolut untergeordnete Rolle für den Kunden spielt, weil man selten dort ist. Die zweite Indikation ist, dass der Kontaktpunkt „Filiale“ eher negativ besetzt ist: die Filiale hat zu, die Kinder haben Angst und andere Menschen müssen Schlange stehen. Mit Ledersesseln, einer Spielecke und einer insgesamt freundlicheren Atmosphäre, ist es da bestimmt nicht getan.
Momentaufnahme und Perspektivwechsel
Natürlich sind 10 bis 20 Interviews, die man in einer Stunde führt, nicht repräsentativ. Aber, die Wahrscheinlichkeit, dass das Ergebnis ein absoluter Ausreißer ist, liegt nahezu bei Null. Selbstverständlich gilt „Further research is needed!“; deshalb sprechen wir von einer Momentaufnahme. Was das „Get out oft he house!“ aber vor allem bringt, ist ein Perspektivwechsel: Wir fragen echte Menschen auf der Straße „Wie oft sie Kontakt zum Produkt oder Anbieter haben?“ und „Wie sich der Kontakt anfühlt?“, dann beobachten wir die Reaktion.
Der Perspektivwechsel entsteht, weil wir auf die emotionale Ebene wechseln und vor allem die Reaktionen beobachten. Die Inhalte sind sekundär. Dinge, die man gerne tut, Dinge, die man mag, Dinge, die bedeutsam sind, hat man präsent, deshalb antwortet man schnell und intuitiv. Genau das lässt sich beobachten. Aus dem Beobachten und nicht aus dem Inhalt zieht die Übung ihre Kraft. Das, was wir unmittelbar beobachten, ist das was der Kunde empfindet. Schnelle Reaktionen und Antworten sind in der Regel unverfälscht, in diesem Sinne wahr.
Auch wenn es schon hundert Mal gesagt wurde, hier noch ein letztes Mal: je häufiger der Kunde Kontakt mit dem Anbieter hat und je positiver das Erleben des Kontakts ist, desto stabiler und ertragreicher die Kundenbeziehung. Zeigt eine Beobachtung, dass der Kunde kaum mehr Kontakt hat und dieser Kontakt auch kaum mehr positiv erlebt wird, dann müssen bei jedem Anbieter die Alarmglocken schrillen. Es kann nur eine Frage geben: Wo sind neue, andere, bessere Kontaktpunkte zu meiner Zielgruppe und wie kann ich gezielt positive Erlebnisse in diesen Kontaktpunkten schaffen? Das Methodenset Design Thinking liefert hier eine Vielzahl guter und erprobter Ansätze, um solche Kontaktpunkte zu entdecken und zu gestalten. Diese Ansätze werden unter dem Begriff Customer Experience Design zusammengefasst.
Es kann nicht sein, was nicht sein darf...
Natürlich haben wir unserem Auftraggeber empfohlen, das Filialprojekt zu stoppen oder zumindest auf Eis zu legen und sich zuerst mit den offensichtlich dringenden Aspekten der Customer Experience zu beschäftigen. Das Team wurde ganz unruhig und teilte uns mit, das sei absolut unmöglich! Der Vorstand habe den Aufsichtsrat darüber schon informiert, dass man einen dreistelligen Millionenbetrag in das Filialnetz stecken würde. Zudem sei die Maßnahme „Stärkung des Privatkundengeschäfts durch Filialumbau“ bereits gegenüber Börse und Investoren kommuniziert. Hier gebe es kein Zurück! Mit so einem Vorschlag könne man keinem der Vorstände kommen.
Eine Regel im Design Thinking fordert dazu auf, früh und oft zu scheitern. Es ist billiger und besser einen Radiergummi als Abrissbirne einzusetzen. Einen weitere Regel ist es, neue Erkenntnisse zu akzeptieren und wenn erforderlich, bereits getroffene Entscheidungen zu revidieren. Viele große und kleine Unternehmen sind heute von einer derartigen Kultur weit entfernt. Hier muss ein Umdenken stattfinden und ein neuer Managementstil Einzug halten.
Eine kleine Anekdote zum Abschluss: Ein paar Wochen nach dem Projekt, saß ich mit mehr als 30 Bankvorständen und Aufsichtsräten zusammen. Ich nutze das Treffen, um beiläufig ein paar Fragen zu stellen. Sie ahnen es schon: Der jüngste Filialbesuch lag 9 Monate zurück. Bei den meisten waren es deutlich mehr als 5 Jahre. Ein Funkeln der Begeisterung hatte bei dem Thema Filialbesuch am eigenen Leibe keiner in den Augen.
Autor: Dr. Juergen Erbeldinger, CEO partake AG - Treffen Sie Partake auf der Handelsblatt Tagung Privatkundengeschäft 2014 (Zukunftswerkstatt 2020: Wie sieht das Banking der Zukunft aus?)
Kontakt: Carola Bergmann, Conference Director Banken EUROFORUM | XING