Kunden von Banken und Versicherungen orientieren sich bei ihren Finanzentscheidungen immer häufiger in sozialen Netzwerken
Sie nutzen unterschiedliche mediale Vertriebswege und wählen ihren Kontaktpunkt zur Bank eigenständig nach individueller Bedarfslage und persönlicher Präferenz. Zusammen mit den nachhaltigen demografischen Veränderungen stellt diese Entwicklung insbesondere Finanzdienstleister mit einem starken Filialvertrieb vor neue Herausforderungen.
Empirische Befunde sind im Zeitalter von Web 2.0 nur Momentaufnahmen. Eine Studie von TNS Infratest ergab Mitte 2011, dass lediglich 15 Prozent der Privatanleger einem Rat zum Thema Geldanlage vertrauen, den sie über soziale Netzwerke erhalten haben2. Immerhin 15 Prozent könnte man auch sagen, denn in der Netzwerk-Community bleiben der persönliche und fachliche Hintergrund oder auch die Interessenlage dieser Ratgeber in aller Regel weitgehend unbekannt.
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Für die professionellen Vermittler von Finanzdienstleistungen besteht also kein Anlass zu entspanntem Zurücklehnen, zumal nach einer Studie3 aus dem Jahr 2012 ein Jahr später schon für ein Drittel der Internetnutzer in Deutschland auch Einschätzungen von Fremden Relevanz für Entscheidungen in Finanzfragen haben. Umgekehrt stecken die Angebote der Branche in diesem Bereich vielfach noch in den Kinderschuhen. Eine offene, direkte und auch für Dritte einsehbare Kommunikation mit dem Kunden ist für Banken immer noch ungewohnt.
Auch die Sparkassen haben hier noch erheblichen Nachholbedarf
Wie keine andere Institutsgruppe sind sie mit ihren Filialen vor Ort beim Kunden, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Teil der persönlichen oder eben auch digitalen Netzwerke. Die sich daraus ergebenden Möglichkeiten nutzt die größte Bankengruppe in Deutschland bislang jedoch zu wenig. Das Beispiel des Einzelhandels zeigt, wie schnell Versäumnisse in diesem Bereich einstmals große Handelsimperien zum Einsturz bringen können. Wenn die Sturmwelle am Horizont bereits sichtbar wird, ist es für wirkungsvolle Gegenmaßnahmen meist schon zu spät.
In Sachsen liegt nach der jüngsten Studie des Ostdeutschen Sparkassenverbandes der Anteil der Bankkunden, die allein auf Online-Vertriebswege setzen, bei lediglich neun Prozent. 55 Prozent der Befragten geben dagegen an, gar kein Online-Banking zu nutzen. Bei Sparkassen wickeln derzeit sogar noch zwei Drittel der befragten Kunden Bankgeschäfte ausschließlich über die Filiale ab. Dieser Befund ist jedoch keine Bestätigung eines starrköpfigen „Weiter so“.
Der Anteil reiner „Offline-Nutzer“ wird in den kommenden Jahren deutlich zurückgehen
Bereitschaft und Fähigkeit, unterschiedliche Vertriebswege bedarfs- und situationsorientiert zu nutzen werden dagegen zunehmen.
Für die Sparkassen bleibt die Nähe zum Kunden, das heißt die per sönliche Beratung vor Ort, auch künftig zentrales Erkennungs- und Differenzierungsmerkmal. Aber diese örtliche Präsenz muss sich künftig in Funktion, Angebot, Größe und Häufigkeit noch direkter am veränderten Bedarf der Kunden und den wirtschaftlichen Möglichkeiten ausrichten. Rahmenbedingungen setzen dabei der tiefgreifende demografische Wandel – gerade in den ländlichen Regionen Ostdeutschlands - und die generelle Digitalisierung aller Lebensbereiche.
In den ländlichen Regionen in Ostdeutschland werden in den kommenden Jahren die Bevölkerungszahlen deutlich zurückgehen. Die Antwort der Sparkassen hierauf kann nicht Rückzug aus der Fläche lauten. Originäre Aufgabe der Sparkassen ist es vielmehr, auch unter diesen veränderten Bedingungen eine wohnortnahe Versorgung mit Bargeld, Service- und Beratungsleistungen wirtschaftlich sicherzustellen. Mobile und mediale Angebote werden deshalb die klassische Filiale zunehmend ergänzen, in Teilen auch ersetzen müssen. Der mediale Vertriebsweg ist dabei nicht Konkurrent, sondern selbstverständliche Ergänzung im Leistungsangebot für den Kunden.
Trend zu einem Multikanalangebot
Das wird umso leichter gelingen, als auch die deutlichen Veränderungen im Generationengefüge mit einem stark zunehmenden Anteil älterer Kunden den Trend zu einem Multikanalangebot allenfalls verzögern, keinesfalls aber aufhalten werden. Die Smartphone-Nutzer von heute sind die Senioren von morgen. Produktnutzung und Anspruch an Banken werden sich in den kommenden zehn Jahren auch in dieser Kundengruppe deutlich verschieben – weg von tradierten Werten und wenig ausgeprägter Wechselbereitschaft hin zu individuell bestimmten Anforderungen an Produkte und Beratung einer Bank.
Eine hohe und verlässliche Dienstleistungsqualität über alle Kanäle wird deshalb künftig zum zentralen erfolgskritischen Faktor – auch für Banken. Emotionale Bindung schaffen dabei neben der räumlichen Nähe und persönlichem Kontakt auch sehr guter Service und datenbasierte, individuelle Angebote an den Kunden. Amazon & Co. lassen grüßen.
Ihre starke Marktposition werden Sparkassen nur dann behaupten können, wenn sie lokale Verankerung über die Filiale und medialen Vertrieb, der deutlich über das bisherige Online-Banking hinausgehen muss, miteinander verbinden. Die Sorge, mit dem neuen Vertriebsweg das Filialgeschäft zu beeinträchtigen, ist nicht gänzlich unbegründet. Ohne eine starke Position im medialen Vertrieb wird aber auch das Filialgeschäft perspektivisch nicht mehr auskömmlich zu betreiben sein. Handeln ist deshalb angesagt.
Autor: Dr. Harald Langenfeld, Vorsitzender des Vorstandes, Sparkasse Leipzig
Kontakt: Kathrin Dietrich-Pfaffenbach, Senior Konferenz-Managerin, Kathrin Dietrich-Pfaffenbach auf XING
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