Vitaminpillen & Co. – Schützen Nahrungsergänzungsmittel das Herz?

11.08.2014Pharma & Gesundheit, RechtErnährung, Gesundheit, Leistungsfähigkeit, ElkeSchneider

Aus dem Newsletter zum Branchentreff Nahrungsergänzungsmittel

Lisa Treptow wartete im Café Südstern auf ihren Mann. Er war gerade beim Arzt, um Untersuchungsergebnisse zu besprechen. Endlich! Schon bevor sich Frank zu ihr setzte, fragte sie: „Wie war’s?“ „Nicht so toll“, antwortete Frank. „Dr. Merck war nicht zufrieden. Mein Blutdruck ist viel zu hoch, das Cholesterin hoch. Mein Bauch gefällt ihm nicht. Mein Herz sei gefährdet, sagt er.

Lesen Sie im Folgenden den Expertenartikel zum Thema "Wirksamkeit Nahrungsergänzungsmittel" aus dem Newsletter Nahrungsmittelergänzung 2015

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...Natürlich hat er mir Medikamente aufgeschrieben. Aber damit nicht genug: Das Wichtigste sei, sagte er, dass ich mein Leben ändere: viel regelmäßige körperliche Bewegung und gesundes Essen. Vor allem Gemüse, Salat, Obst statt Fleisch, Schinken und Wurst, die wir ja so gerne essen.“ Lisa unterbrach ihn: „Das scheint mir übertrieben. Die Lebensgewohnheiten ändern! Das Herz kann man auch auf andere Weise schützen. In jeder Apotheke, in jeder Drogerie, ja sogar im Supermarkt gibt es Vitamine und Mineralpräparate, die genau auf das Herz ausgerichtet sind. Auch von Fischölpräparaten hört man viel Gutes. Ebenso von Margarinen, die durch einen Zusatz das Cholesterin senken. Wenn du dich so versorgst, hast du alles, was dein Herz braucht und genug für deine Gesundheit getan.“

Hat Lisa Recht? Rund 20 Millionen Bundesbürger greifen regelmäßig zu Nahrungsergänzungsmitteln, seien es Pillen, Brausetabletten oder Zusätze in Lebensmitteln wie zum Beispiel Pflanzensterine in Margarine. Die Werbung verspricht viel und fällt auf fruchtbaren Boden bei Menschen, die sich um ihre Gesundheit sorgen.

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Was viele nicht wissen: Medikamente müssen zugelassen werden. Die Aufsichtsbehörden, z. B. die European Medicines Agency, verlangen, dass durch wissenschaftliche Studien die Wirkungen und Nebenwirkungen dokumentiert sind, sodass der Nutzen eines Medikaments beurteilt werden kann. Bei Nahrungsergänzungsmitteln fehlt diese Kontrolle, sie können beworben und verkauft werden, ohne dass nachgewiesen ist, dass sie wirksam sind. Daher stellt sich die Frage: Können Nahrungsergänzungsmittel vor Herzinfarkt und Schlaganfall schützen?

Vitamine

Lange Jahre erhofften sich viele von Vitaminen wahre Wunder – nicht nur eine Senkung der Krebsrate, sondern auch eine positive Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System, die Vorbeugung von Infektionen und viele andere Effekte mehr. Große Aufmerksamkeit löste eine Untersuchung aus, die in den 90ern durchgeführt und bei Bekanntwerden der Ergebnisse abgebrochen wurde: In der CARET-Studie (Beta-Carotene and Retinol Efficacy Trial) stieg nicht nur die Lungenkrebsrate, sondern auch die Häufigkeit für Herz-Kreislauf-Erkrankungen an bei Patienten, die diese Vitamintabletten eingenommen hatten, statt wie vermutet zu sinken.

Seitdem ist die Anwendung des bei der Studie eingesetzten Provitamins Beta-Carotin, eine Vorstufe von Vitamin A, und seiner chemischen Verwandten in fast allen Ländern streng reglementiert: Das Bundesinstitut für Risikobewertung verlangt in Deutschland von allen Vitaminherstellern, die Beimischung von Carotinen zu begrenzen.

Auch für das Hinzufügen von Carotinen zu Lebensmitteln oder selbst zu Arzneimitteln gibt es zum Schutz der Verbraucher inzwischen Höchstgrenzen 2.2002 wurde die Heart Protection Study veröffentlicht. In dieser Studie wurde die Hälfte von über 20 000 Studienteilnehmer 5 Jahre lang mit einer Vitaminmischung aus 600 mg Vitamin E, 250 mg Vitamin C und 20 mg Beta-Carotin behandelt. Das Ergebnis war enttäuschend: Es gab keine positiven Effekte im Vergleich mit den Studienteilnehmern, die keine Vitamine erhalten hatten, weder bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen noch bei Krebs. Andere Studien, z. B. GISSI-Prevenzione (1999), HOPE (2000), HATS (2001), Miller et al. (2005), bestätigen diesen Befund.

2007 erschien im JAMA Journal of the American Medical Association eine Analyse von insgesamt 68 Studien zur Wirkung sogenannter Antioxidantien, darunter Beta-Carotin, die Vitamine A, C, E und Selen.

Insgesamt konnten die Daten von mehr als 230 000 Studienteilnehmern ausgewertet werden. Auch hier zeigte sich keiner der erhofften günstigen Effekte. Im Gegenteil: In der Gruppe der Studienteilnehmer, die Vitamin A und E oder Beta-Carotin einnahmen, war eine höhere allgemeine Sterblichkeitsrate zu  finden als in der Gruppe, die keine Präparate verwendete. Ursächlich hierfür ist ein Anstieg der Krebserkrankungen sowie eine höhere Rate an  Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Immer mehr große Studien kommen zu einem ähnlichen Ergebnis: Derzeit gibt es keinen Hinweis, dass Vitaminpräparate das Herz schützen. Die günstigen Wirkungen von Gemüse, Salat, Obst auf die Herzgesundheit können Vitaminpräparate nicht ersetzen.

Phytosterine

Ein hoher Cholesterinspiegel ist ein Risikofaktor für Herz-Kreislauf- Erkrankungen. Früher (2001) empfahlen internationale Fachgesellschaften den Einsatz von Phytosterinen als Nahrungsmittelzusatz, um den Cholesterinspiegel zu senken. Die Empfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (2004) sowie die aktualisierten Leitlinien des National Institute of Health and Clinical Excellence (NICE, 2008) in Großbritannien stehen einer generellen Empfehlung einer Lebensmittelergänzung mit Phytosterinen jedoch kritisch gegenüber. Auch die neuen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (2011) kommen zu dem Urteil, dass Langzeitstudien nötig wären, um die Sicherheit von Lebensmitteln mitPflanzensterinzusatz bei regelmäßiger Einnahme zu garantieren.

Hintergrund für die derzeit kontrovers geführte wissenschaftliche Diskussion sind die Phytosterine selbst. So belegen klinische Studien zwar, dass Phytosterine eine wünschenswerte bis zu 15 %ige Senkung des LDL-Cholesterins erreichen können. Neuere Studien zeigen jedoch, dass dieser Effekt nicht immer eintritt und dass Phytosterine bei einigen Menschen auch zu einer paradoxen Erhöhung des Cholesterinspiegels führen können.

Die Bedeutung erhöhter Phytosterinkonzentrationen im Blut ist unklar und wird derzeit strittig diskutiert. Die Aufklärung der seltenen Erbkrankheit Phytosterinämie hat die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass Phytosterine ein möglicher Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein könnten.

Erhöhte Phytosterinkonzentrationen, Xanthome (knotenartige Fettablagerungen) und eine frühzeitige, häufig tödlich verlaufende Arteriosklerose sind diewesentlichen Befunde bei Patienten mit homozygoter Phytosterinämie. Verantwortlich hierfür sind bestimmte genetische Veränderungen mit der Folge einer erhöhten Aufnahme und verminderten Ausscheidung von Phytosterinen 24, 25. Die Tatsache, dass Patienten mit diesem Krankheitsbild bei nahezu normalen Cholesterinwerten einen aggressiven Verlauf der Arteriosklerose entwickeln, lässt vermuten, dass Phytosterine selbst Potential besitzen, eine Arteriosklerose hervorzurufen.

Neuere Ergebnisse experimenteller Untersuchungen sowie Daten einzelner epidemiologischer und klinischer Studien unterstützen diese Hypothese. Vor dem Hintergrund sich mehrender Hinweise, dass Phytosterine als Nahrungsmittelzusatz möglicherweise schädlich sein könnten, hat das Bundesinstitut  für Risikobewertung zunächst 2008 gefordert, dass diese Produkte nur Menschen mit erhöhten Cholesterinwerten empfohlen werden 30. Im Dezember 2011, nachdem weitere Ergebnisse klinischer und experimenteller Studienvorlagen, forderte das Bundesinstitut für Risikobewertung, dass die Verwendung von Phytosterinen als Lebensmittelzusatz auf europäischer Ebene generell zu hinterfragen und durch die European Food and Safety Authority (EFSA) neu zu bewerten sei.

Omega -3-Fettsäuren

Auch langkettigen Omega-3-Fettsäuren aus Fischöl werden gesundheitsfördernde Eigenschaften zugeschrieben 35. Omega-3-Fettsäuren sind Gegenstand diverser Leitlinien internationaler Fachgesellschaften. Fischöl wird daher in Nahrungsergänzungsmitteln angeboten sowie zur Anreicherung von Lebensmitteln verwendet. Allerdings zeigen einzelne Studien durchaus auch bedenkliche Effekte einer Nahrungsmittelergänzung mit Omega-3-Fettsäuren wie beispielsweise eine Erhöhung des Serumcholesterinspiegels 37, eine Beeinträchtigung der Immunabwehr bei älteren Menschen 38, eine erhöhte Blutungsneigung und es gibt Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Langzeitanwendung. Eine aktuelle Metaanalyse, d. h. eine statistische Zusammenfassung von insgesamt 89 klinischen Studien, kommt insgesamt zu dem Schluss, dass es keine klare wissenschaftliche Evidenz gibt, dass eine Nahrungsmittelergänzung mit Omega-3-Fettsäuren das Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung tatsächlich vermindert.

Darüber hinaus zeigte sich in der erst kürzlich veröffentlichten Alpha-Omega-Studie, dass mit Statinen behandelte Patienten nach Herzinfarkt das Risiko eines erneuten Herzinfarkts oder eines Schlaganfalls durch Omega-3-Fettsäuren-Präparate nicht verringern können. Eine neue große Zusammenfassung von Studien mit mehr als 68 000 Patienten (Rizos et al. 2012) kam zu dem Ergebnis, dass Präparate mit Omega-3-Fettsäuren weder die Sterblichkeit noch das Risiko für Herztod, Herzinfarkt oder Schlaganfall verringern konnten. „Unsere Ergebnisse rechtfertigen nicht den täglichen Gebrauch dieser Nahrungsergänzungsmittel“, schreiben die Autoren dieser Studie. Dagegen gelten Fischmahlzeiten weiterhin als günstige Bestandteile einer herzschützenden Mittelmeerküche.

Festzuhalten bleibt, dass die hochdosierte Einnahme von Omega-3-Fettsäuren Triglyceride senkt, die als potentieller Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen zunehmend diskutiert werden. Hierzu stehen aber Studien aus, die klären, was damit für die Patienten erreicht werden kann.

Andere Nahrungsergänzungsmittel

Auch für andere Nahrungsergänzungsmittel, die zur Vorbeugung von Herz- und Gefäßerkrankungen eingesetzt werden, liegen keine Studiendaten vor, die ihre Wirksamkeit überzeugend dokumentieren. Das gilt z. B. für lösliche Ballaststoffe (Guar, Pektine, Hafer oder Psyllium), Q10, Berberin, Knoblauchextrakt, Granatapfel- oder Rotweinkonzentrate und vieles mehr.

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Ein weiteres Problem: Infolge der weichen Zulassungsbedingungen sind Wechselwirkungen einzelner Nahrungsergänzungsmittel untereinander oder mit Medikamenten nur unzureichend untersucht. Diese empfindliche Lücke betrifft besonders den Einsatz bei älteren und gebrechlichen Patienten, bei Kindern und bei chronisch Kranken mit Leber- und Nierenerkrankungen, Hochrisiko-Patienten und Patienten mit vielen unterschiedlichen Medikamenten.

Fazit

Positive Änderungen im Lebensstil durch regelmäßige körperliche Aktivität und vermehrten Konsum von frischen Gemüsen, Früchten und Fisch zeigen einen hohen gesundheitlichen Nutzen. Das ist durch viele Studien belegt. Die Weltgesundheitsorganisation (2002) und die neuen Europäischen Leitlinien zur Vorbeugung gegen Herz-Kreislauf-Krankheiten (2012) stellen fest, dass etwa zwei Drittel der Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch einen gesunden Lebensstil vermieden werden könnten.

Anders bei Nahrungsergänzungsmitteln: Hier gibt es keinen Nachweis für eine herzschützende Wirkung. Einzelne Studien zeigen, dass  Nahrungsergänzungsmittel sogar eine schädliche Wirkung haben könnten. Das heißt, im Einzelfall können sie mehr schaden als nützen. Deshalbkann man für diese Produkte keine Empfehlung aussprechen.

Wer sich auf Nahrungsergänzungsmittel verlässt, wiegt sich in falscher Sicherheit. Man meint, nicht mehr auf einen gesunden Lebensstil achten zu müssen. Manche Patienten setzen sogar die verordneten Medikamente ab, weil sie sich durch die Nahrungsergänzungsmittel geschützt fühlen. Eine solche Einstellung kann fatale Folgen haben.

Autor: PD Dr. med. Oliver Weingärtner, Universitätsklinikum des Saarlandes, Klinik für Innere Medizin III, Abteilung für Kardiologie, Angiologie und internistische Intensivmedizin, Homburg/Saar

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