Das Thema Vertragsverhandlungen in der Automobilindustrie ist nach wie vor ein Dauerbrenner. Bieten „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ - AGB oder auch Lieferbedingungen genannt – eine Chance für Zulieferer zur Risikobegrenzung?
Ich würde generell niemandem raten, eine Lieferbeziehung ohne jegliche vertragliche Abrede bzw. Absicherung einzugehen, und zwar auch nicht einem Einkäufer. Daher lautet die Antwort grundsätzlich "Ja". Eine andere Frage ist, ob mir standardisierte Lieferbedingungen den Schutz gewähren, den ich mir wünsche. Hier bin ich etwas skeptischer. Eine angemessene Risikobegrenzung werde ich letztlich nur mit einer individuell ausgehandelten Vereinbarung erreichen. Dies gilt übrigens sowohl in rechtlicher als auch praktischer Hinsicht. Denn eine weitere Frage ist, ob ich mich mit meinen Lieferbedingungen gegenüber großen Kunden durchsetzen kann. Auch dies ist im Grundsatz schwierig, jedenfalls hängt dies auch von meiner Verhandlungsmacht gegenüber meinem Kunden ab. Das alles sollte mich allerdings nicht daran hindern, einen vertraglichen Wunschzettel bzw. eine Vertragsdokumentation bereitzuhalten, auf deren Grundlage ich zumindest in weitere Verhandlungen treten kann, selbst wenn ich die in meinen Lieferbedingungen geregelten Themen nicht in allen Punkten wie von mir gewünscht durchsetzen werde.
Welche Tipps und Tricks muss man als Zulieferer im Umgang mit umfangreichen Bedingungswerken beachten – Stichwort „Verhandlungstaktik“?
Das Thema stellt sich für Zulieferer und Einkäufer gleichermaßen. Generell gilt: Je umfangreicher die Vertragsdokumentation, desto eher besteht die Gefahr, dass sie unübersichtlich ist. Transparenz ist insbesondere bei standardisierten Vertragswerken auch ein wichtiges juristisches Gebot. Dies setzt allerdings voraus, dass ich mir die umfangreichen Regelungen durchlesen muss und auch sollte, zum einen um sie zu verstehen und zum anderen um für mich nicht passende Themen oder unangemessene Risiken zu erkennen. Wenn mir dann etwas nicht klar ist oder ich es anders geregelt haben möchte, sollte ich das offen ansprechen. Denn selbst wenn ich mich mit meinen Lieferbedingungen nicht durchsetzen kann, bedeutet das noch nicht, dass ich nicht doch bestimmte und für mich wichtige Themen in einer gesonderten Vereinbarung individuell adressieren und regeln kann. Es ist z.B. nicht unüblich, mit seinem Kunden in einer Ergänzungsvereinbarung oder einem sog. Side Letter ein gemeinsames Verständnis über bestimmte Dinge zu erzielen. Die Automobilindustrie ist für solche Verhandlungen durchaus offen, sie müssen nur tatsächlich geführt werden, zumal die Abhängigkeiten vielschichtig sein können. Wichtig ist auch, dass ich bestimmte Anforderungen, die an mich kundenseitig gestellt werden, einkaufsseitig weitergebe. Man darf nicht vergessen, dass derjenige, der liefert, in der Regel auch einkauft, es sei denn, er steht ganz am Anfang der Lieferkette.
Was sind die größten Unterschiede und Besonderheiten bei internationalen Verträgen?
Es beginnt schon mit einem ganz banalen Punkt: andere Länder, andere Sitten. Das gilt bereits bei der Vertragssprache, setzt sich aber auch in kulturellen Besonderheiten fort, was man vor allem bei Vertragsverhandlungen merkt. Ein Amerikaner, Brasilianer, Inder oder Japaner spricht nicht nur eine andere Sprache, er verhandelt auch anders. Auch in juristischer Hinsicht macht es einen großen Unterschied, ob der Vertrag z.B. nach einem angloamerikanischen (common law) oder kontinentaleuropäischen (civil law) Muster gestrickt ist. Hinzu kommt, dass die Vertragsparteien oft Dinge verhandeln, bei denen sie zwar davon ausgehen, dasselbe Verständnis zu haben, aber nicht merken, dass dem nicht so ist. Um nur ein Beispiel zu nennen: Der Ausschluss von sog. consequential damages hat in nahezu jeder Rechtsordnung eine eigenständige Bedeutung; umfasst das auch alle Schäden aufgrund Betriebsunterbrechung oder entgangenen Gewinns? Wenn man also über den Ausschluss solcher Schäden verhandelt, verhandelt man aneinander vorbei, wenn man nicht versteht, was ein solcher Ausschluss in der jeweils anderen Rechtsordnung bedeutet. Und wenn man nun meint, das sei lediglich ein transatlantisches Problem, irrt man gewaltig. Selbst zwischen dem deutschen und französischen Recht gibt es eklatante Unterschiede. Gleichwohl bin ich der Ansicht, dass wir uns gerade auch in der Automobilindustrie immer mehr zu einem globalen Rechtsmarkt mit globalen Verträgen bewegen. Das ist für mich die spannendste Herausforderung für Juristen.
Welches sind die größten Stolpersteine beim grenzüberschreitenden Vertragsschluss?
Auch hier beginne ich mit einem eher banalen Punkt: Welches Recht gilt überhaupt? Wir erleben nicht wenige Fälle, insbesondere auch in der Automobilindustrie, in denen das sog. UN-Kaufrecht als Teil des jeweiligen nationalen (Kauf-)Rechts anwendbar ist, weil man es nicht wirksam ausgeschlossen hat. Das ist an sich kein Problem, man sollte es nur wissen. Nicht minder entscheidend und damit zusammenhängend ist die Frage, ob meine Vertragsbestimmungen wirksam in die Lieferbeziehung einbezogen worden sind. Gerade im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr steht man am Ende oft "mit leeren Vertragshänden" dar. Auch dafür wird es in der Regel eine Lösung geben, nur steht diese dann eben nicht in einem Vertrag, sondern im Gesetz. Das gilt jedenfalls für den kontinentaleuropäischen Rechtskreis. Der Angloamerikaner tut sich da etwas schwerer, weil er davon ausgeht, dass alles, was man regeln will, in einem Vertrag steht. Auch dazu ein konkretes Beispiel: Der sofortige Abbruch einer Lieferbeziehung ist in der Automobilindustrie ein großes Problem. Welchen Schutz habe ich aber, wenn dazu vertraglich nichts geregelt ist? Der Deutsche oder Franzose hätte dazu etablierte Regeln und würde auf "Treu und Glauben" oder ähnliche Rechtsgrundsätze verweisen, während der Amerikaner oder Engländer sich eher auf den Standpunkt stellen würde, dass die Parteien sich offenbar bewusst nicht binden wollten, wenn sie das nicht geregelt haben. Auch beim Thema Mängel- bzw. Produkthaftung gibt es lokale Fallstricke, die man zumindest kennen muss. Man kann das alles aber auch positiv sehen: Die Stolpersteine lassen sich vertraglich in den Griff bekommen. Dies setzt nur voraus, dass dazu auch eine Bereitschaft besteht.
Autor: Dr. Patrick Ayad, M.Jur. (Oxford), ist Partner bei Hogan Lovells in München und Leiter der globalen Industriegruppe Automotive. Seine Schwerpunkte sind das nationale und internationale Handels- und Vertriebsrecht einschließlich regulatorischer Arbeit. Er berät Unternehmen insbesondere beim Gestalten und Verhandeln kommerzieller Verträge aller Art sowie bei Unternehmenstransaktionen. Dr. Patrick Ayad studierte Recht in München und absolvierte einen postgraduierten Masterstudiengang an der Universität Oxford mit Schwerpunkt englisches und internationales Vertragsrecht.
Kontakt: Elke Schneider, Senior-Konferenz-Manager EUROFORUM | XING