Vernetzte Industrie

08.05.2018Auto & ProduktionMittelstand, Plattformen, Digitale GeschäftsmodelleWie der Mittelstand von der Digitalisierung profitiert

von Dr. Franz Büllingen

Die Digitalisierung erfordert auch vom Mittelstand den Mut, seine Geschäftsmodelle zu verändern. Dabei geht es um mehr als den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit: Der digitale Wandel bietet Chancen, die gerade kleine und mittlere Betriebe nutzen sollten.

Mächtige Kunden: Warum ein digitales Geschäftsmodell wichtig ist

Die Digitalisierung verändert die Erwartung der Kunden: Gut informiert und vernetzt, verlangen sie höhere Qualität und maßgeschneiderte Produkte zum Preis von Massenwaren. Selbst gestaltete Farben oder Schriftzüge sind nur der Anfang. Insgesamt verleiht das digitale Zeitalter den Kunden mehr Macht. Unternehmen, die auf dem Markt bestehen wollen, müssen Kundenwünsche und den Wettbewerb analysieren und ihr Geschäftsmodell -wenn nötig- anpassen. Zum Glück bietet die Digitalisierung genau die Instrumente, um sowohl den neuen Anforderungen gerecht zu werden als auch neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln oder neue Erlösquellen zu erschließen.

Plattformen für individuelle Produkte und Kooperation nutzen

Eine wichtige Technologie für neue Geschäftsmodelle sind digitale Plattformen. Bereits heute gibt es Produktionsbetriebe, deren Kunden per Online-Konfigurator selbst mechanische Komponenten entwerfen können oder Dienstleister, die jeden noch so speziellen Produktwunsch dank einer flexiblen Produktion erfüllen können. Auf diese Weise kamen durch Plattformen viele Neugründungen zustande, etwa im Motorradbau oder in der Ersatzteilfertigung. Dieser Trend wird durch den Erfolg der sogenannten additiven Fertigungsverfahren, unter denen der 3D-Druck am bekanntesten ist, verstärkt. Sie stellen das herkömmliche Vorgehen des produzierenden Gewerbes in der Fertigung von Gütern auf den Kopf. Während bei gewöhnlichen Fertigungsverfahren durch Schleifen, Fräsen und Drehen Material weggenommen wird, um ein Produkt herzustellen, setzen 3D-Drucker ein Produkt zusammen, indem sie die benötigten Materialien schichtweise zusammenfügen bzw. auftragen. So können sie besser geometrisch komplexe Strukturen anfertigen, die bei individuellen Produkten erforderlich sind. Additive Fertigungsverfahren machen es also durch ihre Flexibilität möglich, den Wunsch der Kunden nach individuell gestalteten Produkten zu erfüllen.

Digitale Plattformen erleichtern es dem Mittelstand zudem, sich zu vernetzen. Das ist gerade für kleine Firmen ein Vorteil, denen oft die Produktionskapazitäten für einen Großauftrag oder das Know-how zur Fertigung individueller Produkte fehlen. Bisher mussten sie viel Geld investieren, um ihren Maschinenpark aufzurüsten. Nun können sie über Plattformen mit Partnern zusammenarbeiten. Ein Beispiel: Ein Betrieb bekommt einen Großauftrag angeboten. Ihm fehlen jedoch 500 Maschinenstunden, um den Liefertermin einzuhalten. Früher hätte der Betrieb den Auftrag ablehnen müssen. Heute kann er diesen annehmen, wenn er Kooperationen mit anderen Betrieben über eine Plattform eingeht. Der Betrieb informiert seine Partner über die Plattform, dass er 500 Maschinenstunden benötigt. Sie stellen ihm ihre freien Anlagenkapazitäten zur Verfügung und profitieren insofern, als dass sie den Stillstand ihrer Anlagen in Gewinn ummünzen. Durch Kooperationen über digitale Plattformen können kleine Betriebe also ihre Produktionskapazitäten vergrößern. Eine andere Möglichkeit besteht für sie darin, ihr Angebotsportfolio um individuelle Produkte zu erweitern, indem sie zum Beispiel Partner mit speziellem Fertigungswissen einbinden. Gemeinsam können sie so ihre Marktposition auch gegenüber größeren Unternehmen stärken.

Dienstleistungen: viel Spielraum für neue Geschäftsideen

Neben der Produktion selbst entstehen auch  bei den damit verbundenen Dienstleistungen neue Geschäftsfelder. Ein Beispiel ist Fernwartung, die etwa Maschinenhersteller als Service anbieten können. Tritt ein Problem mit den Anlagen beim Kunden auf, können sie per Fernzugriff die Anlagen steuern und schneller als bisher handeln. Außerdem können sie Sensoren nutzen, um Probleme frühzeitig zu erkennen oder Ausfälle gänzlich zu verhindern. Optimale Wartungsintervalle und geringere Stillstandszeiten sind die Folge.

Auch für Beratungen stehen die Chancen gut: Ein bereits etablierter Markt, auf dem aber noch Potenzial vorhanden ist, umfasst die Auswertung der Datenströme mit geeigneten Analyse- und Interpretationsverfahren. Mithilfe spezialisierter Anbieter können Unternehmen einen Mehrwert aus den digitalen Datenströmen erzielen. Was nützt ein Datenschatz, wenn man keinen Gewinn daraus ziehen kann? Neue Beratungsfelder entstehen weiterhin rund um die Fragen zu Recht, Sicherheit und den Technologien selbst. Mit dem digitalen Wandel der Produktion ändern sich zudem die Anforderungen an die Belegschaft. Sie muss künftig regelmäßig für neue Anwendungen geschult werden, so dass sich Qualifizierungsangebote wie Webinare oder Vor-Ort-Schulungen als Geschäftsmodelle auftun.

Fazit: Chancen in den Fokus rücken

Ohne Zweifel ist in vielen deutschen mittelständischen Betrieben in Sachen Digitalisierung noch Luft nach oben: Volle Auftragsbücher, Herausforderungen wie der Generationenwechsel oder Angst vor Veränderung stehen dem digitalen Wandel oft noch im Weg. Der Blick hinter die Kulissen zeigt jedoch, dass neue Chancen für den Mittelstand entstehen. Es lohnt sich, sie stärker in den Blick zu rücken und damit Anreize zum Handeln zu schaffen.
 

Dr. Franz BüllingenDr. Franz Büllingen
Leiter der Begleitforschung
Mittelstand-Digital

 

 

 

Dieser Beitrag ist Teil der aktuellen Ausgabe des Handelsblatt Journals „Die vernetzte Industrie – digital, smart, integriert“, das Sie hier erhalten können