Veränderungsdynamik in der Automobilbranche

02.01.2017Auto & ProduktionAutomobilzulieferer, Neue Technologien, ZulieferbrancheHohe Investitionen stellen Zulieferer vor neue finanzielle Herausforderungen

von Hans Günter Wolf, Martin Steidle* & Volker Ruhl*

Die Zukunft der Automobilbranche wird derzeit im Wesentlichen von mehreren Trends bestimmt, die allesamt nicht neu sind, aber nunmehr gebündelt und in einer nie zuvor beobachteten Geschwindigkeit auftreten und umgesetzt werden.

* Martin Steidle und Volker Ruhl arbeiten als Director bzw. Vice President bei der B. Metzler GmbH


Zum einen rücken neue Technologien wie die Elektrifizierung des Antriebsstrangs immer mehr in den Vordergrund. Gleichzeitig kämpft die Automobilwirtschaft mit einer steigenden Komplexität in der Produktion. Der Einzug der Connectivity in die Fahrgastzelle erhöht die Produktionsanforderungen und führt überdies zu mehr Kombinationsmöglichkeiten für neue Funktionen wie Assistenz-, Sicherheits- und Komfortsysteme. Der Wunsch nach Individualität in Verbindung mit immer kürzeren Entwicklungszyklen stellt die OEMs und insbesondere die Zulieferer vor enorme Herausforderungen. Ebenso herausfordernd ist auch die kontinuierliche Internationalisierung der Branche mit neuen Fertigungsstandorten in der Nähe stark wachsender Absatzmärkte. In Verbindung mit der Digitalisierung bestehender Produktionstechnologien führt dies zu einem enormen Investitionsbedarf.

Steigende Anforderungen an die Zulieferer erhöhen Chance zur Differenzierung
Experten gehen in Marktstudien davon aus, dass sich die von deutschen OEMs und Zulieferern getätigten Aufwendungen für Investitionen im Fahrzeugbau mit dem Ziel, Produkt- oder Prozessinnovationen zu entwickeln und einzuführen, in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt haben. Die Zulieferer spielen bei den Investitionen in neue Technologien und Prozesse eine immer größere Rolle. Dies wird insbesondere beim Blick auf die Entwicklung des durchschnittlichen Wertschöpfungsanteils der Zulieferer am Automobilbau deutlich, der in den letzten Jahren sukzessive gestiegen ist. Für das Jahr 2015 gehen Branchenkenner von einem Wertschöpfungsanteil der Zulieferer weltweit von über 80 % aus. Im Jahr 2000 lag der Anteil bei lediglich 69 %.

Experten gehen in Marktstudien davon aus, dass sich die von deutschen OEMs und Zulieferern getätigten Aufwendungen für Produkt- oder Prozessinnovationen in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt haben.

Das Chance-Risiko-Profil für die Automobilzulieferer fällt allerdings sehr unterschiedlich aus. Reine Nischenanbieter sind seltener geworden. Die von den OEMs gestrafften Bezugsketten haben in Verbindung mit dem Ausbau von Einkaufsverbünden die Margen der Zulieferer immer stärker unter Druck gesetzt. Ein Blick auf die EBIT-Margen deutscher Zulieferer 2011 bis 2015 belegt einen Rückgang um 1 %-Punkt auf 5,9 %. Immer wichtiger wird es, die Produktpalette und Geschäftsbereiche auf ihre Zukunftsfähigkeit zu überprüfen. Viele Zulieferer setzen daher darauf, den „Content pro Fahrzeug“ zu erhöhen, um bei den OEMs langfristig als Partner sicher im Boot zu sitzen. Die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung bei deutschen Zulieferern stiegen zwischen 2011 und 2015 um durchschnittlich rund 11 % pro Jahr, sodass sie 2015 rund 7 % der Umsätze in FuE investierten.

Branchenführer mit ausreichenden finanziellen Ressourcen können die Konsolidierung fortsetzen
Ein immer größerer Anteil der Umsätze in Deutschland entfällt auf die Top-5-Zulieferer: Ihr Anteil an den Gesamtumsätzen der 50 größten Unternehmen ist bis 2015 kontinuierlich auf über 66 % gestiegen. Ähnlich haben sich die Umsätze der fünf größten Unternehmen in Europa entwickelt, die mittlerweile knapp 50 % der Gesamtumsätze auf sich vereinen. Große Zulieferer profitieren diesbezüglich vom Trend der OEMs zu Baukastensystemen, die global bedient werden müssen. Nur die großen Zulieferer und/oder Unternehmen mit Zugang zum Kapitalmarkt können mit dem Tempo der Internationalisierung ihrer Kunden mithalten.

Trotz der mit diesem globalen Wachstum verbundenen hohen Investitionen der Zulieferer ist die deutsche Zulieferbranche angesichts ihres geringen Verschuldungsgrads (Nebt Debt/EBITDA) von 1,3x flexibel genug, um weitere Investitionen zu schultern. Interessanterweise sind kleine Unternehmen noch weniger verschuldet, was u.a. an ihrer bislang zurückhaltenden Investitionstätigkeit liegen könnte. Die erforderlichen Investitionen, um das Geschäft zu internationalisieren, sind oftmals so hoch, dass sie für viele kleine Unternehmen nicht zu stemmen wären. Zudem sind insbesondere kleine Unternehmen mit Jahresumsätzen von unter 500 Mio. EUR mit einer Eigenkapitalquote von rund 34 % relativ schwach kapitalisiert.

Wie wichtig Größe in der Branche ist, lässt sich daran ablesen, dass die Rentabilität der großen Zulieferer über denen der restlichen Branchenvertreter liegt. Größe bedeutet Macht, und dies ist bei den alljährlichen Rabattkämpfen zwischen Herstellern und Zulieferern ein großes Plus.

2015 lagen die EBIT-Margen der deutschen Zulieferer mit einem Umsatz von über 500 Mio. EUR mit durchschnittlich rund 6 % um 1 %-Punkt über den Vergleichswerten kleinerer Zulieferbetriebe.

Die Dominanz der Branchenführer bei den F&EAufwendungen ist noch deutlicher. Mehr als 70 % der Ausgaben der 50 größten deutschen Zulieferer stammen von den Top-5-Unternehmen. Angesichts der oben beschriebenen Umwälzungsprozesse in der Automobilbranche kann dies ein entscheidender Wettbewerbsvorteil bei der Adaption von neuen Technologien sein.

Neue Technologien sind die treibende Kraft für Unternehmensübernahmen. Die Zahl der M&A-Transaktionen in der deutschen Automobilbranche stieg von 86 im Jahr 2013 auf 107 im Jahr 2015.

Neue Technologien sind zudem die treibende Kraft für Unternehmensübernahmen. So stieg die Zahl der M&A-Transaktionen in der deutschen Automobilbranche von 86 im Jahr 2013 auf 107 im Jahr 2015. Auch in diesem Jahr deuten die bisherigen Zahlen auf ein hohes Transaktionsvolumen und eine sich fortsetzende Konsolidierung. Vor allem Zulieferer mit innovativen Lösungen und disruptiven Technologien stehen mehr denn je auf der Wunschliste der Marktführer in Europa. Dabei richtet sich das Interesse vor allem auf Unternehmen mit Spezial-Know-how in den Bereichen Internet der Dinge, Elektronik & Komfort, E-Mobilität sowie Emissionsreduktion. Zwar ist das Umfeld für Unternehmensfinanzierungen derzeit günstig, mittel- bis langfristig könnte es aber vorteilhaft sein, solche Vorhaben über einen belastbaren Kapitalmarktzugang zu finanzieren. Auf der Eigenkapitalseite zeigt der Börsengang von Schaeffler im vergangenen Jahr, dass die Börsennotiz auch eine Finanzierungsoption für etablierte Konzerne sein kann. Auf der Fremdkapitalseite bietet es sich an, den Kapitalmarkt über Unternehmensanleihen oder Schuldscheindarlehen in Anspruch zu nehmen, um eine passgenaue, flexible Finanzierungslösung zu schaffen. Voraussetzung hierfür ist in der Regel aber ein Investmentgrade-Rating des Emittenten. Auch hier gilt also wieder: Die großen Spieler der Branche mit solider Bilanzstruktur und Kapitalmarktzugang haben deutlich mehr Optionen, die Zukunft zu gestalten.

Matthias Wissmann

 

Hans Günter Wolf
Geschäftsführer B. Metzler GmbH,
Metzler Corporate Finance

 

 

Dieser Beitrag ist Teil der aktuellen Ausgabe des Handelsblatt Journals „Die Zukunft der Automobilindustrie“, das Sie hier erhalten können: http://veranstaltungen.handelsblatt.com/journal/die-zukunft-der-automobilindustrie-download/