Was treibt Bürgermeister, Kommunalpolitiker und Entscheider aus kommunalen Unternehmen derzeit am meisten um?
Das ist ein Strauß von Themen wie die Energiewende, die demografische Entwicklung, die Konsolidierung der Haushalte, der Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ab 2020 und vor allen Dingen die Frage, wie geht es mit der Infrastruktur weiter? Hinzu kommt noch das Thema Breitbandausbau, es ist die Schlüsselinfrastruktur im 21. Jahrhundert und für unsere Wettbewerbsfähigkeit eminent wichtig. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau schätzt den Erneuerungsbedarf der kommunalen Infrastruktur auf 128 Mrd. Euro. In allen Politikbereichen zeigt sich ein Bedeutungsgewinn der Städte und Gemeinden. In der Lokalität, in der Region müssen die Probleme gelöst werden durch Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und mehr Effizienz. Starke Kommunen braucht das Land. Bund und Länder müssen den Kommunen mehr finanzielle Spiel- aber vor allen Dingen mehr Gestaltungsräume einräumen.
Stichwort Bürgerbeteiligung – auf welche Art und bei welchen Projekten sollten Bürger bei kommunalen Infrastrukturprojekten heute mehr beteiligt werden als vor beispielsweise 10 Jahren?
Ohne eine frühzeitige Bürgerbeteiligung wird es insbesondere Großprojekte in Deutschland nicht mehr geben. Und das ist auch richtig so. Wir dürfen Bürgerinnen und Bürger nicht als Verhinderer oder gar Störer betrachten, sondern als Quelle des Wissens, ihre Ideen und Erkenntnisse müssen in Projekte mit einfließen können. Deshalb ist es wichtig, frühzeitig zu informieren, die Menschen bereits bei der Ideenfindung mit zu beteiligen. Gerade die informelle Kommunikation ist wichtig. Das heißt, wir müssen in der Verwaltung ein stärkeres Gewicht auf Kommunikationskonzepte legen. Kommunikation ist bei einem Bauprojekt genauso wichtig wie die Statik. Funktioniert die Kommunikation nicht, "fällt das Projekt zusammen". Deswegen müssen künftig auch die Kosten für die Kommunikation mit in die Förderkosten eingerechnet werden.
Die Stadtwerke müssen die Energiewende vor Ort umsetzen. Wie können Kommunen und Stadtwerke das am besten bewerkstelligen und welche Hilfe brauchen sie dazu vom Bund?
Die Stadtwerke spielen bei der Energiewende eine wichtige Rolle. Ihr Anteil an der Stromversorgung beträgt im Bereich der Erneuerbaren Energien heute schon 11,4 Prozent und im Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung sogar 43,5 Prozent. Aktuell befinden sich mehr als 20.000 Megawatt (MW) im Betrieb durch deutsche Stadtwerke, was im Vergleich zu 2011 einen Anstieg von 3,6 Prozent bedeutet. Der Anteil Erneuerbarer Energien lag im letzten Jahr noch bei 8,7 Prozent, der Anteil wird also weiter steigen. Neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien spielt auch die künftige Versorgungsstruktur eine wichtige Rolle. Das Stichwort lautet hier Dezentralität und damit kommen auch die Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger mit ins Spiel. In Kommunen gründen sich Bürgerenergiegenossenschaften. Vor Ort geht es vor allem darum, Wertschöpfungseffekte zu schaffen, z.B. in Form von Arbeitsplätzen. In den kommenden Monaten stehen insbesondere auf der Bundesebene wichtige Entscheidungen an, was zum Beispiel die Neujustierung der Förderung der Erneuerbaren Energien, den Ausbau der Netzstruktur, die Netzentgelte, die Bereitstellung von Reservekapaziäten betrifft. Stadtwerke und Kommunen brauchen an dieser Stelle verlässliche Rahmenbedingungen, um die notwendigen Investitionen in den Bereichen zu ermöglichen. Vor allen Dingen geht es auch um mehr Markt. Eine tiefgestaffelte Planwirtschaft können wir uns bei der Energieversorgung nicht leisten.
Erst Hamburg, dann Berlin - welche Chancen und Risiken birgt der Trend zur Rekommunalisierung der Daseinsvorsorge?
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Fragen der Rekommunalisierung in erster Linie vor Ort entschieden werden müssen. Seit 2007 sind allein 60 Stadtwerkeneugründungen und über 170 Netzübernahmen durch kommunale Unternehmen zu verzeichnen. Die Zahl wird weiter steigen. In der Tat verzeichnen wir derzeit einen Trend zur Rekommunalisierung. Das gilt zum Beispiel auch für den Bereich der Abwasser- bzw. Müllentsorgung. Es zeigt sich, dass die Menschen die Wahrnehmung wichtiger Versorgungsfunktionen in der Verantwortung ihrer Stadt, ihrer Gemeinde sehen wollen. Sie wollen Einfluss nehmen können. Eigentumsverhältnisse und Abläufe sollen überschaubar sein. Dabei ist es sinnvoll, dass jede Gemeinde eine Entscheidung über die Rekommunalisierung sorgfältig prüft, d.h. insbesondere finanzielle bzw. wirtschaftliche Risiken abwägt, damit vor Ort die jeweils günstigste Lösung für die Bürgerinnen und Bürger gefunden werden kann. Gerade an der Stelle kann es sinnvoll sein, eine Zusammenarbeit mit vorhandenen Stadtwerken oder anderen Gemeinden in Form der interkommunalen Kooperationen anzustreben. Neben strategischen Vorteilen (vorhandenes Fachwissen und Know-How, Gewinnabführungen, steuerliche Effekte etc.) kann auf diese Weise mehr Kostensicherheit während der Vertragslaufzeit und eine Risikoteilung erreicht werden. Die Daseinsvorsorge der Kommunen ist ein zentralen Erfolgselement unser Gesellschaft. Gerade in Zeiten der Finanzkrise und der Globalisierung ist eine solche Rückbesinnung richtig.
Neben einem Trend zu mehr Bürgerbeteiligung ist auch ein Trend zu mehr Bürgerengagement festzustellen. Denken Sie, dass diese Modelle die Zukunft sein werden?
Absolut. Nur so können wir die Bürgergesellschaft verwirklichen. Mitmachen und Teilhaben sind Trends, die auch die Politik verändern werden. Wir sind auf dem Weg vom Vater Staat hin zum Bürgerstaat. Das Engagement der Bürgerinnen und Bürger für ihre Stadt oder Gemeinde ist ungebrochen. Das gilt auch für junge Menschen. Allerdings ändern sich die Formen. Projektbezogene Aufgaben auf Zeit rücken in den Vordergrund. Auf diese Entwicklung müssen wir uns in der Kommune einstellen, nicht erst morgen, sondern bereits jetzt. Die Politik ist gut beraten, das soziale Kapital in den Kommunen zu identifizieren, den Menschen Freiräume und Möglichkeiten zum Mitmachen anzubieten. Es sind die drei B´s wie Bürgerwissen, Bürgerdienstleistungen und Bürgerkredit, die in Zukunft eine bedeutendere Rolle gerade in der Kommunalpolitik spielen werden. Das Thema Crowdfunding - damit ist gemeint, dass Bürgerinnen und Bürger über Plattformen Geld zum Beispiel für Infrastrukturprojekte in der Kommune zur Verfügung stellen - wird auch auf der Konferenz Neustart Kommune 2014 eine wichtige Rolle spielen. Da gibt es schon sehr schöne Beispiele in Deutschland. Auch das Gardening-Projekt in der Stadt Andernach ist bemerkenswert. Dort hat die Stadt Flächen mitten in der Stadt zur Bewirtschaftung durch die Bürger freigegeben und siehe da: Viele Menschen nutzen diesen Garten, bauen dort Gemüse an, ernten und behandeln ihn pfleglich.
Das Jahr 2014 ist auf kommunaler Ebene ein „Super-Wahljahr“. Werden im Kommunalwahlkampf 2014 soziale Medien und das Internet eine größere Rolle spielen?
Bestimmt. 2014 haben wir in Deutschland 11 Kommunalwahlen. So viele wie noch nie in einem Jahr. Knapp 100.000 Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker werden neu oder wiedergewählt. Da findet ein Generationswechsel statt. Das Internet und insbesondere die sozialen Medien sind aus der Politik und damit auch aus künftigen Wahlkämpfen nicht mehr wegzudenken. Menschen können sich vernetzen, Meinungen austauschen, mobilisieren. Politiker können gerade junge Menschen auf neuen Wegen erreichen, für ihre Positionen werben und sich dem Dialog stellen. Für die Kandidaten sind soziale Medien ein besonders Instrument der Bürgeransprache. Einen reinen Internetwahlkampf wird es aber nicht geben. Das Internet ist ein komplementäres, wenn auch immer wichtiger werdendes Instrument zur Kommunikation. Die Glaubwürdigkeit der Politiker hängt auch davon ab, solche Instrumente nicht nur für Wahlkampfzwecke einzusetzen, sondern auch darüber hinaus für eine offene und dialogorientierte Kommunikation auch in sozialen Netzwerken zu sorgen. Transparenz ist notwendig, ja sie wird in einer komplexen Gesellschaft immer wichtiger.
Die Klagewelle um Kita-Plätze ist ausgeblieben. Wird dieses Thema nun im Sande verlaufen?
Die Kommunen in Deutschland habe große Anstrengungen unternommen, ausreichende Betreuungsplätze mit Beginn des Rechtsanspruchs zum
1. August bereitzustellen. Die angepeilte Zahl von 780.000 Plätzen wurde übertroffen, auch wenn es in einzelnen Kommunen noch Probleme gibt. Es bleibt aber weiterhin viel zu tun. So müssen wir verstärkt in die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher investieren. Auch haben wir zu wenige Kräfte. Kinderbetreuung und Bildung sind Schwerpunkte auch unserer künftigen Arbeit.
Danke für das Interview!
Autor: Franz-Reinhard Habbel, Sprecher, Deutscher Städte- und Gemeindebund
Kontakt: Elke Schneider, EUROFORUM | Elke Schneider auf XING