Frau Förster, auf dem Getränkekongress 2014 stiften Sie zu mehr Querdenken im Wirtschaftsalltag an. Nun kann aber nicht jeder ein Querdenker sein. Ist das Traditionelle, das Herkömmliche so schlecht?
Das Traditionelle per se ist überhaupt nicht schlecht. Problematisch wird es immer dann, wenn es zum Dogma wird. Verhaltensmuster, die bislang funktionierten und die den Erfolg des Unternehmens begründet haben, dürfen nicht den Status der Unberührbarkeit haben. Die Bereitschaft, Herkömmliches permanent auf den Prüfstand zu stellen, muss daher zur Selbstverständlichkeit werden. Deshalb müssen wir in den Unternehmen bunte Hunde zulassen. Vielfalt ist die Grundlage des Lebens. Variantenreichtum, nicht Einheitlichkeit, ist die Grundlage für Erfolg. Damit das kein hohles Gerede bleibt, müssen Unternehmen eine Ideendemokratie zulassen, die die offene Diskussion über abweichende Meinungen nicht als machtzersetzend scheut, sondern als zukunftsentscheidend sucht.
Kann man ein Querdenker werden oder gilt: entweder man ist es oder nicht?
Der Antrieb muss aus mir selbst kommen. Aber ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass die Fähigkeit zum Querdenken ein angeborenes Talent ist, das man entweder hat oder nicht. Es ist vielmehr eine persönliche Bereitschaft und eine grundlegende Einstellung zur Arbeit und zum Leben. Dazu gehört neben einem wachen Verstand vor allem Risiko- und Lernbereitschaft. Und es verlangt die persönliche Stärke, auch Niederlagen einzustecken und sich selbst immer wieder kritisch zu hinterfragen, ob man auf dem richtigen Weg ist. All das erfordert Veränderungsbereitschaft und den Willen, auf dem Höhepunkt des Erfolgs schon etwas Neues zu wagen, das Neue auch zu wollen, obwohl nicht sicher ist, dass es denselben Erfolg haben wird wie das Alte.
Bestehende Pfade zu verlassen, ist mit Risiko verknüpft. Der Hunger nach Veränderung, nach der Schaffung von etwas Außergewöhnlichem birgt also auch große Gefahren, oder?
Die größte Gefahr ist nicht das Risiko, das mit dem Erschaffen von Außergewöhnlichem verbunden ist. Die größte Gefahr ist, dass der eigene Erfolg uns träge macht und bestehende Erfolgspfade zu achtspurigen Autobahnen zementiert werden, die immer nur eine Richtung kennen: Weiter so wie bisher. Natürlich spielt Mut auch eine wichtige Rolle. Es erfordert Mut, die Autobahn zu verlassen und neue Wege zu erkunden. Mut gibt uns die Kraft, das Bekannte und Vertraute loszulassen.
Was ist für Sie ein typisches Beispiel für einen erfolgreichen Querdenker?
Mich hat die Begegnung mit Bertrand Piccard sehr inspiriert. Was mich fasziniert, ist sein Vorhaben, mit dem Solarflugzeug „Solar Impulse“ die Welt zu umrunden. Er ist ein Querdenker par excellence und verfolgt zudem ein gewagtes Unterfangen, denn der aus Sonnenenergie gewonnene Strom muss auch für die Nachtflüge reichen. Als ich mit ihm über sein Projekt gesprochen habe, war schnell klar, dass es ihm nicht um ein Abenteuer geht, sondern um eine revolutionäre Idee, verknüpft mit einem gesellschaftsverändernden Anspruch. Übrigens sind nicht wenige Menschen der Überzeugung, dass dieses Vorhaben unmöglich ist. Aber genau das zeichnet Querdenker und Visionäre aus. Ihre Ideen erscheinen ungeheuerlich, fast schon verrückt. Aber nur Menschen, die verrückt genug sind zu glauben, dass sie die Welt verändern können, werden es eines Tages tun.
Autorin: Anja Förster | www.foerster-kreuz.com
Das Interview führte Ingrid Della Giustina | Ingrid Della Giustina auf XING