Das Steuerrecht spielt im derzeitigen Entwurf des Koalitionsvertrages eine untergeordnete Rolle. Gibt es im Bereich des Umsatzsteuerrechts dort anvisierte Neuregelungen?
Zum einen wird mitgeteilt, dass - entgegen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - die sogenannten Beistandsleistungen zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts durch eine Regelung im Gesetz von der Umsatzsteuer befreit werden sollen. Ob dieser Schritt im Einklang mit den Vorgaben der europäischen Mehrwertsteuerrichtlinie steht, vermag ich nicht abzusehen. Jedenfalls muss der gesamte Bereich der Umsatzbesteuerung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts umfassend reformiert werden.
Die weitere Aussage zur Umsatzsteuer betrifft die Missbrauchsbekämpfung - hier wird angekündigt, dass man umfassend vom sogenannten Schnellreaktionsmechanismus Gebrauch machen wird. Das heißt, für einzelne Wirtschaftszweige oder Güter oder Dienstleistungen kann eine Verlagerung der Steuerschuld angeordnet werden. Natürlich können gerade die steuerehrlichen Unternehmen der Missbrauchsbekämpfung dem Grunde nach nur zustimmen. Leider zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass solche Sonderregelungen gesetzgeberisch schlecht gemacht und die Lösungsversuche der Finanzverwaltung nicht gerichtsfest sind. So hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass die Zehn-Prozent-Grenze zur Ermittlung der nachhaltigen Erbringung von Bauleistungen kein taugliches Merkmal ist. Auch die Neuregelung des Handels mit Strom und Gas, die weitgehend erst durch Verwaltungsanweisungen konkretisiert wird, dürfte vor dem BFH keinen Bestand haben.
Hinzu kommen verfassungsrechtliche Bedenken: Die Steuerschuldnerschaft ist im Gesetz geregelt. Das normale Gesetzgebungsverfahren mit dem Verweis an die Ausschüsse ist aber für eine wirklich schnelle Reaktion zu langsam. Möglicherweise wird darüber nachgedacht, das Gesetz hinsichtlich derSteuerschuldnerschaft durch Verordnung zu ändern. Bei allem Respekt vor der Missbrauchsbekämpfung – es ist bedauerlich, wenn ein Rechtsstaat die Rechtssicherheit, gerade auch der Steuerehrlichen, drastisch verringert, obwohl die Erfolgsaussichten der Maßnahmen zweifelhaft sind.
Bald ist Weihnachten – Die Neuregelung welcher Thematik steht ganz oben auf Ihrem Wunschzettel?
Deutschland braucht dringend eine gesetzliche Neuregelung der umsatzsteuerlichen Organschaft, damit in diesem Bereich endlich wieder Rechtssicherheit eintritt.
Die Regelung der ermäßigten Mehrwertsteuersätze – zum Beispiel die Differenzierung zwischen Hundefutter mit oder ohne Rauch-Aroma – sorgt für Kopfschütteln. Sehen Sie hier in absehbarer Zeit Verbesserungen?
Nein. Bereits der im Jahr 2005 erfolgte Versuch der Kommission, den Anwendungsbereich der ermäßigten Steuersätze zu verkleinern, hat nicht nur zu einem einstimmigen Aufschrei fast aller Länder geführt, sondern auch zu neuen Begehrlichkeiten. Wenn Staat A einen ermäßigten Steuersatz auf (Damen-)Hygiene-Artikel anwendet, will Staat B das auch, und zusätzlich für Erwachsenen-Windeln. Zu Beginn der abgelaufenen Legislaturperiode hat derFinanzminister ja untersuchen lassen, welche Auswirkungen eine völlige oder teilweise Abschaffung der ermäßigten Steuersätze hätte. Man kam zu dem Ergebnis, dass die ermäßigte Besteuerung von Lebensmitteln den weitaus größten Steuerausfall (gegenüber der Besteuerung mit dem normalen Steuersatz) verursacht, eine Regelbesteuerung von Lebensmitteln aber politisch nicht durchsetzbar ist. Für den ganzen Rest, so wird kolportiert, lohne der mögliche Ertrag nicht, sich mit den jeweiligen Interessengruppen anzulegen.
Im Mai findet die Europawahl 2014 statt. Könnten hieraus Konsequenzen für die deutsche Umsatzsteuerpraxis entstehen?
Das ist eher unwahrscheinlich, jedenfalls kaum direkt. Allerdings wird ja auch eine neue EU-Kommission bestellt, und das könnte theoretisch mittelfristig Einfluss auf das deutsche Umsatzsteuerrecht haben. Allerdings haben die Vorschläge der jetzt amtierenden Kommission kein Verfallsdatum wieGesetzesentwürfe am Ende einer Legislaturperiode in Deutschland. Ich denke, dass die Finanztransaktionssteuer auch unter einer neuen Kommission ein Thema bleiben wird, ebenso die umsatzsteuerliche Behandlung von Gutscheinen und die Besteuerung der öffentlichen Hand oder – mit geringen Chancen der Umsetzung - die einheitliche Steuererklärung.
Die VAT-Expert-Group und das EU-VAT-Forum tauschen sich bereits auf EU-Ebene aus. Welche weiteren Maßnahmen müssen her, damit grenzüberschreitende Umsatzsteuer-Problemstellungen gelöst werden?
Ich begrüße die Initiative der Kommission sehr, ebenso die Teilnahme nahezu aller Mitgliedstaaten (trotz bekannter Personalmangel-Situationen). Hier sollten wir zunächst gegenseitiges Vertrauen aufbauen, um – ungeachtet der in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlichen Kommunikation zwischen Verwaltung und Steuerpflichten - gemeinsam Lösungen zu finden. Auch der Mehrwertsteuerausschuss trägt zur Rechtsvereinheitlichung bei, allerdings sollte das Verfahren noch transparenter werden. Wünschenswert, aber ohne Änderung der EU-Verträge nicht möglich und deshalb derzeit unrealistisch, wäre eine Entlastung des EuGH durch die Einrichtung eines vorgelagerten erstinstanzlichen europäischen Gerichts speziell für Steuer- und Zollfragen.
Autor: Ralph E. Korf, Rechtsanwalt, Steuerberater
Das Interview führte: Janina Schabelon, Senior-Konferenz-Managerin | Janina Schabelon bei XING