Das größte Alleinstellungsmerkmal klassischer Versicherungen ist unseres Erachtens die Möglichkeit des Risikoausgleichs im Kollektiv und in der Zeit, also die Glättung von Erträgen durch Ausgleich zwischen verschiedenen Kunden und zwischen verschiedenen Zeiträumen. Dies führt zu einer Stabilität der Erträge, die bei vergleichbarer Rendite nirgendwo anders gefunden werden kann.
In Verbindung mit den heute üblichen Garantien wird dieses System aber unter Solvency II sehr teuer. Daher erwarten wir, dass das Grundsystem der klassischen Versicherung künftig mit anderen Garantiearten kombiniert wird. Aktuell werden hierbei oft so genannte Abschnittsgarantien diskutiert, bei denen ein Garantiezins beispielsweise alle 10 Jahre neu festgesetzt wird.
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Alternativ sind auch Produkte denkbar, bei denen der Kunde nach wie vor eine Garantie über die gesamte Laufzeit erhält. Die Art der Garantie ist aber verstärkt endfällig. Die bei Vertragsabschluss garantierte Ablaufleistung, prognostizierte Ablaufleistung und garantierten Rückkaufswerte sind hierbei unverändert zu heutigen Produkten. In den vom Kunden bei Vertragsabschluss wahrgenommenen und für ihn wichtigen Eigenschaften bietet diese neue Klassik also die gleichen Leistungen wie die heutige Klassik. „Unterwegs“ kann die Entwicklung – insbesondere in sehr schlechten Jahren – aber anders ausfallen als bisher. Dies reduziert das Risiko und somit auch das vorzuhaltende Solvenkapital für den Versicherer signifikant. Umgekehrt hat der Versicherer durch die geringeren Eigenkapitalkosten aber mehr Spielraum bei der Kapitalanlage, sodass in „normalen“ Jahren die Kapitalerträge etwas höher ausfallen sollten als bei bisherigen Produkten. Eine solche „neue Klassik“ hat das Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften für einen Versicherer in der Schweiz entwickelt und erfolgreich umgesetzt. Es bleibt abzuwarten, ob auch deutsche Versicherer diesen Weg gehen werden oder eher auf Abschnittsgarantien setzen werden.
Produktinnovationen konzentrierten sich bisher größtenteils auf die Ansparphase. In einer alternden Gesellschaft wird es in Zukunft aber auch immer mehr Rentner geben. Da Kunden unterschiedlich sind, ist aber auch für die Rentenbezugsphase eine größere Produktvielfalt wünschenswert. Wir erwarten daher Innovationen in der Rentenbezugsphase v.a. in drei Bereichen:
Erstens gehen wir davon aus, dass es künftig auch verstärkt fondsgebundene Garantiekonzepte in der Rentenbezugsphase geben wird. Der Kunde hat dann die Wahl auf einer Skala zwischen „hohe garantierte Rente mit geringer Chance auf Rentensteigerung“ und „niedrige garantierte Rente mit hoher Chance auf Rentensteigerung“.
Zweitens erwarten wir, dass verstärkt Renten mit der Möglichkeit einer Gesundheitsprüfung bei Rentenbeginn angeboten werden. Wird dann bei Rentenbeginn eine unterdurchschnittliche Lebenserwartung festgestellt, so wird die Rente entsprechend erhöht. Dies wäre eine Lösung für das Dilemma, dass Kunden, die nicht mehr gesund sind, derzeit nur die Wahl haben, entweder eine Rente mit für sie ungünstigem Preis-Leistungs-Verhältnis zu erhalten, oder (sofern überhaupt möglich) das Kapital auszahlen zu lassen und den Steuervorteil der Verrentung zu verlieren.
Drittens erwarten wir Produkte mit einer höheren Flexibilität nach Rentenbeginn. Es ist beispielsweise möglich, Rentenprodukte mit folgenden Eigenschaften zu entwickeln: Das Guthaben des Kunden ist auch nach Rentenbeginn individuell dem einzelnen Kunden zugeordnet. Aus seinem eigenen Guthaben bekommt der Kunde dann jeden Monat eine Rente bezahlt. Der Kunde profitiert von Überschüssen bzw. steigenden Fondskursen, indem sein verfügbares Kapital und ggf. auch die Rente steigen. Der Kunde kann jederzeit über sein Geld verfügen – auch nach Rentenbeginn. Ein bei Tod noch vorhandenes Restguthaben kann an Hinterbliebene vererbt werden. Wenn jedoch das Guthaben bereits zu Lebzeiten des Kunden aufgebraucht ist, zahlt der Versicherer die Rente weiter bis zum Tod. Für diese Garantie gibt es eine transparente Garantiegebühr.
Solange das Guthaben des Kunden noch nicht aufgebraucht ist, verhält sich das Produkt also exakt wie ein Bankprodukt. Erst, wenn der Kunde länger lebt, als sein Geld reicht, kommt die Versicherungsgarantie zum Tragen. Im Rahmen von Variable Annuities amerikanischer Prägung sind solche Produkte bereits am Markt. Es ist aber grundsätzlich möglich, diese Eigenschaften auch in typisch deutsche Produkte einzubauen. Wir sind überzeugt, dass diese Flexibilitäten vielen Menschen den Schritt einfacher machen, sich gegen das Risiko abzusichern, länger zu leben als das Geld reicht.
Autor: Prof. Dr. Jochen Ruß, Geschäftsführer, Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften
Kontakt: Dipl.-Volksw. Utta Kuckertz-Wockel, Senior-Konferenz-Managerin bAV/Versicherungen