Vor welchen Herausforderungen stehen Groß-, Direkt- und regionale Banken aktuell und zukünftig, und warum sollten Entscheider/innen Chancen von Ökosystemen und Chancen des Open Bankings für sich nutzen?
Digitalisierung bedeutet im Kern Individualisierung. Kunden sind es gewohnt, aus einer Vielzahl von Optionen diejenigen auszuwählen, die optimal ihre individuellen Bedürfnisse abbilden. Wir kennen das vom Smartphone. Dort individualisieren wir alle, selbst innerhalb der gewählten Option: Wir konfigurieren das Betriebssystem, stellen Apps nach unseren Bedürfnissen zusammen. Dazu kommt die Individualisierung auf Datenbasis, etwa Anbietervorschläge, die auf Filmen oder Musik basieren, die wir gesehen oder gehört haben.
Mit dieser Erwartungshaltung, perfekt individualisierte Leistungen angeboten zu bekommen, treten Kunden heute auch an Finanzdienstleister heran. Ganz selbstverständlich fordern sie dabei auch ein, dass der Finanzdienstleister das nutzt, was er bereits über sie weiß, um ihnen die beste Lösung für ihre individuellen, aktuellen Bedürfnisse anzubieten.
Um diese Kundenerwartung zu erfüllen, braucht es zwei wesentliche Bestandteile, die in Kombination miteinander zur bestmöglichen Lösung führen: Erstens müssen Banken ihre eigenen Leistungen verbessern, sodass sie den optimalen Nutzen für den Kunden liefern. Zweitens müssen sie dem Kunden die Möglichkeit geben, ihr eigenes Angebot mit den für ihn individuell besten externen Lösungen zu kombinieren. Das heißt, dass Banken nicht mehr versuchen, alles selbst zu machen, sondern als aktive Multiplikatoren im Ökosystem verschiedene Expertisen kombinieren. So lässt sich die optimale Kombination erzielen, um den Maximalnutzen für jeden Kunden zu erreichen.
Klar ist auch: Damit das funktioniert, muss ich dem Kunden eine Auswahl bieten, und das, was ich über ihn weiß, nutzen, um ihm die optimale Lösung zu bieten. Das gilt online genauso wie im Gespräch.
Alle Banken reden von neuen Geschäftsmodellen und der Gestaltung neuer Ökosysteme. Wie lassen sich diese denn konkret strategisch positionieren, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen?
Auf zwei Ebenen: Mit einem klaren Bild des eigenen Target Operating Models. Und mit der notwendigen technologischen Infrastruktur und einem Prozessmodell, das mich in die Lage versetzt, das Target Operating Model auch umzusetzen.
Für das Target Operating Model brauche ich ein klares Bild von meinen Kernkompetenzen, die relevant und differenzierend sein müssen. Dann muss ich definieren: Welche Partner ergänzen meine Kernkompetenzen optimal? Welche Vertriebswege nutze ich? Wer sind meine Kunden, und zwar ganz spezifisch für die jeweilige Produktkategorie, den Leistungsbereich, die spezielle Expertise? Im Grunde genommen muss ich immer wissen: Wer sind meine Kunden und wie erreiche ich sie?
Beim Blick auf die Prozessmodelle und die Infrastruktur wird schnell klar, dass wir im Ökosystem eine komplett neue Infrastruktur brauchen. Digitalisierung bedeutet – und erfordert – hier nicht nur neue Frontends, sondern eine absolute Neuaufstellung in der Kerninfrastruktur. Das heißt konkret: Eine auf Microservices basierende Architektur, mit klaren APIs, die mir ermöglichen, meine Services mit den Services von Dritten zu kombinieren und Services auch unabhängig vom Rest der Plattform upzudaten. Durchgehende Analytics. Und das alles möglichst cloudbasiert zur Verfügung gestellt, sodass ich von den Ressourcenkapazitäten bis hin zu Rollen- und Rechtekontrollen flexibel bin.
Diese Infrastruktur kann ich intern selbst entwickeln – oder ich arbeite mit IT-Partnern, die mir das entsprechend zur Verfügung stellen. Auch hier empfiehlt es sich nach dem Prinzip der Kernkompetenz vorzugehen: Es lohnt sich regelmäßig mit Partnern zusammenzuarbeiten, die im jeweiligen Bereich ihre Kernkompetenz haben.
Die BaFin forderte jüngst zu Kooperationen auf. Wie gelingen erfolgreiche Kooperationen mit Fintechs?
Die Äußerung der BaFin bezog sich ja konkret auf PSD2. Ein gutes Beispiel für die Chancen bei der Ausgestaltung von Schnittstellen, aber auch die Risiken, wenn konfrontativ statt partnerschaftlich agiert wird. Dass die BaFin die Entwicklung hin zu Ökosystemen im Blick hat und Kooperationen unterstützt, ist eine wertvolle Entwicklung, die ich sehr begrüße. Wichtig ist, das auch konsequent zu machen. Hier haben wir im FinTechRat beispielsweise im Rahmen zur Regulierung von Cloud-Services sowie im Oktober 2019 in der FinTech Roadmap Europe Vorschläge erarbeitet.
Im Kontext Ökosysteme ist da ein ganz wichtiger Schritt, mit einem klaren Gleichklang zwischen inhaltlicher und regulatorischer Verantwortung die Skalierung im Ökosystem zu stärken. Das heißt, von der bisherigen institutsorientierten Regulierung hin zu Lösungen zu kommen, die die Vorteile von Ökosystemen unterstützen.
Abschließend gefragt: Banken, Fintechs, Big-Techs – Wer wird die Ökosysteme und das Banking der Zukunft bestimmen und warum?
Die Frage geht von einer falschen Prämisse aus. Wir sind nicht in einem zero sum game, in dem jeder Gewinn nur auf Kosten eines Verlierers möglich wäre. Es wird weiterhin einen Bedarf für Akteure aus allen Bereichen geben. Richtig ist aber, dass nur besteht, wer innerhalb des Ökosystems und für die gemeinsame Leistungserstellung für Kunden echte Mehrwerte bietet. Wer klar differenzierbar ist und dabei Nutzen für andere Marktteilnehmer und Kunden schafft, hat alle Chancen.
Vielen Dank für das Interview.
Chris Bartz ist CEO & Co-Founder von Elinvar. Chris verantwortet die strategische Weiterentwicklung von Elinvar und den nachhaltigen Aufbau von Partnerschaften. Er engagiert sich aktiv für die Vorteile der Digitalisierung sowie für ein leistungsfähiges Ökosystem für Fintech und Digital Banking. Chris ist unter anderem Vorsitzender des Arbeitskreises FinTechs & Digital Banking beim Bitkom und Vorsitzender des FinTechRats beim Bundesministerium der Finanzen.
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