WINDKRAFT. Knapp zwölf Monate liegen seit der Meldung zurück, dass Deutschland bei der installierten Windkraft-Leistung auf See erstmals die 1000-MW-Grenze übersprungen hatte. Bei ihrer jüngsten Bilanz konnten die Branchenverbände gleich den Sprung über die 3 000- MW-Marke vermelden, genau sind derzeit 792 Windpropeller mit einer Leistung von 3 295 MW in Nord- und Ostsee am Netz.
Angesichts des langen Vorlaufs beim Bau der Meereskraftwerke war der Rekordzubau seit Monaten absehbar und deshalb in Expertenkreisen und in der Politik keine Überraschung. Für Statistiker interessant: nach Großbritannien ist Deutschland nun die Nummer zwei bei der Offshore-Windnutzung.Dass Deutschland im vergangenen Jahr weltweit den höchsten Zubau bei der Offshore-Windkraftleistung erlebte, hängt schlichtweg mit der Tatsache zusammen, dass eine Reihe von Projekten nach teilweise mehrjährigen Verzögerungen endlich in Betrieb gegangen sind. „Klar war 2015 ein fantastisches Jahr für uns, es bleibt vorerst ein Einmal-Erlebnis“, ordnete Urs Wahl, Geschäftsführer der Offshore-Wind-Industrie-Allianz(OWIA), die aktuellen Erfolgszahlen ein.
Deshalb spricht der OWIA-Mann auch nicht von einem „Einbruch“, wenn im Verlaufe dieses Jahres mit Godewind 1+2 (Dong Energy und Partner) sowie Nordergründe plus Deutschlands erste Offshore-Windturbine auf einem schwimmenden Fundament insgesamt „nur“ drei große neue Hochseewindparks mit zusammen knapp 700 MW in Betrieb gehen. Ähnlich klingt es bei Jörg Buddenberg: „Die Offshore-Windenergie ist in Deutschland auf einem guten Pfad, was auch daran zu erkennen ist, dass die Investoren für neue Projekte mittlerweile Schlange stehen“, sagt der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Offshore-Windenergie e.V. (AGOW). Zur AGOW haben sich die Betreiber der Offshore-Windparks hierzulande zusammengeschlossen.
Wichtig sei vor allem, dass der „eingeleitete Flow“ fortgesetzt werden könne: „Wer die Jahresganglinien der Offshore-Windparks sieht, weiß, wie stabildie Windmühlen auf See zur Versorgungssicherheit beitragen.“ Zumindest für die kommenden Jahre ist das der Fall: Nach einer Auswertung der Deutschen WindGuard GmbH sind weitere 41 Windkraftwerke auf See mit einer Leistung von 246 MW bereits errichtet, die aber noch auf die Netzeinspeisung warten. Weitere 956 MW Offshore-Windleistung sind nach der Analyse in Bau, für zusätzliche 865 MW liegen die Investitionsentscheidungen vor. Damit sind 70 % der von den zuständigen Übertragungsnetzbetreibern TenneT und 50Hertz für die Projekte in Nord- und Ostsee zugewiesenen Netzanschlusskapazitätenin Höhe von insgesamt rund 7 700 MW bereits fest vergeben.
Buddenberg, der beim EWE-Konzern das Tochterunternehmen Erneuerbare Energien managt, hat deshalb keinen Zweifel, dass das Ziel der Bundesregierung von 6.500 MW Offshore-Windleistung bis Ende 2020 erreicht wird: „Davon geht jeder in der Branche aus.“
Das neue Zwischenziel für 2025 wirkt als Bremse.
Zwar wollen sich Verbände, Investoren und einzelne Unternehmen nicht auf das einzelne Megawatt genau festlegen, in ihren Reihen herrscht aber Einigkeit, dass die zugewiesenen Netzanschlusskapazitäten von 7 700 MW weitestgehend ausgeschöpft werden. Die spannende Frage ist, was danach kommt. Bekanntlich plant das Bundeswirtschaftsministerium mit der anstehenden EEG-Novelle auch die Offshore-Windenergie via Ausschreibungen zufördern, und zwar ab 2021. Darauf stellt sich die Offshore-Windbranche ein, auch wenn das Ausschreibungsdesign unklar ist. Das vom Bundeswirtschaftsministerium favorisierte Zentralmodell nach dänischem Vorbild lehnen wichtige Player und vor allem die norddeutschen Küstenländer ab. Allen zusammen stößt vor allem das aus dem Hause Gabriel im zuletzt veröffentlichten Eckpunktepapier zur EEG-Novelle genannte Zwischenziel von 11 000 MW bis 2025 sauer auf. Damit wäre in der ersten Hälfte der nächsten Dekade rechnerisch pro Jahr durchschnittlich ein Zubau von 700 MWmöglich.
Der von AGOW-Sprecher Buddenberg gewünscht „Flow“ wäre dahin. „Wir brauchen für die Offshore-Windindustrie einfach für die nächsten Jahre einen verlässlichen Markt“, fordert OWIA-Geschäftsführer Wahl, „bleibt es bei den 11000 MW als Zwischenziel, sind zig Arbeitsplätze an der Küste gefährdet.“ Gerade erst habe sich die Branche von der Strompreisbremse erholt, die der frühere Bundesumweltminister Peter Altmaier 2013 ins Gespräch gebracht hatte. Altmaiers Vorstoß hatte damals Investoren abgeschreckt und Projekte verzögert. „Solch eine Situation brauchen wir kein zweites Mal“, betont Wahl, „wir müssen alles daran setzen, um einen erneuten Fadenriss zu vermeiden.“ Dabei setzen die Offshore-Windverbände vor allem auf die fünf Küstenländer, in denen überall die SPD zusammen mit Partner regiert. Bei der EEG-Reform 2014 konnte diese Allianz einige Verbesserungen immer gleich zu den ersten Referentenentwürfen durchsetzen. Beim EEG 2016 hofft die Offshore-Windbranche auf eine Wiederholung. Hintergrund 2015 sind nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen rund 8 Mrd. kWh Ökostrom auf See erzeugt worden. Rund 242 Mio. kWh hat Deutschland ältester Offshore-Windpark, das Testfeld alpha ventus mit einer Leistung von 60 MW, dazu beigesteuert. Mit 4 036 Volllaststunden konnte alpha ventus sein Potenzial nicht ganz ausreizen. 2011, im ersten vollen Betriebsjahr, verzeichnete das Betreiber-Konsortium immerhin 4 450 Volllaststunden.
In diesem Jahr dürfte sich die Offshore-Windstromerzeugung hierzulande nach E&M-Berechnungen mit gut 15 Mrd. kWh nahezu verdoppeln. Mit der nunmehr installiertenKapazität von 3 290 MW lassen sich bei angenommenen 4 200 Volllaststunden rund 13,8 Mrd. kWh erzeugen. Bis zum Jahresende nehmen zudem die insgesamt 115 Windturbinen der nächsten Projekte Godewind 1 + 2 und Nordergründe mit zusammen knapp 700 MW sukzessivedie Stromerzeugung auf, sodass die 15 Mrd. kWh nicht unrealistisch erscheinen. Diese Steigerung wird sich auf alle Fälle mit einem erhöhten Anteil an der EEGUmlage widerspiegeln.
Dr. Ralf Köpke – Chefreporter der Energie & Management (E&M)