Interview mit Friederike Fabritius

23.11.2017Personal & ManagementKill your Business

Sie müssen kein Startup sein, um attraktiv für die Top-Talente zu bleiben. Wie können Sie neueste Erkenntnisse der Neurowissenschaften praktisch umsetzen, um die Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit der Mitarbeiter nachhaltig zu steigern? Friederike Fabritius ist Neuropsychologin und Referentin der neuen Handelsblatt Masterclass-Reihe „Kill your Company“. Im Interview berichtet Sie, weshalb Neuroscience ein wichtiger Aspekt für ein innovatives Business-Umfeld ist.

„Kill your Business“: Frau Fabritius, sind Sie jetzt unter die Mörder gegangen?

Im Silicon Valley gibt es den Begriff „Kill your Company“ – Nur wer sich verändert und bereit ist, gewohnte Strukturen und Prozesse zu überdenken, kann wettbewerbsfähig bleiben. Wir haben diesen Begriff übernommen und die Frage beantwortet, wie Menschen im Zeitalter der Digitalisierung optimal arbeiten können. Wenn ich verstehe, was im Gehirn in verschiedenen Situationen passiert, kann ich ein adäquates Arbeitsumfeld schaffen. Wenn ich dazu noch verstehe, was Menschen motiviert, kann ich Top-Talente rekrutieren und halten und schaffe die Voraussetzungen für Höchstleistungen.

Welche Bedeutung kommt der Hirnforschung in Zeiten der radikalen Veränderung zu?

Das Gehirn an sich hat sich in den letzten tausend Jahren evolutionär nicht maßgeblich verändert, aber es reagiert auf individueller Ebene sehr stark auf Veränderungen in den Arbeitsbedingungen. Wir können messbare Unterschiede feststellen, so ist z. B. die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne seit dem Jahr 2000 um ein Drittel gesunken und liegt jetzt bei acht Sekunden – das ist kürzer als die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfischs. Dies liegt nicht an der Evolution, sondern daran, dass sich Menschen heute intensiv mit ihrem Smartphone beschäftigen und sich immer seltener auf eine Aufgabe konzentrieren. Was sich maßgeblich verändert hat, sind die Bedingungen, unter denen Menschen arbeiten und das hat Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns. Wenn wir verstehen, wie das Gehirn funktioniert, was Mitarbeiter wirklich motiviert und unter welchen Bedingungen Höchstleistung entsteht, können Sie als Arbeitgeber und Führungskräfte die Arbeitsbedingungen dahingehend gestalten, dass Menschen optimal arbeiten können.

Können Sie uns ein Beispiel geben? 

Unser Gehirn verarbeitet negative Informationen neunmal stärker als positive Informationen. Das ist der sogenannte „Negativity Bias“. Dieser hat für unser Überleben eine wichtige Funktion, führt aber in der Praxis oft zu vielen Problemen am Arbeitsplatz, da Menschen auf negatives Feedback und Veränderungen sehr stark reagieren. Diese Reaktion führt zu einem sogenannten „Threat State“, auch bekannt als „Fight Flight or Fight“-Reaktion und zu einer starken Ausschüttung des Stress-Hormons Cortisol. Während das Gehirn mit der Verarbeitung einer negativen Situation beschäftigt sind, schaltet sich der präfrontale Cortex -der Bereich unseres Gehirns, der für das logische, rational-analytische Denken zuständig ist – nahezu ab. Was bedeutet das für die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter? Sie sind abgelenkt und nicht in der Lage, Höchstleistungen zu erbringen.

Was heißt das konkret für die Führungskräfte, die das Arbeitsumfeld gestalten? Sollen negative Interaktionen und Auseinandersetzungen sowie Veränderungen um jeden Preis gemieden werden?

Das wäre höchst unrealistisch. Veränderungen und Konflikte sind ein normaler Bestandteil des Arbeitslebens und helfen dem Unternehmen, wettbewerbsfähig zu bleiben. Wichtig ist vielmehr, wie man mit schwierigen Situationen umgeht. Der Nummer-Eins-Faktor für Stress sind nicht die Aufgaben an sich, sondern meist die Interaktion mit den Kollegen, Kunden, und dem Chef. Denn unser Gehirn reagiert verstärkt auf soziale Reize. Man spricht in der Hirnforschung auch von dem „Sozialen Gehirn“. Unser Gehirn verarbeitet negative soziale Interaktionen wie physischen Schmerz. Wenn zum Beispiel jemand am Arbeitsplatz gemobbt wird oder von seinem Chef ungerecht behandelt wird, ist die Aktivierung, die im Hirnscanner zu sehen ist vergleichbar mit der einer Person, die gerade gefoltert wird. Sozialer Schmerz wird vom Gehirn verarbeitet wie körperlicher Schmerz. Was heißt das jetzt für mich als Führungskraft? Ich kann den Mitarbeitern durchaus viele Herausforderungen und Aufgaben zumuten, aber das Arbeitsklima muss wertschätzend, transparent, und positiv sein.

Was verbirgt sich hinter Fun, Fear, and Focus?

Es gibt Hebel, die wir nutzen können, um die Leistungsfähigkeit von Menschen zu verbessern. In Augenblicken höchster Leistung – Wissenschaftler nennen diesen Zustand auch Flow – sind Menschen laut einer McKinsey-Studie im Durchschnitt fünf Mal produktiver als unter normalen Umständen. Ich habe einen Ansatz entwickelt, um das Auftreten dieses Zustands signifikant zu erhöhen - Fun, Fear, and Focus:

Fun: Damit meine ich nicht, dass Sie auf der After-Work-Party Spaß haben, sondern dass es wichtig ist, dass Sie Freude an der Tätigkeit an sich haben. Wenn Ihnen Ihre Arbeit keinen Spaß macht, ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass Sie Ihre individuelle maximale Leistungsfähigkeit nicht erreichen werden. Nur wenn Sie Freude an einer Aufgabe haben, wird im Gehirn der Neurotransmitter Dopamin ausgeschüttet. Dopamin führt dazu, dass das Gehirn Informationen besser und schneller verarbeiten kann. Es macht uns innovativ und lernfähig. Wenn das Dopamin fehlt, glauben vielleicht die Menschen in Ihrem Umfeld, dass Sie gute Arbeit leisten, aber in Wirklichkeit machen Sie nur „business as usual“ und verbleiben im Mittelmaß, statt Ihr persönliches Potential voll auszuschöpfen. Es ist kein Zufall, dass Spitzensportler und herausragende Künstler ihren Beruf lieben.

Fear: Wenn wir leicht überfordert sind, schüttet unser Gehirn den Neurotransmitter Noradrenalin aus. Noradrenalin ist ein positives Stress-Hormon und führt dazu, dass wir in herausfordernden Situationen über uns hinauswachsen. Hier geht es darum, nicht in der Komfort-Zone zu bleiben, sondern uns neue Aufgaben und Situationen zu suchen, die uns leicht überfordern. Wenn wir uns bei der Arbeit langweilen, ist es nicht möglich, Höchstleistung zu erbringen. Nicht umsonst ist die Lernkurve sehr steil in einem Umfeld wie zum Beispiel der Unternehmensberatung, in der man sich alle paar Monate auf komplett neue Kollegen, Aufgaben und Klienten einstellen muss. Das ist auch der Grund, warum Künstler konstant neue Stücke einstudieren, anstatt jahrelang immer wieder die gleichen Publikums-Klassiker zu präsentieren. Auch manche Sportler erreichen ihre persönliche Bestzeit nur in einer Wettkampf-Situation. Sobald man seine Arbeit als Routinetätigkeit erlebt und keine Nervosität mehr verspürt bei wichtigen Aufgaben, sollte man Wege finden, um das Anforderungsniveau zu erhöhen und neue Herausforderungen zu erleben. Ein gewisses Maß an Angst ist für die Leistungsfähigkeit wesentlich.

Focus: Haben Sie schon einmal erlebt, dass ein Spitzensportler während eines wichtigen Matchs auf sein Handy schaut, um seine Emails zu checken? Es ist den meisten Menschen komplett einleuchtend, dass dieses Verhalten wenig leistungsfördernd ist, doch im Business-Alltag ist es Realität. Es ist für das Gehirn nicht möglich, einen Flow-Zustand zu erleben, wenn wir abgelenkt sind. Nur wenn wir uns voll konzentrieren und im Hier und Jetzt sind, wird im Gehirn die Substanz Acetylcholin ausgeschüttet, die unser Gehirn leistungsfähiger macht. Ich kenne einige Unternehmen, die eine Meeting-Kultur etabliert haben, in denen Smartphones nicht erlaubt sind, die Meetings dafür aber kürzer und produktiver sind. Und ich kenne sehr erfolgreiche Vorstände, die regelmäßig ein „Meeting of one“ ansetzen. In dieser Zeit blockieren sie den Kalender, schließen die Tür, lassen das Telefon umleiten und haben die Gelegenheit, ungestört an wichtigen Konzepten zu arbeiten. Diese halbe Stunde ungestörte Konzentration kann dem Unternehmen mehrstellige Millionenbeträge einbringen.

Wir können diese drei Faktoren nutzen, um ein Arbeitsumfeld auszugestalten, dass die Motivation, Leistungsfähigkeit und Kreativität der Mitarbeiter – und somit den finanziellen Erfolg des Unternehmens – maximiert. Dabei ist es auch wichtig, individuelle Unterschiede zu erkennen – die Situationen, in denen der Einzelne Flow erlebt, können sehr unterschiedlich sein.
 
Es gibt viele Veranstaltungen rund um die Themen Disruption und Überleben des eigenen Geschäftsmodells. Was unterscheidet Ihre Masterclass davon?

Alle von mir verwendeten und entwickelten Methoden haben eine wissenschaftliche Grundlage. Ich schaue mir die aktuellen Studien aus der Hirnforschung an und verbinde diese Erkenntnisse mit meinen praktischen Erfahrungen aus der Management-Beratung. Da ich die Arbeitsrealität der Führungskräfte kenne, gelingt es mir, die theoretischen Erkenntnisse der Wissenschaft sehr praktisch umzusetzen, so dass jeder Einzelne für sich etwas mitnimmt, das er direkt am gleichen Tag für sich und seine Mitarbeiter umsetzen kann. Ich habe diesen Ansatz in den letzten zehn Jahren sehr erfolgreich für die Top-Führungskräfte der DAX-und Fortune 500- Konzerne umgesetzt und bekomme auch noch Jahre später Rückmeldungen der Führungskräfte und Vorstände über den Erfolg der Interventionen.