Ein IT-Vertrag als „lebendiges“ Dokument
Beiden Rechtssystemen (Civil Law/Common Law) ist der Grundsatz der Vertragsfreiheit gemein. Dieser Umstand bietet den Vertragsparteien vor Vertragsschluss im Prinzip große Freiheiten, wie sie den IT-Vertrag und die rechtlichen, technischen und kommerziellen Aspekte der Kooperation abbilden wollen.
Die Parteien sollten bei der Vertragsverhandlung berücksichtigen, dass es sich bei einem IT-Vertrag um ein „lebendiges“ Dokument handelt, welches sie aktiv gestalten können. Ein IT-Vertrag dient vorrangig dem Zweck, den Parteien klare Spielregeln mit praxistauglichen Regelungen zu geben und unterstützt sie dabei, Probleme zu identifizieren, Diskrepanzen zu vermeiden und eine längerfristige Beziehung aufzubauen. Vor diesem Hintergrund sollte der IT-Vertrag die Verantwortlichkeiten der Parteien, Service Level Agreements und das Vertragsmanagementverfahren eindeutig festlegen. Gleiches gilt für die Aufnahme von Klauseln zu Eskalation und Exit-Management. Neben diesen Bestimmungen sind Regelungen zu Leistung, Haftung, Freistellung und Gewährleistung und die Bestimmung von Vorkehrungen zur Einhaltung des Datenschutzes, zur Rechtswahl und zur Einigung auf einen Gerichtsstand – besonders bei internationalen IT-Verträgen – von erheblicher Bedeutung.
Common Law und Civil Law
Die Unterschiede bei der Vertragsgestaltung und -verhandlung beruhen auf der grundverschiedenen Entwicklung beider Rechtssysteme. Das unter anderem in Großbritannien, den USA, Kanada und Indien vertretene Common Law basiert auf Gewohnheitsrecht, welches sich durch jahrzehntelange richterliche Fortbildung durch eine sachbezogene Festsetzung sowie durch Anwendung von Fallrecht entwickelte. ¹ Im Common Law gibt es grundsätzlich viel weniger geschriebenes Recht („Gesetze“). Vielmehr ergehen richterliche Entscheidungen im Common Law anhand von Präzedenzfällen. ² Hierunter fallen nicht nur die Präzedenzfälle der Gerichte des jeweiligen Landes, sondern jegliche weltweit bisher gerichtlich entschiedene Fälle können von den nationalen Gerichten als Präzedenz herangezogen werden. Aus diesem Grund sind Verträge nach Common Law auch komplexer und länger, als vergleichbare Dokumente nach Civil Law. Da man sich folglich nicht mit einem kurzen Verweis auf die Anwendbarkeit eines „geschriebenen“ Rechts dieses zu eigen machen kann, muss man den Rechtsrahmen bei Verträgen nach Common Law jedes Mal erst wieder mühsam selber schaffen – durch die Ausarbeitung langer Vertragsdokumente.
Im kontinentalen Europa ist hingegen das Civil Law, mit seinem Ursprung im römischen Recht, das herrschende Rechtssystem. Im Gegensatz zum Common Law werden Gesetze im kontinentaleuropäischen Rechtssystem durch parlamentarische Verfahren erlassen. ³ Richterliche Entscheidungen basieren auf der Basis der geschriebenen Gesetze und füllen dieses nur aus. Die Gesetze sind bewusst abstrakt formuliert, damit sie auf eine Vielzahl von Fällen Anwendung finden. Diese unterschiedliche Entwicklung hat erhebliche Auswirkungen auf die Vertragsgestaltung. So enthalten Verträge aus dem angloamerikanischen Raum oft viele Seiten Definitionen, während Verträge im Civil Law zumeist nur die Aufnahme weniger Definitionen erfordern, da die meisten Definitionen (z. B. der Begriff der Abnahme in Werkverträgen) bereits durch das Gesetz abgedeckt sind.
Unterschiede im IT-Recht
Das angloamerikanische Rechtssystem (Common Law) kennt im Gegensatz zum Civil Law im Prinzip auch keine vertragstypologische Einordnung des IT-Vertrages, während nach deutschem Recht auf IT-Verträge je nach Einzelfall sowohl kauf-, miet-, dienst- als auch werkvertragliche Vorschriften (manchmal auch alle gleichzeitig) anwendbar sind. Das deutsche Gesetz findet auch dann Anwendung, wenn der Vertrag – sofern er deutschem Recht unterliegt – keine gesonderten Regelungen zu einem bestimmten Punkt vorsieht. So haften die Parteien einander nach deutschem Recht prinzipiell im Rahmen des Vorhersehbaren unbegrenzt, wenn der IT-Vertrag keine Haftungsbeschränkung enthält, da das Gesetz von einer prinzipiell unbegrenzten Haftung ausgeht. Deshalb sollte eine Haftungsbeschränkung aus IT-Dienstleistersicht dringend aufgenommen werden. Das deutsche Recht unterstellt der Haftungsbegrenzung jedoch strenge Voraussetzungen, insbesondere, wenn der Vertrag dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Recht) unterliegt. Bei der Verwendung von AGB ist ein Haftungsausschluss für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, für die Verletzung von Leben, Körper und Gesundheit, für die Übernahme einer Garantie oder soweit zwingend aufgrund gesetzlicher Vorschriften zu haften ist (z. B. nach dem ProdHaftG), nicht zulässig. Im Common Law sind vertragliche Haftungsbegrenzungen ebenfalls üblich. Die Vertragsparteien sind hier jedoch in der Gestaltung freier, mit der Einschränkung, dass eine Haftung für Betrug, Tod oder Personenschäden vertraglich nie ausgeschlossen oder begrenzt werden kann. ⁴
Haftungsfreistellung
Auch im Hinblick auf Haftungsfreistellungen („Indemnities“) gibt es Unterschiede zwischen den Rechtssystemen. Im Common Law erwartet der Kunde vom Dienstleister eine Reihe von Haftungsfreistellungen, so zum Beispiel für die Nichteinhaltung der gesetzlichen Anforderungen, für die Verletzung geistigen Eigentums durch Dritte, für arbeitnehmerbezogene Ansprüche, Eigentumsverletzungen und weitere Ansprüche. Nach deutschem Industriestandard ist es hingegen üblich, dass der IT-Dienstleister den Kunden nur dann freistellen muss, wenn bestimmte Voraussetzungen (z. B. eine Schutzrechtsverletzung) erfüllt sind. Als Voraussetzungen für die Freistellung des Verletzers können die Parteien definieren, dass der Betroffene den Verletzer von Ansprüchen Dritter unverzüglich verständigt, die behauptete Schutzrechtsverletzung nicht anerkennt und jegliche Auseinandersetzung, einschließlich etwaiger außergerichtlicher Regelungen, entweder dem Verletzer überlässt oder nur im Einvernehmen mit ihm führt. Zudem sollten die Parteien festlegen, dass die durch die Rechtsverteidigung entstandenen, notwendigen Gerichts- und Anwaltskosten zu Lasten des Verletzers gehen.
Gewährleistungsrechte
Ähnliches gilt für Gewährleistungsrechte. Das deutsche Recht umfasst eine Reihe von Gewährleistungen, die auch dann greifen, wenn der Vertrag keine ausdrückliche Bestimmung hierzu enthält. Das Bürgerliche Gesetzbuch sieht in vielen Fällen eine Gewährleistungsfrist von 24 Monaten vor, es ist jedoch eine Art Industriestandard, diesen Zeitraum vertraglich (z. B. auf 12 Monate) zu verkürzen. Zu beachten ist nach deutschem Recht auch, dass es bestimmte gesetzliche Regelungen gibt, ab wann die „Gewährleistungsuhr“ zu laufen beginnt und dass sie eventuell auch wieder zurückgesetzt werden kann.
Das Common Law hingegen kennt grundsätzlich viel weniger Standardgewährleistungen für den IT-Vertrag, allerdings gibt es eine Reihe implizierter Bedingungen. So bestimmt der Consumer Rights Act 2015 (UK) für den Verkauf von Waren und digitalen Inhalten im Verbraucherschutzrecht, dass die Ware eine ausreichende Qualität ausweisen, für den Vertragszweck geeignet und wie beschrieben sein muss und gewährt bei Nichteinhaltung unter anderem Rücktrittsrechte oder Schadensersatzansprüche. Diese Gewährleistungen („reps and waranties“) können die Parteien nur individualvertraglich ausschließen, indem sie unter Beachtung der geforderten Formvorschriften diese „implied warranties“ (z. B. „implied warranty of merchantibility“; „implied warranty of fitness for a particular purpose“) ausdrücklich abbedingen.
Lizenzrechtliche Unterschiede
Außerdem sollten die Vertragsparteien auch die lizenzrechtlichen Unterschiede der beiden Rechtssysteme beachten. Im kontinentaleuropäischen Civil Law kann das Urheberrecht (Urheberpersönlichkeitsrecht) niemals von seinem Urheber getrennt werden.
Der Urheber kann daher allein Nutzungsrechte an diesem Recht einräumen. Im angloamerikanischen „Copyright Law“ kann das Urheberrecht hingegen vollständig vom Urheber auf eine dritte Person übertragen werden. Im Rahmen der „Works-made-for-hire“ Doktrin kann der Arbeitgeber sogar Urheber des durch seinen Arbeitnehmer entwickelten Werkes sein, unabhängig davon, ob er an dem Entstehungsprozess selbst direkt beteiligt war. Vor diesem Hintergrund ist eine entsprechende Anpassung der entsprechenden Klauseln dringend zu empfehlen.
Auch das UN-Kaufrecht, eine international vereinheitlichte und von vielen Staaten anerkannte Grundlage für die vertragliche Gestaltung von internationalen Warenkaufverträgen, kann bei grenzüberschreitenden Verträgen eine einschränkende Vorschrift darstellen und wird daher zwischen den Parteien oft vertraglich abbedungen, was rechtlich zulässig ist. Nach deutschem Recht findet nämlich bei Überlassung von Standardsoftware gegen Einmalzahlung grds. Kaufrecht5 Anwendung.
Einigung auf Gerichtsstand und Vertragssprache
Um das Risiko eines ungewollten (und eventuell langjährigen und/oder teuren) Gerichtsverfahrens im Ausland zu vermeiden, sollten sich die Vertragsparteien im Rahmen der Schlussbestimmungen auch unbedingt über einen Gerichtsstand einigen und das geltende Recht festlegen. Hierbei sollte man auf keinen Fall einen faulen Kompromiss (z. B. die Wahl des Rechts der deutschen Partei und die Zuständigkeit der Gerichte der anderen, amerikanischen oder indischen, Partei) eingehen. Um Missverständnissen vorzubeugen, empfiehlt sich bei der Verwendung zweisprachiger Vertragsdokumente zudem eine Einigung auf eine bindende Vertragssprache. Die Vertragsparteien können außerdem statt eines ordentlichen Gerichts auch ein Schiedsgericht wählen – durch die Aufnahme einer entsprechenden Schiedsklausel in den IT-Vertrag. Neben der hohen fachlichen Qualität der Entscheidungen durch die spezialisierten Schiedsrichter und der Vertraulichkeit des Verfahrens bietet das Schiedsverfahren auch den Vorteil der grundsätzlich einfachen internationalen Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs. Schiedsverfahren müssen zwar nicht immer billiger als Prozesse vor den ordentlichen Gerichten sein; die von den Parteien gewählten Schiedsrichter sind aber häufig fachlich näher an der Materie und damit erhöht sich häufig die Qualität der Entscheidung.
Wenn die Parteien die Unterschiede und Besonderheiten der beiden Rechtssysteme und die speziellen Anforderungen des jeweiligen IT-Projekts berücksichtigen, können sie sicherstellen, dass die vertragliche Regelung den Herausforderungen dieser Rechtssysteme und des jeweiligen IT-Projekts standhält und ihnen gewachsen ist. Auf diese Weise können sie Vertrauen und klare Spielregeln schaffen; zwei wesentliche Voraussetzungen für den Erfolg eines jeden langfristigen internationalen IT-Projektes.
1 Häcker, Das englische Common Law – Eine Einführung, JuS 2014, 874.
2 Gordley, Common law und civil law – eine überholte Unterscheidung, ZEuP 1993, 498.
3 Häcker, Das englische Common Law – Eine Einführung, JuS 2014, 874.
4 Bäumer, Kreutter, Messner, Globalization of Professional Services, 2012, S. 128.
5Bei der Überlassung von Standardsoftware gegen Mehrfachzahlung findet nach deutschem Recht grds. Mietrecht Anwendung, wohingegen bei der Erstellung von Individualsoftware in der Regel
Werkvertragsrecht anwendbar ist. Das Common Law hingegen kennt diese vertragstypologische Einordnung nicht (siehe oben).
Teresa Roters
Rechtsanwältin
Osborne Clarke
Ulrich Bäumer, LL.M.
Rechtsanwalt und Partner
Osborne Clarke
Dieser Artikel ist Teil des EUROFORUM E-Books für Fachkräfte in IT- und IT Recht 2016/2017, welches Ihnen kostenfrei zum Download zu Verfügung steht.