Interview mit Dr. Matthias Kramer

Alles digital, alles disruptiv? Immer mehr Unternehmen stellen ihre klassischen Businessmodelle in Frage und suchen nach neuen, digitalen Geschäftsfeldern. Welche Probleme bei der Implementierung neuer Technologien und Services entstehen und wie Unternehmen diese Herausforderungen meistern können, weiß der Innovationsexperte Dr. Matthias Kramer.

Herr Kramer, welche Aufgaben stellen sich Ihnen als Innovationsexperte bei der mantro GmbH?
 
Ganz kurz geantwortet: Erkennen, Testen und Liefern. Ich sorge dafür, dass wir schneller und günstiger scheitern.

Konkret bedeutet es, dass ich damit beginne, Innovationspotentiale für neue Geschäftsfelder, Produkte/Services und Geschäftsmodelle für unsere Kunden zu identifizieren und zu entwickeln. Dabei arbeiten wir mit einer eigens entwickelten Analysemethode, die auf identifizierten „Patterns of Disruption“ beruht. Ausgehend von diesen Potentialen entwickle ich Geschäftsmodells- und Produkthypothesen, die den wahrgenommen Bedarf befriedigen sollen. Dies dient dem Zweck, die gefundenen Innovationspotentiale zu testen. Die Lösung, sei es ein Produkt oder ein Service, passen wir dann ständig auf den echten Marktbedarf an. Hier geht es darum, unechte Marktbedarfe und falsche Lösungen schnell und günstig zum Scheitern zu bringen - ganz wie ein Startup.

Dazu gehört es Entwicklungsteams dabei zu unterstützen, dass sie die Lösung in einem agilen Umfeld entwickeln, um sie schnell auf den Markt zu bringen

Braucht man als Innovationsberater eine gesunde Distanz zum Unternehmen des Kunden oder muss man sich voll und ganz in den Betrieb hineindenken?

Sicherlich sind ein bisschen Distanz und externer Blick ganz gut, wobei man die Technologie und Systeme schon ganz verstanden haben muss, um mit den relevanten Parteien im Unternehmen auf Augenhöhe reden zu können.

Wir bei mantro sind aber keine Innovationsberater, schließlich beraten wir nicht nur, setzen geschaffene Lösungen auch um. Daher kommt es bei Distanz oder Nähe stark auf die Situation an: Hinsichtlich der Lösung sind wir oftmals extrem nah im Unternehmen, so nah sogar, dass wir im Company Builder mit unseren Kunden zusammen Unternehmen gründen und selbst in die Idee investieren. In anderen Bereichen, z.B. wenn es um Unternehmensrichtlinien geht, versuchen wir eher auf Distanz zu bleiben, weil die starren Prozesse die Innovationsgeschwindigkeit verlangsamen und die Idee Gefahr läuft ausgebremst zu werden.

Nennen Sie ein Beispiel für Best Practice/Worst Practice Ihrer vergangenen Innovationsprojekte. Was ging schief? Was war ein voller Erfolg?

Eine negative Erfahrung ist, dass viele Unternehmen Schwierigkeiten haben, sich auf die Lean Startup Methode einzulassen. Das äußert sich dadurch, dass zum Beispiel bestimmte Stakeholder aus rein politischen Gründen eingebunden werden sollen bevor ein Projekt gestartet wird.

Diese wollen dann ihre Duftmarke hinterlassen und definierten absurde Anforderungen an das Produkt. Dadurch werden Innovationsprojekte so groß, dass die Umsetzung nicht mehr dem Minimum Viable Product entspricht, also dem kleinsten möglichen Produkt, das für das initiale Testen des Wertversprechens am Markt notwendig ist.

Ein voller Erfolg ist es hingegen, wenn man sich prototypen-basiert dem Ergebnis nähert. Dazu baut man schnell und günstig nicht funktionale Prototypen, um diese dann mit den zukünftigen Kunden zu testen. So haben wir es mit dem OilFox gemacht - der erste Prototyp hat genau die 20 Minuten funktioniert, die für eine Präsentation beim Kunden funktionieren musste.

Ist die deutsche Energiebranche bereit für Veränderung?

Meine Wahrnehmung ist, dass sich große Teile der Energiebranche gerade bereit machen für die Veränderungen, die zwangläufig anstehen und schon stattfinden.

In welchen Bereichen der Energiewirtschaft sehen Sie besonderes Innovationspotenzial?

Hier ist für mich zuerst einmal der gesamte Bereich vom Internet der Dinge (IoT) besonders relevant. Hier geht es vor allem darum, dass energiewirtschafliche Themen und Fähigkeiten zu direkten Kundenbedarfen passen, so dass dazu passende, spitze Lösungen entwickelt werden. Dann gibt es natürlich noch ein großes Potential im Bereich Flexibilisierung der Energieerzeugung und im Bereich payment und contracting - wo natürlich aktuelle technologische Trends wie Blockchains neue Geschäftsmodelle ermöglichen. Diese nutzt die Branche noch fast gar nicht, weil sie in ihren langwierigen Entwicklungsprozessen fest stecken, statt die Agilität zu nutzen, die uns das Web bietet.

Welche Hindernisse gibt es für die deutsche Energiewirtschaft in Sachen Innovation?

Ich stelle immer wieder fest, dass die größten Hindernisse durch die Struktur der Energiewirtschaft selbst entstanden sind. Hier ist viel kummuliertes Investment in eine zentrale Struktur mit dezentraler Versorgung geflossen. Organisatorisch und in der Kundenwahrnehmung empfinde ich die Energieversorger fast wie Staatskonzerne, Flexibilität existiert quasi nicht. So stelle ich in den Kontakten immer wieder fest, dass keine klare Kundenbilder vorliegen, sondern eher noch in Haushalten oder Abnahmestellen gedacht wird. Zugleich verursacht die Einkommensituation große Probleme. Aufgrund hoher Abschreibungen auf Anlagen, Investitionen in Infrastruktur und erneuerbare Energien sind die Budgets für kundenbezogene Innovationen einfach zu gering.

Wie wird sich die Energiebranche in den nächsten 10 Jahren Ihrer Meinung nach entwickeln?

Meine persönliche Wette sieht so aus, dass die Landschaft fragmentierter wird und immer mehr Startups und Unternehmen sich auf neue Geschäftsfelder im Energieumfeld spezialisieren werden. Momentan werden viele Bereiche in Unternehmen integriert - die allerdings nicht sonderlich agil sind. Mit dem Wandel in der Energiebranche entstehen große Potentiale für andere Unternehmen und Startups, lukrative Nischen zu besetzen indem sie sich mit Innovationen spezialisieren. Dadurch werden mehr spezialisierte Player am Markt aktiv werden und es werden mehr zusätzliche Partnerschaften geschlossen werden müssen.

Auf welche Innovation der letzten 5 Jahren möchten Sie persönlich heute nicht mehr verzichten?

Eine wesentliche Innovation aus den vergangenen Jahren, ohne die es für mich nicht mehr geht, ist die Erfindung und Nutzung von Software-as-a-Service Produkten. Dazu gehören Cloud-Speicher wie Dropbox, digitale Notizbücher wie Evernote, oder auch die gesamten Office-Lösungen, die von google und Microsoft komplett online und als Apps verfügbar sind.

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Über Dr. Matthias Kramer


Dr. Matthias Kramer leitet seit 2013 Innovationsprojekte bei mantro. Seine Erfahrungen liegen bei agilen Methoden, Digital Transformation, Design Thinking, Lean Startup, Innovationsentwicklung, Digital Strategy, User Experience Management, Digital Business Model. Durch die Branchenschwerpunkte Energie, Automotive und Banken kann er eine übergreifende Perspektive auf die Themen Transformation und Digitalisierung werfen.