Als Jurist beschäftigen Sie sich mit dem absoluten Hype-Thema der industriellen Produktion schlechthin: Die Vision Industrie 4.0. – Warum?
Industrie 4.0 steht für die Vernetzung industrieller Automatisierungs- und Fertigungsprozesse mit Hilfe von Sensortechnik und Cyber Physical Systems. Gerade die deutsche Industrie steht vor einem elementaren Wandel. Sie muss die Herausforderungen der Digitalisierung annehmen und Lösungen entwickeln. Nur so wird sie ihre führende Stellung in vielen Märkten behaupten und ausbauen. Zugleich erleben wir den Aufbruch in das Zeitalter der Datenökonomie: Wer kann über welche Daten verfügen und damit eine führende Rolle einnehmen? Mit der Vernetzung nehmen aber auch die Risiken in der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und der Bedarf an Schutz vor Industriespionage zu.
Die Entwicklung eines belastbaren Rechtsrahmens ist dazu unverzichtbar. Juristen sind gefragt, zusammen mit der technischen und der kaufmännischen Seite tragfähige Lösungen im Bereich Software, Cloud, Smart Data, IT Sicherheit und Datenschutz zu entwickeln und umzusetzen. Das macht es spannend und enorm reizvoll.
In der vernetzten Fabrik kommunizieren Maschinen miteinander. Kann man auch sagen, sie „treffen Entscheidungen“ und wenn ja, wer verantwortet diese Entscheidungen?
Smarte Technologien können – rein datenbasiert – Entscheidungslogiken mit einer Zuverlässigkeit und Unermüdlichkeit ausführen, dass man in der Tat bei Maschine-zu-Maschine Kommunikation (M2M) von "autonomer" oder "quasi-autonomer" Kommunikation und Entscheidungen sprechen könnte. Aus guten Gründen bleibt die natürliche oder juristische Person das Handlungssubjekt bzw. der Verantwortungsträger jeder rechtlich relevanten Entscheidung. Mit der Entwicklung "künstlicher Intelligenz" und der Zunahme quasi-autonomer Kommunikation von Maschinen untereinander werden wir aber über kurz oder lang die Regeln zu Boten und Stellvertretern neu betrachten müssen.
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Die Zurechnung bzw. Verantwortung für Inhalte "quasi-autonomer" Kommunikation wird komplizierter. Der Programmierer, der eine variable Entscheidungslogik entwickelt, kennt die Tragweite und Inhalte der M2M Kommunikation nicht. In geschlossenen M2M Systemen liegen Haftung und Verantwortung beim Eigentümer und Betreiber des Systems. Öffnet er das System für unternehmensübergreifende M2M Kommunikation, muss er über Teilnahmebedingungen die Frage von Haftung und Risikoverteilung für fehlerhafte Datenübermittlung und sonstige Inhaltsveränderung, Konnektivitätsausfälle und Datensicherheitspannen vertraglich klären. Schaut man auf die Plattformbetreiber für Datenaustausch, sind ebenfalls die Haftungsfrage und die Verantwortlichkeit für Inhalte bzw. Daten Dritter vertraglich zu klären bzw. abzugrenzen.
Während Maschinen und Sensoren zunehmend riesengroße Mengen an Daten liefern, spricht man parallel von Potenzialen durch neue Geschäftsmodelle im Kontext von Industrie 4.0. Wie können diese aussehen?
Nehmen wir das Beispiel Condition-Monitoring, also die technische Überwachung von maschinellen Regelverläufen in der Produktion. Durch Erfassung von Normabweichungen in Echtzeit und die Verbindung mit anderen Datenquellen kann die Prognose über Materialermüdung und Produktionsfehler deutlich verbessert und die Produktivität erhöht werden. Was früher durch Erfahrung und Ersatzteillagerhaltung gelöst wurde, wird nun durch die prädiktive Analyse gesteuert. Dienstleister, die diese Datenauswertungen parametrisieren und unternehmensübergreifende Lösungen anbieten, kommen mit neuen Geschäftsmodellen als "smart data as a service" in den Markt. Wir werden eine Vielzahl unterschiedlicher, datengetriebener Service-Modelle sehen, die mit Blick auf Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit, Datenschutz, Datensicherheit und Compliance auch rechtlich angemessen umgesetzt werden müssen.
Was sind zur Zeit die größten Baustellen bei der Umsetzung von Industrie 4.0?
Die ingenieur-getriebene und in Deutschland auf Spitzenniveau entwickelte Automatisierungs- und Fertigungstechnik steht vor einem Kulturwandel. Die Hinwendung zu einer service-orientierten Wertschöpfung, die das Produkt "Made in Germany" um "Serviced in Germany" ergänzt, stellt vielleicht die größte Herausforderung für deutsche Unternehmen dar. Sie ist unverzichtbar, um den Erfolg im weltweiten Wettbewerb zu sichern. Auf der rechtlichen Seite ist ein tragfähiger Rechtsrahmen zu entwickeln, der auf technischer Standardisierung, ausgewogenen Vertragsbedingungen, angemessener Risikoverteilung und Compliance aufsetzt. Die Transaktionsfähigkeit von Daten ("Datability") und verlässliche Kriterien zur Anonymisierung von Daten sind dafür wichtige Strukturelemente, an denen Juristen arbeiten und für die sie Lösungen bereitstellen müssen.
Autor: Rechtsanwalt Dr. Alexander Duisberg von Bird & Bird
Kontakt: Frederic Bleck, Senior-Konferenz-Manager EUROFORUM | XING
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