Die Veränderungen, denen sich die Unternehmen stellen müssen, sind enorm und nicht mehr alleine auf Branchen beschränkt, die durch ihre Produkte oder Dienstleistungen auf moderne Technik angewiesen sind (vgl. Abbildung 1).
Insgesamt bietet die Digitalisierung zahlreiche Ansätze zur Automatisierung von Arbeitsabläufen, Senkung von Transaktionskosten oder Steigerung der Flexibilität im Umgang mit Kunden und Geschäftspartnern. Eine Herausforderung, denen sich Unternehmen aktuell gegenübersehen, ist die Digitalisierung des Unternehmens und der Unternehmensprozesse, meist auch verbunden mit dem Schlagwort „Industrie 4.0“. Leyh et al. (2016) beschreibt Industrie 4.0 als den Wandel von einer zentralen, hin zu einer sich selbst steuernden flexiblen Produktion, in der Produkte und Systeme und alle Prozessschritte des Engineerings digitalisiert sind und untereinander vernetzt Informationen bzw. Daten Zolltarifaustauschen. Laut BDI-Studie (Bloching et al. 2015) wird die Unternehmensvernetzung stetig wachsen und sich eine Verschiebung von starren Wertschöpfungsketten hin zu dynamischen Wertschöpfungsnetzwerken einstellen.
Abbildung 1: Übersicht von Anwendungsgebiete und deren Datenfluss im Zuge der Digitalisierung
Stammdaten bilden das Fundament für Unternehmensvernetzung
Stammdaten bilden die Grundlage der digitalen Wirtschaft und sind für den Informationsaustausch innerhalb von Unternehmensnetzwerken von essentieller Bedeutung (Otto und Österle 2016). Das Erreichen und die Sicherstellung eines angemessenen Maßes an Stammdatenqualität ist eine kritische Voraussetzung für eine effiziente und effektive unternehmensübergreifende Zusammenarbeit (Schäffer und Leyh 2016).
Stammdaten beschreiben kritische Geschäftsobjekte eines Unternehmens und bezeichnen Produkte, Lieferanten, Kunden, Mitarbeiter bzw. ähnliche Gegenstände, die nur selten Änderungen erfahren. Datenqualität ist „ein Maß für die Eignung der Daten für spezifische Anforderungen in Geschäftsprozessen, in denen sie verwendet werden. Die Datenqualität ist ein mehrdimensionales, kontextuelles Konzept, da es nicht mit einer einzigen Funktion beschrieben werden kann, sondern auf der Basis verschiedener Datenqualitätsdimensionen und Metriken“ (Otto und Österle 2016). Typische, häufig verwendete Qualitätsdimensionen sind Fehlerfreiheit, Korrektheit, Vollständigkeit, Relevanz, Konsistenz und Aktualität. Die Datenqualität wird deshalb oft mit dem Begriff “fitness for use” assoziiert (Wang und Strong 1996).
Sowohl aus der wissenschaftlichen als auch aus der praktischen Perspektive ist zu erkennen, dass die Stammdatenübermittlung, das heißt unternehmensübergreifende Übertragung von Stammdaten, ein problematischer, fehleranfälliger, arbeitsintensiver und kostspieliger Prozess in vielen Unternehmen ist (Schäffer und Stelzer 2017). Zudem ist der Einsatz von Basistechnologien und Standards für den Stammdatenaustausch meist nicht ausreichend, um die spezifischen Anforderungen an die Stammdatenqualität zu spezifizieren. Ferner sind die heutigen Werkzeuge zu kostenintensiv und nicht flexibel genug in den Augen vieler Experten. Ebenso weisen zahlreiche wissenschaftliche Publikationen darauf hin, dass der Datenaustausch per EDI (z. B. PRICAT) zwischen dem Sender und dem Empfänger ein höheres Maß an Kontext erfordert und Standards für die Erstellung von System-zu-System-Integrationen alleine nicht ausreichen.
Somit ist auch nicht verwunderlich, dass die vorhandene Stammdatenqualität zur Unterstützung von Industrie 4.0 laut der Trendstudie zur Stammdatenqualität (Schäffer und Beckmann 2016) auf einer Skala von 1 (sehr gering) bis 5 (sehr hoch) von den Unternehmen mit 2,982 bewertet wurde (siehe Abbildung 2). Vor dem Hintergrund, dass die Beurteilung der Stammdatenqualität meist auf Selbsteinschätzung („Bauchgefühl“) und weniger auf einer systematischen und methodengestützten Qualitätsbestimmung beruht, und dass sich Unternehmen selbst meist zu gut bewerten (Bley et al. 2016), ist die tatsächliche Stammdatenqualität wahrscheinlich drastisch geringer.
Stammdatenprobleme infolge geringer Datenqualität
Aktuelle Forschungen zeigen, welche gravierenden geschäftlichen Probleme infolge mangelnder Stammdatenqualität im Datenaustausch zwischen Unternehmen vorkommen (Schäffer und Leyh 2016; Schäffer und Stelzer 2017). Dabei ist eine mangelhafte Stammdatenqualität beispielsweise dann gegeben, wenn die Stammdaten nicht vollständig sind oder fehlerhafte Inhalte enthalten.
Abbildung 2: Einschätzung der Stammdatenqualität zur Unterstützung diverser Anwendungsgebiete im Internet der Dinge
Typische Beispiele für solche unternehmensübergreifenden Stammdatenprobleme sind: nicht korrekte Zolltarifaustauschen Datenqualitätsrichtnummer, fehlende Abmaße & Gewichte, unvollständige technische Beschreibungen oder nicht aktuelle Konditionen & Preise. Die Auswirkungen in den Geschäftsprozessen und deren potentieller wirtschaftlicher Schaden kurz erläutert:
- Die Zolltarifnummer ist eine essentielle Information bei der Zollabfertigung. Wird diese nicht korrekt in den Produktstammdaten gepflegt, kann die Ware an den Landesgrenzen nicht reibungslos abgefertigt werden. Die Folge ist: der Kunde erhält die Ware nicht zum vereinbarten Liefertermin und bei verderblichen Waren droht der Ausfall. Es entstehen hohe Zusatzkosten, Umsatzeinbußen und Kundenunzufriedenheit.
- Abmaße und Gewichte sind wichtige Informationen für logistische Prozesse. Werden diese nicht mit den korrekten Werten in den Produktstammdaten gepflegt, können die Lieferkosten nicht korrekt berechnet werden. Ferner ist eine effiziente Lagerauslastung und ein optimierter Warentransport nicht möglich. In diesen Fällen entstehen ebenfalls hohe Zusatzkosten, Umsatzeinbußen und die Nichtrealisierung neuer Geschäftsmodelle, wie „Same Day Delivery“.
- Technische Beschreibungen sind wichtige Informationen für den Warenverkauf. Werden diese nicht detailliert in den Produktstammdaten gepflegt, ist ein Online-Handel eingeschränkt möglich. Die Folge ist eine ergebnislose Onlinesuche und ein Produktvergleich. Die Folge sind Umsatzeinbußen bzw. Kundenunzufriedenheit und -verlust.
- Konditionen, Preise oder Warengruppen sind wichtige Informationen im Vertrieb und Einkauf. Werden diese falsch oder unvollständig in den Produktstammdaten erfasst, führt dies zu Problemen in den Geschäftsprozessen. Die Rechnungsprüfung kann nicht durchgeführt werden und eine Lieferantenbewertung im strategischen Einkauf ist nicht möglich. Die Folge sind Zusatzkosten durch manuelle Nachbearbeitung und volle Lager, da das Verkaufsverhalten der Kunden nicht rechtzeitig bewertet werden konnte.
Fehlerverursacher für diese Stammdatenprobleme sind sowohl der Datenlieferant als auch der Datennutzer. Der Datenlieferant deshalb, da er die angeforderten Stammdaten nicht in ausreichender Qualität dem Datennutzer zur Verfügung stellt. Jedoch sind die Daten-Nutzer meist nicht in der Lage die Anforderungen an die Stammdatenqualität eineindeutig zu spezifizieren bzw. führen keine systematische Qualitätsprüfung der angelieferten Stammdaten durch. Infolgedessen haben die Unternehmen einen erheblichen manuellen Aufwand die fehlerhaft übermittelten Stammdaten zu identifizieren und anschließend zu beheben. Es fehlt an einem unternehmensübergreifenden Stammdatenmanagement.
Insgesamt führt eine mangelhafte Stammdatenqualität zu Umsatzverlust, Kostensteigerung oder Imageschäden in den Unternehmen. Konkret für Industrie 4.0 kann dies bedeuten, dass die Geschäftsprozesse bzw. Maschine-zu-Maschine-Kommunikation inner- und überbetrieblich nicht vollautomatisiert abgebildet werden können und manueller Eingriff notwendig ist.
Unternehmensübergreifendes Stammdatenmanagement
Industrie 4.0 steht an sich für eine vollautomatisierte Maschine-zu-Maschine-Kommunikation in einem Unternehmensnetzwerk. Dabei spielt Vertrauen zwischen den Geschäftsunternehmen eine immer wichtigere Rolle. Um Vertrauen zu erlangen, ist den geschilderten Stammdatenproblemen entgegenzuwirken. Folgende Handlungsmaßnahmen können auf dem Weg zu einem unternehmensübergreifenden Stammdatenmanagement dienlich sein:
- Etablierung eines Stammdatenmanagements mit den Gestaltungselementen: Data Governance, Datenqualitätsrichtlinien, Kennzahlensystem und Werkzeuge zur kontinuierlichen Messung der ein- und ausgehenden Stammdaten (Dateneingangsprüfung).
- Förderung der Weiterbildung und Kommunikation der Mitarbeiter zur Intensivierung des gegenseitigen Informationsaustauschs im Unternehmen und mit Geschäftspartnern, Erarbeitung eines Schulungskonzepts für Stammdaten und Schaffung einer Unternehmenskultur pro Datenqualität.
- Verifikation der Rahmenverträge mit den Geschäftspartnern hinsichtlich der Stammdatenbereitstellung und -qualität. Durchführung von Vertragsverhandlungen unter Berücksichtigung des Stammdatenaustauschs und mit Teilnahme der Stammdatenexperten.
- Analyse der Geschäftspartner hinsichtlich technischer Machbarkeit und deren Anforderungen. Analyse der Stammdatenprobleme zur Maßnahmeneinleitung und Durchführung von Workshops mit Datenlieferanten zur Vereinbarung der Stammdatenübermittlung
Fazit
Zusammenfassend ist festzustellen, dass Stammdaten das Fundament der digitalen Wirtschaft sind und Daten eine strategische Ressource darstellen, die bewirtschaftet werden muss, nach Zeit-, Kosten- und vor allem Qualitätsgesichtspunkten (Otto und Österle 2016).
Im Kontext von Industrie 4.0 wird der Erfolg eines Unternehmens davon abhängig sein, nicht nur wie gut es mit Informationen umgehen kann und wie gut es in der Lage ist, aus Wissen Entscheidungen zu treffen und nachgelagerte Aktionen einzuleiten, sondern auch, welcher Automatisierungsgrad erreicht werden kann.
Stammdaten stellen die Grundlage für jegliche Informationen und Wissen dar und bilden einen wesentlichen Einflussfaktor auf den Automatisierungsgrad. Deshalb wird sich zukünftig kaum ein Unternehmen eine mangelhafte Stammdatenqualität leisten können. Die richtige Einschätzung vorhandener Datenqualität als auch die Einbindung der Geschäftspartner in ein unternehmensübergreifendes Stammdatenmanagement wird zu einem kritischen Erfolgsfaktor.
Die Autoren:
Dipl.-Inf. Thomas Schäffer,
Prof. Dr. Helmut Beckmann, Kompetenzzentrum Unternehmenssoftware der Hochschule Heilbronn
Literaturverzeichnis
Bley, Katja; Leyh, Christian; Schäffer, Thomas (2016): Digitization of German Enterprises in the Production Sector – Do they know how “digitized” they are? In: AMCIS 2016 Proceedings. Twenty-second Americas Conference on Information Systems (AMCIS). San Diego.
Bloching, Björn; Leutiger, Philipp; Oltmanns, Thorsten; Rossbach, Carsten; Schlick, Thomas; Remane, Gerrit et al. (2015): Die digitale Transformation der Industrie. Detailbettrachtungenn von Rolannd Berger Strategy Connsultants im Auftrag des Bundesverbands der Deutschhen Industrie e.V. (BDI). Hg. v. Roland Berger Strategy Consultants GmbH. München.
Leyh, Christian; Schäffer, Thomas; Bley, Katja; Forstenhäusler, Sven (2016): SIMMI 4.0 – A Maturity Model for Classifying the Enterprise-wide IT and Software Landscape Focusing on Industry 4.0. In: M. Ganza, L. Maciaszek und M. Paprzycki (Hg.): Proceedings of the 2016 Federated Conference on Computer Science and Information Systems (8), S. 1297–1302.
Otto, Boris; Österle, Hubert (2016): Corporate Data Quality. Voraussetzung erfolgreicher Geschäftsmodelle. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.
Schäffer, Thomas; Beckmann, Helmut (2016): Trendstudie Stammdatenqualität 2016. Empirische Forschung zur aktuellen Situation der Stammdatenqualität in Unternehmen und daraus abgeleitete Trends zur digitalen Transformation. Stuttgart: Steinbeis-Edition (Schriftenreihe Wirtschaftsinformatik).
Schäffer, Thomas; Leyh, Christian (2016): Master Data Quality in the Era of Digitization - Toward Inter-organizational Master Data Quality in Value Networks: A Problem Identification. In: ERP Future 2016. ERP Future 2016, 14.11.2016.
Schäffer, Thomas; Stelzer, Dirk (2017): Assessing Tools for Coordinating Quality of Master Data in Inter-organizational Product Information Sharing. In: Jan Marco Leimeister und Walter Brenner (Hg.): Proceedings der 13. Internationalen Tagung Wirtschaftsinformatik (WI 2017). St. Gallen, 12.-15. Februar 2017. St. Gallen, S. 61–75.
Wang, Richard Y.; Strong, Diane M. (1996): Beyond Accuracy: What Data Quality Means to Data Consumers. In: Journal of Management Information Systems 12 (4), S. 5–33.
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