Herr Monsees, die digitale Welt und das Auto haben bis vor einigen Jahren nur wenig gemeinsam gehabt. Neben der Steuerung der Fahrzeugkomponenten und der Nutzung digitaler Navigationsdaten waren die Überschneidungen gering. Doch das ändert sich mit wachsender Geschwindigkeit. Welche Verbindung hat Google zum Automobil?
Beides verbindet auf den ersten Blick gar nicht so viel. Doch das bindende Glied sind die Konsumenten. Diese Menschen haben das Bedürfnis, sich an jedem Ort zurecht zu finden und relevante Informationen lokal und situativ zu beziehen. Das kann bereits beim Einstieg in das Fahrzeug beginnen. Technisch ist es bereits jetzt möglich, dass der Fahrer über sein Smartphone erkannt wird und das Automobil Klimatisierung, Sitzeinstellung, Musikliste und seine Bedienoberfläche, die er von seinem Smartphone kennt, personenbezogen zur Verfügung stellt. Es geht darum, dem Kunden auch im Auto dieselben mobilen Services, die er vom Smartphone oder Rechner kennt, zur Verfügung zu stellen. Denkbar ist das nicht nur im eigenen Fahrzeug, sondern in jedem beliebigen, z.B. auch von einem Carsharing-Unternehmen.
Reicht es dafür nicht, dass sich das Smartphone mit dem Datennetz des Automobils verknüpft - wie das heute schon möglich ist?
Dann würden wir hinter dem Machbaren zurück bleiben. Das Smartphone ist das persönlichste, technische Gerät, das es gibt. Darauf befinden sich private Fotos, die Lieblings-Musik und eigene Kontakte - das Smartphone gehört zum Leben dazu. Es ist nur die logische Konsequenz, dass der Wunsch vorhanden ist, diesen individuellen Lebensbereich auf andere wie das Auto zu übertragen.
Dafür hat Google die Open Automotive Alliance gegründet.
Genau! Wir wollen aber keine singuläre, sondern eine ganzheitliche Lösung. Die technische Plattform soll eine Reflektion des Marktes sein. Der Nutzen für den Kunden, dass er im Auto – egal ob das eigene oder ein fremdes - eine ihm vom Smartphone, Tablet oder PC bekannte Oberfläche und seine individuellen Einstellungen wiederfindet, muss immer im Fokus stehen. Beim autonom fahrenden Auto kann man sich z.B. vorstellen, dass dieses sich bereits selber bereitstellt, da es weiß, dass der Fahrer in 10 Minuten an einem bekannten Ort einen Termin hat. Ein weiterer Vorteil der Alliance ist, dass sich die unterschiedlichen Lebenszyklen von Auto und Multimedia miteinander vereinen lassen. Wer mehrere Jahre ein teures Auto fährt, möchte auch beim Infotainment auf dem aktuellen Stand bleiben. Die Alliance kann dafür sorgen, dass die digitale Technik von morgen auch im Auto von heute mitfährt. Fahrzeughersteller wirken durch diese Technik moderner und innovativer. Es ist wichtig, dass wir die Konsumentenhaltung – dass man etwas bekanntes nicht mehr missen möchte – in unserer Entwicklung berücksichtigen.
Welchen Nutzen bietet Google nicht nur dem konsumierenden sondern dem investierenden Kunden, sprich den Unternehmen?
Google Deutschland bearbeitet jede Sekunde 250.000 Suchanfragen. Daraus lassen sich viele relevante Informationen herauslesen. Wenn z.B. eine bestimmte Fahrzeug-Felge verstärkt gesucht wird, kann der Hersteller seinen Lagerbestand erhöhen, um Engpässe bei der Lieferung zu vermeiden. Weiterführend kann er seine Produktion anpassen oder bereits bei der Entwicklung darauf Rücksicht nehmen. Darüber kommt der Hersteller zu einer individuellen Kundenansprache. Eine aktuelle Studie sagt, dass nur 0,87% der volljährigen Deutschen im letzten Jahr einen Neuwagen bestellt haben. Damacht es doch Sinn, die restlichen 99,23% auszublenden und dem Rest ein individuelles, seine Bedürfnisse treffendes Angebot zu unterbreiten. Dadurch erreicht man eine ideale Kundenbindung und eine ideale Produktionsplanung. Informationstechnologie, Datenmanagement, Produktion, Marketing und Entwicklung verschmelzen miteinander.
Glauben Sie, dass die deutsche Automobilindustrie bereits auf diesem Weg unterwegs ist?
Sicher muss hierfür noch ein Umdenken stattfinden. Ein Umdenken von „Am Anfang steht das Geschäftsmodell“ zu „Am Anfang steht das Produkt“. Ein Ansatz, der die klassische Vorgehensweise, wie wir sie aus den Industrien kennen, auf den Kopf stellt. Es ist eine andere Art von Unternehmens- und Innovationskultur.
Die Datenmengen wachsen mit zunehmender Geschwindigkeit. Sie zu sammeln, ist nicht das Problem. Welche Anforderungen werden jedoch an die Auswertung gestellt?
Wichtig ist, dass man sich vorab fragt, welche Ziele mitden Daten erreicht werden sollen. Wenn man das weiß, kommt man dahin, auch die richtigen Daten aus der großen Menge zu ziehen. Momentan haben die Automobil-Hersteller das Problem, dass sie alle technischen Daten bereits ermitteln können. Aber sie wissen nicht, welcher Fahrer diese Daten produziert. Durch das Internet sind diese Informationen, die früher der Händler sammelte, verloren gegangen. Die existierenden CRM -Systeme sind dadurch schnell an ihre Grenzen gekommen. Die Zukunft liegt darin, aus dem digitalen Verhalten der Kunden seine Wünsche abzulesen. So vermittelt das Internet zwischen dem Konsumenten auf der einen und dem Hersteller sowie Händler auf der anderen Seite.
Das klingt nach einer komplexen Aufgabe. Ist das Chef-Sache?
Monsees: Wichtig ist, dass diese Aufgabe unternehmensübergreifend gestellt und behandelt wird. Es reicht nicht aus, dass eine Abteilung dafür gegründet wird. Visionen, die die ganze Wertschöpfungskette des Automobils betrachten, sind notwendig. Mutige Unternehmen werden hier Vorteile haben.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Jens Monsees, Industry Leader Automotive bei Google Germany GmbH (bis 30.09.2014) führte Matthias Wehr, Head of Competence Center Automotive EUROFORUM | XING