Herr Reidl, was macht eine Agentur für Generationen-Marketing eigentlich ganz konkret?
Marketing für die Zielgruppe 50plus. Dabei orientieren wir uns an generationenspezifischen Besonderheiten, sog. Alterseffekte – die Sehkraft lässt nach – und an generationenübergrei-fenden Merkmalen, z.B. die Jeans als generationenverbindendes Element. Das klingt zunächst etwas banal, ist es aber bei weitem nicht. Bleiben wir bei der Jeans. Jung und Alt trägt dieses Kleidungsstück. Die Auswahlkriterien und Kaufentscheidungsgründe sind aber sehr unterschiedlich. Löcher in der Hose – für Junge kein Problem. Boss als Jeansmarke – für Alte kein Problem. Wir suchen nach den Kaufgründen, nach den Markenpräferenzen und forschen welche Produktmerkmale kaufentscheidend sein können. Hinzu kommen Empfehlungen für die Kommunikationsstrategie und Kundenansprache.
Steigt der Bedarf nach altersgerechter Vermarktung tatsächlich? Und warum?
Der geburtenstärkste Jahrgang, 1964, feiert 2014 seinen 50. Geburtstag. Knapp 1,4 Mio. Menschen wurden 1964 geboren. Ja, der Bedarf nach altersgerechter Vermarktung, im Sinne von Zielgruppenmarketing 50plus, steigt.
Immer wieder hört man derzeit, dass sich Zielgruppen in immer individuellere Untergruppen aufsplitten? Gilt das auch für die Zielgruppe 50+? Oder kann man hier noch alle über einen Kamm scheren?
Altersgerecht heißt nicht homogen. Bei 50plus handelt es sich um erfahrene heterogene Stilgruppen, die auf 30, 40 Jahre Konsumerfahrung zurück blicken. So wie jüngere Zielgruppen werden auch ältere von unterschiedlichen Faktoren geprägt. Hier spielt Sozialisation ebenso ein Rolle wie prägende Life-Events. Scheidung im Alter ist keine Seltenheit mehr, neue Liebe im Alter auch nicht. Die neue Lebensphase „Rente“ verändert den Alltag und die Routinen. Die Geburt des Enkelkindes oder die beginnende Pflegebedürftigkeit der Mutter verändern Interessen und beeinflussen Kaufentscheidungen.
Welche Chancen bieten sich hier für das Marketing insgesamt?
Die Grundsätze des Marketings werden durch den demografischen Wandel nicht aus den Angeln gehoben. Sehr wohl aber müssen sich Instrumente anpassen. Werbespots, die Erkenntnisse der Gerontologie (Lehre des Alterns) nicht berücksichtigen werden nicht erfolgreich sein. So braucht bspw. das ältere Gehirn länger, um Informationen zu verarbeiten. Schnell gesprochene Hörfunkspots machen es dem älteren Zuhörer schwer alles richtig wahrzunehmen. Clevere Marketingverantwortliche setzen zusätzlich auf die kristalline Intelligenz, die im Alter besser ausgeprägt ist. Diese Kenntnisse betreffen nicht nur Werbespots, sondern auch das Beratungsgespräch. Aktuell beschäftige ich mich mit der Frage der Verknüpfung von Gerontologie und Ökonomie. Wirtschaftsgerontologie als neue Forschungsdisziplin, die sich u.a. mit ökonomisch relevanten Massenphänomen des Alters, wie beispielsweise ‚runder Geburtstag Jahrgang 1964’, befasst.
Was bedeutet das ganz konkret für die Drogerielandschaft bzw. Ihre Sortimente? Sehen Sie hier besondere Entwicklungschancen?
Die Chancen begründen sich einerseits mit der Tatsache, dass ältere Haushaltsführende öfter am POS anzutreffen sind und andererseits mit wachsendem Produktinteresse in speziellen Segmenten. So kommt der Beauty Guide ‚Pflegende Kosmetik’ (veröffentlicht 2012) zudem Ergebnis, dass bei den über 60-Jährigen das Pflegebewusstsein in den letzten 10 Jahren am stärksten gestiegen ist. So geben 70% der Frauen im Alter 30-39 Jahre und eben so viele im Alter 60-69 Jahre an, dass sie täglich pflegende Kosmetik verwenden.
Betrachten wir das für diese beiden Alters-Zielgruppen das Potenzial 2014 und 2020:
| Frauen gesamt 2014 | 70% Verwenderinnen | Frauen gesamt 2020 | 70% Verwenderinnen |
30-39 Jahre | 4.804.000 | 3.362.000 | 4.980.000 | 3.486.000 |
60-69 Jahre | 4.788.000 | 3.351.000 | 5.579.000 | 3.905.300 |
Quellen: Bevölkerungszahlen Destatis 12. Koordinierte Bevölkerungsvorausrechnung (2008); Beauty Guide 2012 Hrsg.: Bauer Media KG (2012)
Im Jahr 2014 ist sozusagen noch alles in Ordnung. Beide Zielgruppen haben in etwa die identische Größe. Nur 6 Jahre später hat sich das Bild geändert. Die Zielgruppe der 60-69-jährigen Frauen ist 419.300 größer als die jüngere Zielgruppe. Im Jahr 2024 beträgt der Abstand dann bereits 918.000 zu Gunsten der älteren Frauen. Es ist leicht verständlich, dass die Markenpräferenzen beider Zielgruppen unterschiedlich sind. Natürlich bleibt die Frage, erreichen Drogerien die älteren Kundinnen oder kaufen sie lieber in der Parfümerie und in der Apotheke? Welche Kompetenzen braucht es, um diese Zielgruppe zu binden? Wie werden Kundinnen über 60 in der Werbung berücksichtigt? Wie hoch ist der Anteil der zielgruppenadäquat beworbenen Produkte? Ich würde mir als Verantwortlicher solche Fragen stellen.
Anmerken möchte ich noch, dass die Studie Beauty Guide Verwenderinnen im Alter 14-69 Jahre befragt hat. Kundinnen wie Senta Berger (Jahrgang 1941) oder Alice Schwarzer (Jahrgang 1942), beide 70plus wurden nicht berücksichtigt. Ich vermute beide verwenden pflegende Kosmetik. Die Gruppe der 70-79-jährigen Frauen ist 2014 4,7 Mio. groß. Die Gruppe der 70 bis 90-jährigen Frauen ist mehr als 7 Mio. stark.
Wie müssen Drogerien & LEH jetzt reagieren? Oder reagieren Sie bereits richtig?
Die Strategien der Händler müssen modern sein. Modern heißt demografische Veränderungen erkennen und nutzen. Keiner kann es sich ab 2014 leisten auf ältere als Kunden zu verzichten. Die Märkte kippen zu Gunsten älterer Verbraucher. Auch weiterhin geht es um Schönheit, Lebensfreude, Genuss und Verführung. Und natürlich wird auch der Preis weiterhin eine Rolle spielen. Eine alleinlebende 73-Jährige wird tendenziell weniger preissensibel reagieren, als eine 42-Jährige mit 2 Kindern. Wenn die Zukunft kürzer wird, wird das Verlangen nach Schönheit und Lebensfreude weniger vom Preis, als von der Qualität beeinflusst. Kompetenz bekommt einen wichtigen Stellenwert, denn mit kürzer Restlebensdauer meidet man die Strategie ‚Versuch und Irrtum’.
Und zum Abschluss: Wie bezeichnet man die „50plus“ – Generation nun korrekt? Silver Ager? Best Ager?
Das lässt sich schnell und einfach beantworten. Nicht die Bezeichnung macht den Erfolg, sondern das überzeugende Produkt und das stimmige Angebot. Auf Begriffe wie Best Ager und 50plus in der Zielgruppenansprache sollte jeder eine große Bogen machen. Diese Begriffe sind kontraproduktiv. Ältere lieben es ganz normal – sehr geehrte Damen und Herren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Autor: Andreas Reidl, A.GE Agentur für Generationen-Marketing
Kontakt: Nelli Hajdu, Konferenz Managerin EUROFORUM