Interview mit Graphic Recording- Experten

(Aktualisiert 7.8.2015) Graphic Recording ist eine kreative Technik, um die Essenz eines Themas oder einer Veranstaltung grafisch darzustellen. Wir haben zwei Experten nach den Einsatzmöglichkeiten und Besonderheiten dieser Methode befragt.

Interview mit Graphic Recorder Malte von Tiesenhausen

Für uns sind Sie bei Konferenzen als sogenannter „Graphic Recorder“ tätig. Können Sie unseren Lesern erklären, was das überhaupt ist?

Ein Graphic oder Visual Recording ist ein grafisches Protokoll. Ob groß- oder kleinformatig, ob analog mit Stift und Papier oder digital auf dem Tablet erstellt - es geht immer darum, die Inhalte einer Veranstaltung in Ihrer Essenz zu erfassen und, verknüpft mit einer zusätzlichen visuellen Komponente, dem Betrachter des Bildes wieder zu vermitteln. Anders als bei schriftlichen Protokollen geht es hier keineswegs um eine lückenlose Erfassung jeden gesprochenen Wortes, oder gar einer objektiven Betrachtung. Ziel ist vielmehr, weitere Ebenen einer Veranstaltung einzufangen: Emotionales und Ungesagtes ist ebenso Teil eines Graphic Recordings, wie die visuelle Nachvollziehbarkeit von Gesprächsverläufen und Rückverweisen.

Maßgeblich dabei: Ein solches Recording ist ein Instant-Produkt: Endet der Sprecher, ist das Bild ebenfalls fertig und kann sofort eingesetzt werden!

Oder um es noch einmal anders mit den Worten meines Partners Mathias Weitbrecht zu sagen: Graphic Recording ist im Grunde das Gegenteil von Powerpoint! Da nur die Essenz auf einem Blatt dargestellt wird,  statt sich auf viele Slides zu verteilen, kann man es anschauen wie man mag, statt wie bei Powerpoint einer linearen Vorgabe folgen zu müssen. Dies ist in der heutigen komplexen Welt ein großer Vorteil!

Benutzen Sie eine spezielle Technik, um einen Kongress live zu zeichnen?

Vor allem geht es um das Filtern von Informationen und darum, zu priorisieren, welche Punkte die aktuellen Ziele unterstützen. Des Weiteren geht es um die Vernetzung der Informationen. Drittens braucht es dafür besondere Fähigkeiten an Wahrnehmung und des Zuhörens. Das sind also essenzielle Skills, lange bevor etwas an Technik kommt. Sowohl diese, als auch die handwerkliche Techniken kann man erlernen: Bei Visual Facilitators bieten wir hierzu Workshops an, die schnell spürbare Ergebnisse bringen.

Am wichtigsten ist aber sicher die Freude daran, sich im Dienste der späteren Nutzer des Bildes in der uralten Kulturkompetenz "Bild" zu bewegen. Was wir machen, ist also keine Kunst, sondern eher eine Kulturtechnik. Höhlenmalereien beweisen, dass bildliche Darstellungen den Menschen sicher ebenso lange begleiten wie das gesprochene Wort - da war an eine Schriftsprache noch nicht zu denken.

Entsprechend reich ist der Fundus an gelernten optischen Erinnerungen und geteilten bildlichen "Codes", die jedem Menschen innnewohnen.

Wenn ich eine Veranstaltung begleite, höre und sehe ich, was passiert, filtere diese Informationen, extrahiere den Kern der Botschaft, oder markante Sätze, und verknüpfe diese innerlich mit einer Bildidee. Die Zeichnung selbst ist dann nur sichtbarer Ausdruck dieses Prozesses.

So tragen die Teilnehmer und Sprecher ebenso sehr zum Bild bei wie der Zeichner - ich bin vollkommen auf das angewiesen, was von außen kommt. Je nach Auftrag beziehe ich mich dabei nicht nur auf Worte. Während Graphic Recording im Grunde  passive Dokumentation ist, bieten wir mit Visual Facilitating weiterreichende Methoden an: Der Zeichner wird aktiv leitender Führer einer Gruppe, bei gleichzeitiger Visualisierung. Hier sind es vor allem die Einsichten oder Perspektiven der Teilnehmenden, die das Bild zu einem unschätzbaren Tool für den weiteren Prozessverlauf machen können.

Bei Visual Facilitators sind wir also nicht nur auf Graphic Recordings beschränkt, sondern folgen unserer Vision, mittels Visualisierung verschiedenste Herausforderungen und Prozesse zu unterstützen.

Ein Frage zu Ihrem zeichnerischen Werdegang: Wie wurden Sie ein "Graphic Recorder"?

Nachdem ich 2004 mein Studium zum Kommunikationsdesigner abgeschlossen hatte, habe ich direkt den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt. Gezeichnet hatte ich schon immer - jetzt machte ich diese Leidenschaft zum Beruf. Mein erstes Projekt war ein fundiert recherchierter Edutainment-Manga für den Carlsen-Verlag, und somit ein spannender Ausflug in die Verlagsbranche. Danach habe ich für einige Jahre vor allem Storyboards für Werbefilme und Großveranstaltungen gezeichnet, und so Erfahrungen mit Regisseuren, Producern und Eventagenturen gesammelt.

Auf die Dauer schlich sich allerdings der Wunsch ein, meine Einsatzgebiete auszuweiten. Als ich 2011 das erste Mal die Möglichkeit hatte ein Graphic Recording zu zeichnen, war ich sofort begeistert: diese Art der Konferenzdokumentation war genau das, was ich mir vorgestellt hatte!

Seitdem arbeite ich mit meinem Partner Mathias Weitbrecht und unserem Team von Visual Facilitators nahezu ausschließlich in diesem Bereich. Gemeinsam haben wir in den letzten Jahren hunderte visuelle Werke erstellt - in der gesamten Bandbreite an Unternehmen und Feldern der Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Zukunftstrends. Und dies in einer Vielzahl von Disziplinen wie Unternehmensführung, Strategie, Organisationsentwicklung Beratung, Training, Lernen, Bildung und  Veränderung. Und in ebenso großer Band Bandbreite der Branchen – von Finanzwesen, Luftfahrt, Mobilität, Industrie, Konsumgüter, Medien bis hin zu Wissenschaft, Bildung und Gemeinnützigen Organisationen. Die Formate reichten vom Kleinstmeeting über interne wie öffentliche Workshops bis hin zu Großkonferenzen und Betriebsversammlungen.

Wer hat Sie beeinflusst und was ist das besondere an Ihrem Stil?

Dass ich persönlich stark durch den europäischen Comic der frankobelgisch/italienischen Machart und der Ligne Claire geprägt bin, ist sicher nicht zu übersehen. Aber auch klassische Kunstepochen haben mich stark beeinflusst, vor allem die Impressionisten. Da wir, bewusst oder unbewusst, ständig von visuellen Botschaften und Bildsprachen umgeben sind, spielt natürlich noch eine Menge mehr mit hinein, wobei mir auch außereuropäische Einflüsse wie z.B. Hokkusai keineswegs fremd sind. Wichtig ist uns, dass die Zeichner von Visual Facilitators sich in ihrer Stilpalette auch an Bedürfnisse der Kunden oder der Situation anpassen können. Für Einsätze auf Veranstaltungen wähle ich selbst daher einen sehr intuitiven, schnellen, leicht spielerischen Strich, der dennoch so klar bleiben sollte, dass er die Inhalte nicht überlagert.

Es geht bei unserer Visualisierungsarbeit nämlich immer um die Ziele des Events oder des Business-Prozesses – weniger um das Produkt. So überraschend es klingen mag: dass das Bild schön aussieht, ist sozusagen sekundär. Dass es die Ziele unterstützt und einen Mehrwert liefert, ist das Primäre.

Interviewpartner: Malte von Tiesenhausen und Mathias Weitbrecht, Visual Facilitators

Henning Haake, Content Marketing Manager EUROFORUM | XING

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Graphic Recording gibt es u.a. auf der Handelsblatt Jahrestagung Compliance am 8. und 9. 9. 2015