An den Küsten Deutschlands kann so manches Mal eine steife Brise wehen. Die pustet nicht nur die Gemüter durch, sondern bringt auch die mittlerweile zahlreichen Windanlagen dort gehörig auf Touren. Und lässt damit auch – eine besonders kräftige Sturmfront oder plötzliche Böe vorausgesetzt – Preiskurven auf den europäischen Strommärkten tanzen.
Denn schon längst macht der Strom nicht mehr an Landesgrenzen halt. Genaugenommen hat er das nie, denn rein physikalisch nimmt Strom bekanntlich den Weg des geringsten Widerstands. Zudem ist der deutsche Strommarkt seit 2010 unter dem Schlagwort Marktkopplung schrittweise in einen europäischen Binnenmarkt eingebettet worden. Die Idee: das Preissignal auf den verschiedenen Märkten nutzen, um die knappen Übertragungskapazitäten an den Landesgrenzen, also zwischen den Märkten, optimal zu nutzen.
Grenzüberschreitender Handel ist einer der wesentlichen Schlüssel für erhöhte Flexibilität am Strommarkt – dieses Motto gilt insbesondere für den Day-Ahead-Markt. Hier decken die miteinander gekoppelten Märkte mittlerweile die Länder zwischen Portugal und Finnland, und vom Vereinigten Königreich bis Italien ab. Sie repräsentieren 85 Prozent des europäischen Stromverbrauchs. Jahrelang haben Börsen zusammen mit Übertragungsnetzbetreibern daran gearbeitet, seit 2015 steht die Kopplung der europäischen Day-Ahead Märkte quasi in Gänze.
Dieses zutiefst europäische Projekt ist kein Selbstzweck, denn es erspart den Verbrauchern durch Effizienzgewinne zwischen den Märkten Kosten in Milliardenhöhe. Auch und besonders die deutsche Energiewende profitiert davon, denn starke Schwankungen in der Erzeugung – und im Preis im Großhandel – können teilweise durch den hocheffizienten Austausch an den Grenzen ausgeglichen werden. Erhöhte Netzsicherheit und sich angleichende Preise sind die Folge.
Neben der Marktkopplung rückt bereits seit Jahren ein weiteres Instrument in den Fokus, um die Flexibilität an den Strommärkten zu erhöhen: kürzere Kontrakte. Zuvor wurde Strom auf Stundenbasis gehandelt. Böen dauern aber nicht eine Stunde, sondern vielleicht nur eine Viertel- oder halbe Stunde. Und hier kommt der Intraday-Handel ins Spiel.
Dieser Markt erlaubt den kontinuierlichen Handel mit Strom bis 5 Minuten vor Lieferung. Sukzessive hat die EPEX SPOT diesen Markt ausgebaut, um ihn für Händler flexibler zu gestalten: durch impliziten, also automatisch optimalen grenzüberschreitenden Handel; durch verkürzte Zeiten zwischen Handelsende und Lieferung; und, insbesondere mit Hinblick auf die Energiewende, durch 30- und 15-Minuten Kontrakte. Diese sind mitunter ideal für den Handel mit den fluktuierenden Erneuerbaren – besonders im Hinblick auf die häufig schnelle Veränderung bei der Erzeugung aus Photovoltaik-Anlagen.
Die EPEX SPOT startete im Dezember 2014 eine Auktion mit 15-Minuten-Kontrakten auf dem deutschen Intraday-Markt – das Ziel: ein klarer Preis für Flexibilität, bereits einen Tag im Voraus. Denn so sehen Händler Veränderungen von Angebot und Nachfrage auf Viertelstundenbasis – und können flexible Kapazität zuschalten, sobald es sich lohnt. EPEX SPOT hat bereits 2011 kontinuierliche 15-Minuten Kontrakte in Deutschland eingeführt, 2013 folgte die Schweiz und 2015 auch Österreich. In Frankreich, in Deutschland und in der Schweiz wurden im Jahr 2017 zeitgleich 30-Minuten Kontrakte angeboten. Der Erfolg dieser kürzeren Kontrakte ist unübersehbar. Im Jahr 2017 stammten 14% des gesamten Intraday-Stromhandelsvolumens aus 15-Minuten-Kontrakten.
Natürlich können diese kontinuierlichen Flexibilitätsprodukte auch über Grenzen hinweg gehandelt werden, und Marktkopplung spielt auch auf diesen Märkten eine zentrale Rolle. Über Jahre hat die Europäische Strombörse ihre Intraday Märkte integriert und so den belgischen, deutschen, französischen, niederländischen, österreichischen und schweizerischen Intraday Handel verbunden. Im Jahr 2017 wurde auf den EPEX SPOT Intraday Märkten insgesamt 71 TWh Strom gehandelt – ein Rekord. Circa 20% dieses Handels war grenzüberschreitend. Die Wichtigkeit des grenzüberschreitenden Intraday Handels wurde auch auf EU-Ebene erkannt, und im Juni 2018 haben Strombörsen und Übertragungsnetzbetreiber erfolgreich das sogenannte XBID Projekt gestartet, welches die Intraday-Marktkopplung in 14 europäischen Ländern harmonisiert. Nicht zuletzt um erneuerbare Energien besser in den Markt zu integrieren.
Doch die Flexibilisierung der Märkte ist noch lange nicht am Ende angelangt: Die steigende Marktaktivität sowie der steigende Anteil von automatisiertem Handel bedeuten, dass die Systeme immer größere Datenmengen beherbergen müssen. Durch den steigenden Anteil an Erneuerbaren spielen lokale Engpässe eine immer größere Rolle – durch lokale Orderbücher, welche EPEX SPOT im Rahmen des Enera Projektes plant einzuführen, können solche Systemproblematiken durch eine marktbasierte Lösung abgeschwächt oder sogar aufgehoben werden.
Der Intraday Markt bietet vielfältiges Potenzial um die Herausforderungen der Energiewelt zu stemmen, und die Europäische Strombörse strebt an, dieses Potenzial weiter auszuschöpfen.
Dr. Wolfram Vogel
Europäische Strombörse EPEX SPOT