Elektromobilität als Herzensangelegenheit

28.08.2017Auto & ProduktionElektromobilität, E-Mobilität, ElektroautomarktLeidet die E-Mobilität an einem Nachfrage- oder Angebotsproblem?

Im Bereich Elektromobilität klafft eine Lücke zwischen den hohen Zukunftserwartungen an die Technologie von Politik und Gesellschaft und der Realität einer geringen Nachfrage auf Kundenseite. So indizieren die aktuellen Absatztrends von Elektrofahrzeugen in den globalen Märkten mit wenigen Ausnahmen noch ein geringes Interesse an der E-Mobilität. Bei der Suche nach strukturellen Gründen für die geringe Absatzdynamik muss die Frage geklärt werden, ob die Elektromobilität im Kern an einem Nachfrageproblem oder eher an einem Angebots- bzw. Technologieproblem krankt?


Zunächst zeigt ein Blick auf die Nachfrageentwicklung ein eher ernüchterndes Gesamtbild. Weltweit wurden im Jahr 2016 rund 850.000 Elektrofahrzeuge (BEV, PHEV) zugelassen, was einem globalen Marktanteil von nur rund einem Prozent entspricht. Maßgeblich getrieben wird die Elektromobilität vom chinesischen Markt, während das Wachstum in den meisten anderen Märkten nur langsam voranschreitet. Im zurückliegenden Jahr wurden in China rund 507.000 E-Autos (New Energy Vehicles (NEV), inkl. Commerical Vehicles) abgesetzt, wodurch sich die E-Fahrzeugverkäufe im Vergleich zum Vorjahr um 53 Prozent steigerten und der Marktanteil von 1,3 auf 1,8 Prozent an den Neuzulassungen anstieg. Die Zahl rein elektrisch betriebener Fahrzeuge (BEVs) ist mit 409.000 Einheiten (81%) dabei weit höher als die von Plug-In-Hybriden (PHEV), welche nur auf 98.000 Einheiten (19%) kommen. Die meistverkauften E-Fahrzeugmodelle werden von chinesischen Herstellern gebaut. In den Top-20 der meistverkauften Modelle findet sich außer Tesla kein ausländischer Hersteller.

Der zweitgrößte Elektroautomarkt sind die USA mit 157.000 Neuzulassungen (+38%), wobei rund die Hälfte batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) sind. Marktführer ist Tesla, auf deren Modelle S und X wiederum mehr als die Hälfte der Verkäufe entfallen, gefolgt vom Nissan Leaf und BMW i3. Der Marktanteil von E-Fahrzeugen an den Gesamtzulassungen ist mit 0,9 Prozent jedoch eher unterdurchschnittlich. Europa (EU inkl. Norwegen, Schweiz) belegt im internationalen Vergleich mit rund 150.000 abgesetzten Elektrofahrzeugen nur Rang 3, wobei die Situation in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich ist: Im Ausnahmeland Norwegen ist fast jede dritte Neuzulassung ein E-Auto (29%), Tendenz weiter steigend. Dagegen kommen die großen EU-Länder Großbritannien und Frankreich mit 37.000 bzw. 29.000 Einheiten nur auf einen Marktanteil von rund 1,4 Prozent. In Deutschland ist die bisherige E-Auto Bilanz noch ernüchternder: Im vergangenen Jahr steht nur ein mageres Plus von 7 Prozent auf 25.000 Elektrofahrzeuge. Das entspricht einem Marktanteil von nur 0,75 Prozent (2015: 0,73%). Dabei legen nur die Plug-in Hybride auf 13.744 Fahrzeuge zu (+24%), während Neuzulassungen von reinen Elektrofahrzeugen (BEV) mit 11.410 Einheiten sogar einen rückläufigen Trend aufweisen (-7,7%). Interessanterweise brachte damit also auch die seit Juli letzten Jahres geltende E-Auto Förderprämie von bis zu 4.000 Euro keine Belebung. In den ersten Monaten dieses Jahres stiegen die E-Autoabsätze immerhin leicht an.

Die Elektromobilität ist weniger ein Angebots- als ein Technologieproblem. Der strategische Ansatzpunkt liegt daher primär bei den Automobilherstellern.

Die Gründe für die mangelnde globale Dynamik des Elektroautomarktes und das Scheitern des Förderinstruments der E-Autoprämie wie in Deutschland liegt nach unserer Auffassung an einer unvollständigen Problemanalyse. Die Elektromobilität leidet primär nicht an einem Nachfrage-, sondern an einem Angebots- bzw. Technologieproblem. Gelöst werden muss das von uns vor Jahren so betitelte R.I.P.-Problemcluster Reichweite – Infrastruktur – Preis. Die reale Reichweite der E-Fahrzeuge muss auf mindestens 350-500 km erhöht und die im Wesentlichen durch die Batterien getriebenen Kosten gleichzeitig auf das Niveau von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor reduziert werden. Freilich derzeit noch ein Zielkonflikt. Insbesondere fehlt es jedoch an einer ausreichend dichten (Schnell-)Ladeinfrastruktur, um die E-Auto Nachfrage zu steigern, gerade auch in Deutschland. Subventionen für Elektroautos, die auf der Annahme eines lediglich preislich bedingten Nachfrageproblems basieren, werden entsprechend wenig Wirkung entfalten.

Wird die Elektromobilität als Angebots- und Technologieproblem adressiert, liegt der strategische Ansatzpunkt primär bei den Automobilherstellern. Dabei gilt es zunächst, die aus Kundensicht relevanten funktionalen Defizite der Elektromobilität – vor allem die interdependente Batteriereichweiten- und Ladeinfrastrukturthematik sowie den Preisnachteil – durch entsprechende technologische Konzepte und attraktive Fahrzeugmodelle zu beseitigen. Entsprechend ist es auch richtig und wichtig, dass sich die Hersteller beim Aufbau einer (Schnell-)Ladeinfrastruktur maßgeblich beteiligen, um das „Henne-Ei-Problem“ für den Hochlauf der E-Mobilität aufzulösen. Aus Kundensicht sind E-Autos als Erstwagen nicht akzeptabel solange keine verlässlichen faktischen Lademöglichkeiten entlang der Routen bestehen, sondern eben nur theoretische. Praxistests zeigen, dass zwar die „Ladesteckerfrage“ weitgehend gelöst ist, es aber noch erhebliche Unzulänglichkeiten bei der Verfügbarkeit und der kundengerechten Abrechnung von Stromtankstellen gibt.

Neben der Darstellung funktionaler Mindestanforderungen im Wettbewerb der Technologien ist eines jedoch noch viel wichtiger: Die Hersteller müssen sich in erster Linie darauf fokussieren E-Autos zu entwickeln, die bei den Zielgruppen hohe Begehrlichkeiten hervorrufen statt vornehmlich Verzichts- und Minderwertigkeitsgefühle auszulösen. Das E-Auto muss von einer Kopfsache zur einer Herzensangelegenheit gemacht werden. Kaufzuschüsse sind dagegen nebensächlich bis hinderlich, um die Attraktivität eines neuen Produkts zu demonstrieren. So wurde vor mehr als 100 Jahren das Pferd vom Auto ja auch nicht deshalb verdrängt, weil es subventioniert wurde.

 

<strong>Dr. Sven Deglow</strong>

 

Prof. Dr. Stefan Bratzel
Direktor, Center of Automotive Management und Dozent
Fachhochschule der Wirtschaft (FHDW) Bergisch Gladbach

 

 

Center of Automotive Management

Das Center of Automotive Management (CAM) an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach untersucht regelmäßig im Bereich der „Elektromobilität“ die Absatzentwicklungen und Trends in wichtigen automobilen Leitmärkten sowie die Innovationen der Automobilhersteller. Analysiert werden die Absatztrends und Rahmenbedingungen in relevanten Ländern sowie die fahrzeugtechnischen Neuerungen von über 30 Automobilgruppen seit dem Jahr 2005. Insgesamt sind derzeit über 10.000 Innovationen in der CAM Inno-Datenbank inventarisiert. Jede einzelne Neuerung wird systematisch nach dem M.O.B.IL – Ansatz (Maturity/Reifegrad, Originalität, Benefit/Kundennutzen, Innovation Level/Innovationsgrad) bewertet und gewichtet. Aus der Summe der gewichteten Innovationen wird die Innovationsstärke eines Automobilherstellers berechnet.

www.auto-institut.de

Dieser Beitrag ist Teil der aktuellen Ausgabe des Handelsblatt Journals „Die Zukunft der Automobilindustrie“, das Sie hier erhalten können