Künstliche Intelligenz ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche Technologien, die kognitive Fähigkeiten des Menschen imitieren. Vor allem bei neuronalen Netzen hat es in den letzten Jahren bahnbrechende Fortschritte gegeben, die unter anderem zu automatischen Übersetzern, Bilderkennungssysteme, Sprachein- und ausgabesystemen und vielfältigen weiteren Anwendungen führten. Vorreiter dieser Entwicklungen sind Forschungseinrichtungen und Konzerne in Amerika und auch China. Deutschland hat eine lange Historie in der KI-Forschung, jedoch ist man bei der Umsetzung in praktische Anwendungen und Produkte leider zu langsam bzw. zu ängstlich vorgegangen. Dies gilt vor allem für die sogenannte Consumer-AI, die meist auf allgemein verfügbaren Daten aufgebaut ist und in Endkundenprodukten eingesetzt ist.
Etwas anders sieht dies bei der Industrial-AI aus. Hier hat Deutschland aufgrund der digitalisierten Industrieproduktion noch eine gute Ausgangsposition für die Nutzung von KI. Dies ist Chance aber auch Risiko zugleich. Denn wenn es uns in Deutschland und Europa nicht gelingt, durch den Einsatz von KI im industriellen Bereich gegenüber den USA und China nicht weiter zu verlieren, werden langfristig die Grundpfeiler unseres wirtschaftlichen Wohlstandes bedroht. Es gibt allerdings eine Reihe von erausforderungen, diesen erforderlichen Wandel zu bewältigen.
Mangel an KI-Spezialisten
Es gilt einen großen und wachsenden Mangel an Fachkräften. Data Scientists, die KI-Anwendungen erstellen, müssen eine Reihe von Kompetenzen vereinen: Mathematik, Informatik und vor allem die Fähigkeit sich in neue fachliche Themenkomplexe schnell einzuarbeiten. Wir brauchen mehr Ausbildung, um sowohl mehr Spitzenkräfte in Forschung und Industrie zu gewinnen, als auch in der Breite die Grundlagen von KI zu vermitteln. Die abnehmende Zahl an Studienanfängern im MINT-Bereich zeigt aber auch, dass es noch ein tieferliegendes Problem gibt. In aktuellen Lehrplänen an Schulen und Universitäten fi ndet diese Problematik kaum Berücksichtigung. Daher fordern viele Institutionen, wie auch der KI-Bundesverband e.V., seit längerem, dass digitale Bildung ein wichtiger Bestandteil des Lehrauftrags in allen Schulformen und bei universitären Studienfächern wird. Dies ist, im Zusammenspiel mit der Vermittlung von Medienkompetenz auch notwendig, um die kommenden Generationen auf die Herausforderungen einer immer mehr digitalisierten Welt vorzubereiten.
Transfer von Forschungsergebnissen in die Wirtschaft
Die vergangenen Jahre in der KI-Entwicklung haben erneut gezeigt, dass Deutschland große Mängel im erfolgreichen Transfer von Forschungsergebnissen in die Wirtschaft hat. So wurde z.B. das auf Signalverarbeitung spezialisierte neuronale Netz-Architektur LSTM an der TU München entwickelt, kommerzialisiert aber vor allem durch Siri, Alexa und vielen anderen Anwendungen im Ausland. In der Vergangenheit verliefen staatlich geförderte Aufholjagden wie z.B. die Entwicklung eines deutschen Supercomputers (SUPRENUM) oder einer europäischen Google-Alternative (Theseus/Quaero) trotz hoher Investitionssummen oft im Sande. Dies zeigt, dass man bei der Förderung von Künstlicher Intelligenz nicht nur die entsprechenden Budgets bereitstellen, sondern auch grundlegend neue Prozesse und Strukturen in diesem Bereich etablieren muss. Hier ist die Bundesagentur für Sprunginnovation, die sich an dem erfolgreichen amerikanischen DARPA Modell orientiert, ein erster positiver Lichtblick.
Digitale Souveränität
Eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Transformationen zu einer digitalisierten, KIgestützten Wirtschaft, ist der Erhalt der digitalen Souveränität. Wir erleben derzeit einen gewaltigen Umbruch im Bereich der IT. Unternehmen fast aller Branchen transferieren ihre zentralen Computer-Infrastrukturen zu Cloud Services. Dies geschieht aus Gründen der Kosten, flexiblen Skalierbarkeit aber auch aus einem zu erwartenden Mangel an Fachkräften. Gerade der Mittelstand wird es zukünftig immer schwerer haben, ausreichend Systemadministratoren zum Betrieb eigener Infrastruktur zu rekrutieren. Dominiert wird der Markt von den amerikanischen Diensten Amazon Webservices (AWS), Microsoft Azure und Google Cloud Services, doch stehen chinesische Anbieter wie Alibaba oder Tencent in den Startlöchern. Es ist faszinierend welches Portfolio an Diensten und Services diese Anbieter auf den verschiedenen Ebenen in den letzten Jahren aufgebaut haben: Infrastructure as a Services (IaaS), Plattform as a Service (PaaS) und Software as a service (SaaS). Dieser Segen ist gleichzeitig auch ein Fluch. Unternehmen gegeben sich mit der Nutzung dieser Services zunehmend in eine wachsende Abhängigkeit von diesen Anbietern. Einmal getätigte Investitionen in Software, Infrastruktur und Prozesse lassen sich nur bedingt zu einem alternativen Anbieter transferieren, es kommt zum Lock-In. Berücksichtigt man, dass im Jahr 2025 schätzungsweise 80% der deutschen Unternehmen die Cloudservices nutzen, so wird aus dem betriebswirtschaftlichen ein volkswirtschaftliches Problem. Die Funktionsfähigkeit vieler Unternehmen und damit der deutschen Wirtschaft ist direkt abhängig von einigen wenigen US und chinesischen Dienstleistern. Hinzu kommt eine durchaus ernstzunehmende politische Komponente, wie das von Washington durchgesetzte Verbot der Android-Nutzung durch Huawei oder die Abschaltung der Adobe Cloud in Venezuela gezeigt haben. Die deutsche und europäische Wirtschaft darf sich nicht weiter in die digitale Abhängigkeit dieser Anbieter begeben. Es wird also dringend eine Alternative benötigt. Das Bundeswirtschaftsministerium hat hier mit GAIA-X eine Initiative gestartet, die Standards für einen virtuellen Hyperscaler erarbeitet, auf deren Basis Marktteilnehmer einheitliche, transparent migrierbare Cloud Services anbieten können. Wichtig ist, dass dieses Angebot von großen deutschen und europäischen Playern zu attraktiven Preisen auf den Markt kommen. Auch darf sich das Angebot nicht auf die Bereitstellung von Infrastruktur beschränken, sondern muss einen umfassenden Katalog von Services auf allen Ebenen entwickeln. Erfolgt dies nicht, oder sind die Umsetzungsversuche zu zaghaft, so werden kaum Kunden gewonnen werden, und das Vorhaben scheitern. Gerade für die aufkommende europäische KIIndustrie wäre das fatal, da die Cloud Anbieter auf Basis Ihrer Rechenkapazität und vorhandenen Datenmassen immer mehr KI-Dienste out-of-the box als leistungsfähige Services bereitstellen und somit immer kleinere Nischen übrigbleiben.
Innovationskraft vs. Regulierungswut
Verfolgt man die Diskussion über KI-Ethik in Gremien und der Öffentlichkeit, gewinnt man aber oft den Eindruck, dass einige der Protagonisten ihr Wissen über KI aus dem intensiven Studium von „Terminator“ oder „Matrix“ gewonnen haben. Unterschiedliche KI-Anwendungen werden pauschalisiert behandelt, obwohl ein Großteil der Applikationen, wie z.B. die optische Qualitätssicherung durch neuronale Netze in der industriellen Produktion überhaupt keine ethischen Implikationen generieren. Es werden Ängste geschürt und der Ruf nach dem Staat, möglichst enge Regularien aufzubauen, wird größer. Stattdessen sollten wir in der Diskussion zunächst die Chancen betrachten und dann die Risiken analysieren. Wir brauchen mehr Mut zu Veränderung in unterschiedlichen Dimensionen und die Kraft, diese effizient umzusetzen. Nur so können wir auf Basis der neuen Technologien rund um die Künstliche Intelligenz unsere wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und damit auch den zukünftigen Wohlstand erhalten. Auch und gerade unter der Berücksichtigung der großen ökologischen Herausforderungen.
Jörg Bienert, Präsident, Bundesverband Künstliche Intelligenz
„ Wir brauchen mehr Mut zu Veränderung in unterschiedlichen Dimensionen […]. Nur so können wir […] unsere wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und damit auch den zukünftigen Wohlstand erhalten.“