Die EZB ist nicht die erste Zentralbank mit negativen Zinsen
Zwischen Juli 2012 und April 2014 wagte auch die dänische Zentralbank ein solches Experiment. Allerdings ist deren Geldpolitik fast ausschließlich dem Ziel untergeordnet, den Kurs der Dänischen Krone stabil zum Euro zu halten. Insofern war der negative Depositensatz in Dänemark eine währungspolitische Notwendigkeit und hatte darüber hinaus nur geringe Auswirkungen auf die dänischen Finanzmärkte. In einem viel größeren Währungsraum wie der Eurozone sind die Ausgangsvoraussetzungen vollkommen andere. Insofern ist es sicherlich nicht falsch zu behaupten, dass die EZB mit der Senkung des Einlagensatzes unter null geldpolitisches Neuland betreten hat.
Aber trotz des außergewöhnlichen Charakters dieses Zinsschritts ähneln die meisten seiner zu erwartenden Wirkungen denen einer „ganz normalen“ Leitzinssenkung im positiven Terrain. Indem die EZB ihr gesamtes Spektrum an Leitzinsen (Einlagensatz, Hauptrefinanzierungssatz und Spitzenrefinanzierungssatz) verringert, verlagert sie den kompletten Zinskorridor am Geldmarkt nach unten. Deshalb entfaltet diese Lockerung auch einen größeren Einfluss auf die kurzfristigen Marktzinsen als die zwei Zinsschritte im Jahr 2013, bei denen der Einlagensatz jeweils ausgeklammert gewesen ist. In der Folge ergeben sich auch stärkere Effekte auf den Kurs des Euros, da internationale Zinsdifferenzen am kurzen Ende ein wesentlicher Einflussfaktor für die Wechselkurse sind.
Strafzins für Banken zu erwarten
Zu diesen üblichen Wirkungen einer Leitzinssenkung kommt der zusätzliche Aspekt, dass Banken von nun an einen Strafzins zu zahlen haben, wenn sie überschüssige Liquidität bei der EZB parken. Dies wird jedoch vorerst nicht dazu führen, dass die Überschussreserven am Interbankengeldmarkt schneller abgebaut werden. Denn über wieviel Zentralbankgeld das Bankensystem als Ganzes verfügt, hängt davon ab, in welchem Ausmaß die Refinanzierungsgeschäfte der EZB in Anspruch genommen werden. Gleichzeitig besteht jedoch für jede einzelne Bank jetzt ein umso größerer Anreiz, die negativ verzinsten Überschussreserven loszuwerden. Deshalb könnte die Bereitschaft steigen, nicht benötigte Zentralbankguthaben an andere Finanzinstitute zu verleihen. Im günstigsten Fall trägt der negative Einlagensatz also dazu bei, dass das Aktivitätsniveau am Geldmarkt wieder zunimmt.
Wahrscheinlich werden zahlreiche Banken aber auch versuchen, dem negativen Einlagensatz zu entgehen, indem sie nicht benötigte Zentralbankguthaben für Wertpapierkäufe verwenden. Dadurch sinken zwar deren Renditen. Gleichzeitig werden die Überschussreserven im Bankensystem jedoch nicht verringert, sondern lediglich anders verteilt. Solange es ungenutzte Zentralbankguthaben gibt, führt der negative Einlagensatz somit zu zusätzlichem Anlagedruck. Und dieser strahlt ungewöhnlich weit auf die mittleren und längeren Laufzeitbereiche aus, weil die Anleger aufgrund der niedrigen Inflation und der Forward Guidance der EZB davon ausgehen können, dass der negative Einlagensatz für längere Zeit in Kraft bleiben wird.
Expansive Auswirkungen an den Geldmärkten
Insgesamt kann man somit davon ausgehen, dass die Senkung der Leitzinsen und der negative Einlagensatz einige expansive Wirkungen an den Geld- und Wertpapiermärkten hervorrufen werden. Inwieweit diese Maßnahmen sowie das neue gezielte Liquiditätsprogramm der EZB jedoch eine realwirtschaftliche Transmission hin zu einer verbesserten Konjunktur mit stabileren Inflationsraten hervorruft, ist höchst ungewiss und erst nach Monaten überprüfbar. Es besteht immer stärker die Gefahr, die Geldpolitik mit Dingen zu beauftragen – den Zusammenhalt der Eurozone, die Erzeugung von Wachstum – für die sie originär nicht zuständig ist und sie damit zu überfordern.
Autor: Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt, DekaBank, 6.Juni 2014 | XING
Kontakt: Carola Bergmann, Conference Director Banken EUROFORUM | XING