Digitalisierung ist kein neues Thema für Versicherer. Woher kommt die große Unsicherheit?
Veränderungen in der Assekuranz brauchen mehr Zeit als in vielen anderen Industrien und das gilt auch für die Digitalisierung. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Versicherer erkennen durchaus das Potenzial. Unsere kürzlich veröffentlichte Global Pricing and Sales Study 2017 zeigt sogar: Es wird viel investiert – noch stärker als in anderen Branchen. Trotzdem scheitern in der DACHRegion sechs von sieben Digitalisierungsinitiativen: Knapp 80 Prozent der Versicherer konnten damit noch keinen messbaren Umsatz erzielen. Das ist erschreckend.
Woran liegt das?
Häufig fehlen ein klarer Plan und eine ganzheitliche Digitalisierungsstrategie, weshalb Bemühungen oft in einem zusammenhangslosen Mischmasch enden: Prozesse sind nicht auf den Kunden ausgerichtet, Kanäle werden nicht integriert, die Monetarisierung ist zu spät im Fokus. Der Kompass fehlt. Vielmehr verschlingt punktueller Aktionismus enorme Ressourcen, ohne dass der Mehrwert frühzeitig abgewogen wird. Daher spiegeln sich die digitalen Bemühungen der Versicherungen nicht angemessen im Umsatz wider, geschweige denn im Ertrag.
Was ist Ihrer Meinung nach zu tun?
Nur wer die Ausrichtung seiner Vertriebswege am Endkunden orientiert, kann langfristig Erfolge erzielen. Das eigentliche Potenzial des Online-Kanals besteht in geführten Verkaufsprozessen, die die Charakteristika des Kunden erkennen und ihn schnell und systematisch zu einem hochwertigen Kaufabschluss führen. Auch im stationären Vertrieb müssen Verkaufsprozesse digitalisiert werden. Hier steckt noch viel Potenzial für mehr Produktivität. Behavioral Economics – also wissenschaftliche Erkenntnisse zum Wahl- und Kaufverhalten der Kunden – werden in diesem Kontext noch stiefmütterlich behandelt, sind aber wichtig. Denn: Den meisten Kunden sind Versicherungen egal. Und dem Digital Native sind Versicherungen dann eben digital egal.
Dr. Dirk Schmidt-Gallas
Senior Partner und Global Head of Insurance bei Simon-Kucher & Partners
Dieser Beitrag ist Teil der aktuellen Ausgabe des Handelsblatt Journals „Versicherung neu gedacht“, das Sie hier erhalten können