Das Finanzsystem bildet einen zentralen Bestandteil der Wertschöpfung nationaler Volkswirtschaften wie auch des internationalen Handels. Zu den bisher bekannten Akteuren, Währungen und Finanzmarktinfrastrukturen könnten schon bald neue Akteure, neue Währungen und neue Finanzmarktinfrastrukturen hinzukommen bzw. die alten könnten teilweise verschwinden. Stehen wir also am Beginn eines neuen digitalen Finanzsystems? Bedeutende Institutionen im Finanzsystem sind beispielsweise die Zentralbanken, die Aufsichtsbehörden, die Geschäftsbanken sowie Organisationen und Privatpersonen, die als Anleger und Kreditnehmer auf Finanzmärkten interagieren. Derzeit wirken vier Triebkräfte auf dieses Gefüge ein:
Neue Akteure:
Die Peer-to-Peer-Ökonomie stellt die heute vorherrschenden zentralisierten, hierarchischen Organisationsformen und Anbieter in Frage. Beispiele wie Airbnb im Tourismusbereich und Getaround im Mobilitätsbereich zeigen, dass neue Akteure hinzugekommen sind bzw. wie beim sozialen Peer-to-Peer-Netzwerk AKASHA oder Sharetribes Peer-to-Peer-Marktplatz sogar ohne Intermediäre auskommen. Dieses Prinzip dürfte in Zukunft noch mehr Gewicht bekommen, wie auch Facebooks Ankündigung andeutet, seine Mission zukünftig stärker auf die themenorientierte Bildung virtueller Communities durch die Mitglieder zu legen. Aus Sicht der Banken stellt sich daher die Frage, wie sich „Banking-as-a-Service“ in diese neuen digitalen Ökosysteme integrieren lässt, wenn zukünftig auch Finanzdienstleistungen diesem Prinzip gehorchen. Erste, wenn auch volumenmässig noch verhältnismässig kleine Beispiele haben sich mit Crowdlending und -investing und Robo-Advisors bereits entwickelt. Vor wenigen Wochen hat zudem Alibabas Fonds Yu’e Bao mit einem Volumen von US$ 165 Mia. erstmals den von JP Morgan verwalteten US Regierungsfonds mit US$ 150 Mia. überfl ügelt. Neben den Start-ups könnte den grossen Technologieunternehmen zukünftig ebenfalls eine wichtige Rolle im Finanzsystem zuteilwerden.
Virtuelle Währungen:
Die Entwicklung von Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether fordern die etablierten Währungssysteme heraus, in dem sie „Geldtransaktionen“ in Echtzeit zwischen Personen oder Organisationen über nationale Grenzen hinweg ermöglichen, ohne dass dabei Fiat-Währungen mit den Nachteilen schwankender Wechselkurse und Zeitverzug bei den Transkationen als Grundlage dienen. Diese Entwicklung wird derzeit zusätzlich durch neue Anwendungen von Amazon, Apple, Google, Intuit oder PayPal angetrieben, welche sich nicht nur zur Allianz „Financial Innovation Now“ zusammengeschlossen haben, sondern beispielsweise, wie etwa Apple mit seinem iMessaging Peer-to-Peer-Bezahldienst oder eigenen Wallet-Diensten wie diejenige von WeChat neue Lösungen anbieten. Aber auch Banken schliessen sich diesem Trend an. In der Schweiz bietet beispielsweise die Falcon Private Bank erstmalig ein Konto und neue Investitionsformen in Bitcoins für seine Kunden an.
Offene Finanzmarktinfrastrukturen:
Während die bestehenden Finanzmarktinfrastrukturen häufig auf heterogenen, geschlossenen und den etablierten Akteuren vorbehaltenen Infrastrukturen aufbauen, entwickelt sich derzeit mit dem sogenannten „Internet of Value“ eine vollständig neue Infrastruktur. So initiierte das World Wide Web Consortium (W3C) bereits 2015 mit der Web Payments Working Group eine Initiative zur Definition einer einheitlichen Zahlungsinfrastruktur-Architektur für das Internet. Ein erstes Anwendungsbeispiel umfasst etwa „Connected Vehicle Payments“ zur Abrechnung automatisierter Zahlungen bei Autofahrten. Weitergehende Ansätze entwickeln sich darüber hinaus auf der Basis von Blockchain, für die sich ebenfalls neue Standards herausbilden, die nicht nur den Zahlungsverkehr, sondern auch den Anlage- und Kreditbereich umfassen. Ein Beispiel sind etwa digitale Aktien, welche Unternehmen selbst auf hierfür speziell vorgesehenen Marktplätzen emittieren könnten. Kürzlich warb etwa das Unternehmen Tezos mittels eins Initial Coin Offerings (ICO) US$ 232 Mio. ein.
FinTech-Regulierung:
Während die Banken sich wachsenden Regulierungsanforderungen konfrontiert sehen, ist ein gegenläufi ger Trend bei Fintech Start-ups erkennbar. So senkte eine Reihe an Aufsichtsbehörden weltweit jüngst die Hürden für Unternehmen in diesem Bereich. Zu den bekannten Beispielen zählen London, Hongkong, Singapur und die Schweiz, die sogenannte „Sandboxes“ einrichteten, in denen die Start-ups ihre neuen Angebote testen können. Die Schweiz erlaubt beispielsweise die bewilligungsfreie Entgegennahme von bis zu 1 Million CHF und hat gleichzeitig eine neue Banklizenz geschaff en, das Fintech Start-ups die Entgegennahme von bis zu 100 Millionen CHF erlaubt, wenn diese die Gelder nicht reinvestieren oder verzinsen.
Obwohl die skizzierten Treiber auf eine Veränderung des bestehenden Finanzsystems einwirken, bestehen derzeit noch Hürden. So sind die neuen Akteure auf die notwendigen technischen Standards ähnlich wie einst HTTP und HTML zu Beginn der Internet-Entwicklung in den 80er Jahren angewiesen, die jedoch erst in Anfängen erkennbar sind. Europa macht mit PSD2 einen ersten Schritt in Richtung off ener Finanzmarktinfrastrukturen. Um mit den internen IT-Infrastrukturen anschlussfähig zu bleiben, sind Banken zusätzlich gefordert ihre eigenen Schnittstellen (Stichwort Open API) zu öff nen. Zudem muss das neue System Akzeptanz bei den Nutzern finden. Aktuell scheinen jedoch die vielen Sicherheitslücken eher kontraproduktiv für die Entstehung digitaler Ökosysteme. Dies trifft auch auf Kryptowährungen zu, die nicht zu Unrecht eher kritisch betrachtet werden. Sobald aber erste Fiat-Währungen digital durch Zentralbanken emittiert werden, könnte dies die weitere Entwicklung eines neuen digitalen Finanzsystems vorantreiben. Letztlich sind auch von politischer und regulatorischer Seite neue Rahmenbedingungen erforderlich. Wann sich also sich also ein neues digitales Finanzsystem herausbildet hängt wohl noch von einer Vielzahl an Faktoren ab. Der diesjährige Diamond Star Award belegt aber einmal mehr, dass die Innovationskraft eine wichtige Triebfeder hierbei darstellt.
Dr. Thomas Puschmann
Direktor, FinTech InnovationLab,
Universität Zürich
Dieser Beitrag ist Teil der aktuellen Ausgabe des Handelsblatt Journals „Banking 4.0“ , das Sie hier erhalten können