Digitaler Reifeprozess

Karl-Heinz Land, Internet-Ökonom und Gründer der Neuland Strategieberatung, über digitale Reife, die Rolle der CEOs und dematerialisierte Wertschöpfung. Herr Land, gemeinsam mit der Universität Reutlingen hat Neuland ein Modell entwickelt, das den digitalen Reifegrad von Unternehmen abbildet. Nur von den Konzernen oder auch für klein- und mittelständische Unternehmen?

Digitale Transformation verträgt keine Fürstentümer - Interview

LAND: Das Schöne an dem Modell ist: Es funktioniert für eine Fünf-Mann-Galerie genauso wie für ein Unternehmen mit 200.000 Mitarbeitern. Das Digital Maturity Model bestimmt den Reifegrad in acht Dimensionen, von der Strategie und Führung über die Produkte und Menschen bis hin zur Governance und Technologie. Diese Aspekte haben Gültigkeit für Groß und Klein. Der neue Digital Transformation Report, der auf dem Digital Maturity Modell basiert, belegt das eindeutig.

Welche Ergebnisse fallen ins Auge? Was würden Sie den deutschen Unternehmen gern ins Stammbuch schreiben?

LAND: Was meist vergessen wird: Es geht bei der digitalen Transformation eben nicht nur um Technologie und schon gar nicht nur um Social Media, sondern ganz wesentlich um die Kultur und die Menschen im Unternehmen. Das größte Hemmnis sind Silos: eine Riesenverschwendung von Ressourcen. Wenn nicht Wissen geteilt und intensiv über die Abteilungen zusammengearbeitet wird, dann steht es um die Erfolgschancen schlecht. Es braucht eine Kultur des Austauschs und der Kollaboration und die entsprechenden technischen Systeme für eine demokratisierte Informationspolitik.

Hierarchien sind demnach fehl am Platz?

LAND: Absolut. Ich entsinne mich noch an ein Projekt in den 1980er-Jahren. Da wurde in manchen Konzernen viel Geld für „Executive Information Systems“ ausgegeben, nur um ein paar Topmanager mit exklusivem Wissen, Herrschaftswissen also, auszustatten. Das geht gar nicht mehr. Allein schon, weil das Management bei dem Tempo, dem Umfang und der Tiefe der Veränderung durch die Digitalisierung schnell zum Flaschenhals wird.

Wenn die Mauern im Unternehmen niedergerissen und damit potenziell alle Bereiche beteiligt werden – wie vermeiden die Unternehmen ein großes Durcheinander?

LAND: Digitale Transformationsprozesse sind Chefsache. Sie gehören in den Aufgabenbereich des CEOs. Die Veränderung muss von oben getrieben werden, auch wenn manche Spitzenkräfte erst einmal denken: „Bleibt mir weg mit dem operativen Mist.“ Aber diese Sicht führt zu dramatischen Fehlentwicklungen.

Wie geraten die Unternehmen in diese Falle?

LAND: In vielen Unternehmen gibt es bereits Ansätze, keine Frage, aber es fehlt die Koordination der digitalen Initiativen. In Großunternehmen laufen schon mal Dutzende Digitalprojekte unkoordiniert nebeneinander. Das kann nichts werden. Eine ordnende Hand muss dafür sorgen, dass alle Vorhaben auf die essentiellen Ziele eines Unternehmens ausgerichtet werden: Umsatz, Profitabilität und Börsenwert. Digitale Transformation ist ja kein Selbstzweck.

Unter dem Strich heißt das: Die vielen kleinen und großen Fürsten in einem Unternehmen müssen lernen, zusammenzuarbeiten. Damit sind alle Voraussetzungen geschaffen, dass sich die CEOs ordentlich in die Nesseln setzen.

LAND: Ja, deshalb brauchen sie Unterstützung. Auch wenn das jetzt seltsam eigennützig klingt: Für die Umsetzung digitaler Transformationsprozesse benötigen die CEOs eine Sicht und einen Berater von außen.

Sie predigen das digitale Evangelium landauf und landab sowie im Ausland. Hören alle zu?

LAND: Sie spielen auf mein Sendungsbewusstsein an, das ich gerne zugebe. Als Digital Darwinist erzähle ich von der Evolution der Wirtschaft. Die ist nicht schön, die ist blutig, weil Unternehmen auf der Strecke bleiben. Als Digital Evangelist überbringe ich die frohe Botschaft: Du kannst etwas tun. Und: Nein, es hören nicht alle zu. Vor allem die Politik pennt.

Warum sollte sich die Politik für digitale Transformation von Unternehmen interessieren?

LAND: Weil es um die Zukunft des Standorts Deutschland geht. Die Wertschöpfung wird dematerialisiert. Nehmen wir den Zündschlüssel fürs Auto. Den brauchen wir bald nicht mehr. Autos werden bald über eine App auf dem Handy gestartet. Wir brauchen aber dann auch die Arbeiter und die Maschinen nicht mehr, mit denen die Schlüssel hergestellt werden. Und wir brauchen auch die Hersteller dieser Maschinen nicht mehr, und auch deren Zulieferer nicht. Software frisst die Welt.

 

Interviewpartner Karl-Heinz Land ist Gründer der Strategieberatung Neuland. Sie vergibt mit der Wirtschaftswoche den Digital Transformation-Award.

Autor: Christoph Berdi, Journalist, Moderator und Berater im Themenfeld Marketing, Marken und Medien, http://christoph-berdi.de

Kontakt: Sabine Fischer, Senior-Marketing-Managerin EUROFORUM | XING