Eine völlig neue Dimension eröffnet sich jetzt mit dem Internet der Dinge beziehungsweise Industrie 4.0, die auf dieser Vision aufbauen. Die Grundlage für diesen Wandel bildet die standardisierte und vernetzte Kommunikationsfähigkeit von Anlagenkomponenten.
Heute kommunizieren Komponenten mit der Zentralsteuerung einer Maschine oder Produktionsanlage, und diese wiederum mit der zentralen Steuerung der Fabrik. In der Zukunft stellt sich ein anderes Bild dar: Komponenten werden in der Lage sein, direkt miteinander zu kommunizieren und dadurch den Produktionsprozess, an dem sie beteiligt sind, zu optimieren. Darüber hinaus wird es auch eine Kommunikation zwischen Fabriken geben, die dasselbe Produkt verarbeiten, um die Vorlaufzeit für die Produktion insgesamt drastisch zu verkürzen. All das wird es notwendig machen, dass Unternehmen in der Zukunft nicht mehr nur in Produkten, sondern in Systemen denken. Produzierende Unternehmen sehen sich neuen Herausforderungen gegenüber: Der Konsument verlangt immer mehr nach individualisierten Produkten; in der Produktion muss immer häufiger in kleinen Serien bis hin zu Losgröße 1 gefertigt werden – und das wettbewerbsfähig und effizient. Damit wird es zwar auch weiterhin die Massenproduktion geben, gleichzeitig sind aber immer mehr flexible und automatisierte Lösungen gefordert.
Intelligente Komponenten für adaptive Produktion
Damit sich kleine Stückzahlen sowie die hohe Variantenvielfalt rechnen, werden Technologien benötigt, die sich nicht nur kontinuierlich an veränderte Bedingungen anpassen, sondern auch darauf einstellen, dass der Mensch jederzeit eingreifen möchte, um bestimmte Parameter zu ändern. Es wird also in Zukunft nicht nur vollautomatisierte Produktionsprozesse geben, sondern zunehmend adaptive Konzepte. Damit das funktionieren kann, benötigen wir in der Produktion intelligente Komponenten – also Komponenten, die zum Beispiel die Funktionen übernehmen, die ursprünglich in der übergeordneten Steuerungsebene angesiedelt waren. Sie vernetzen und konfigurieren sich selbstständig und sind damit auch fähig für „Plug and Produce“. So können die Anlagen den ständig wechselnden Anforderungen sofort gerecht werden.
Kommunizierende Komponenten mit Selbstdiagnosefunktionen sind und werden Kernelemente eines ganzheitlichen Produktionssystems in einem digitalisierten Industriebereich sein. In der Vision der Produktion der Zukunft werden sich ganze Fertigungsstraßen eigenständig optimieren können, beispielsweise hinsichtlich ihrer Durchlaufzeiten, ihrer Auslastung oder ihres Energieverbrauchs.
Blick in die Zukunft mit Bionik
Einen Blick in diese Zukunft hat Festo mit dem Projekt „BionicANTs“ aus dem Bionic Learning Network gewagt. Für dieses Projekt haben sich die Ingenieure die filigrane Anatomie der Ameise zum Vorbild genommen und erstmals auch das kooperative Verhalten der Tiere in die Welt der Technik übertragen. Die BionicANTs sind hochintegrierte Mikrosysteme, die zusätzlich mit einer eigenen Intelligenz für dezentrales Handeln ausgestattet sind. Nach Inbetriebnahme ist keine Steuerung von außen mehr erforderlich.
Bei den BionicANTs werden erstmals lasergesinterte Bauteile im sogenannten 3D-MID-Verfahren (3D-Molded Interconnect Devices) mit Leiterstrukturen versehen. Die elektrischen Schaltungen werden auf der Oberfläche der Bauteile angebracht, die dadurch konstruktive und gleichzeitig elektrische Funktionen übernehmen. In jedem Bein der Ameise sind drei trimorphe piezokeramische Biegewandler verbaut, die Aktor und konstruktives Bauteil zugleich sind und nur wenig Bauraum benötigen. Durch diese Technologien können alle technischen Komponenten im oder auf dem Körper der Ameise verbaut und exakt aufeinander abgestimmt werden.
In der Produktion muss immer häufiger in kleinen Serien bis hin zu Losgröße 1 gefertigt werden – und das wettbewerbsfähig und effizient.
Dezentrale Intelligenz – gemeinsame Lösung
Durch die verteilte Intelligenz beteiligen sich alle Ameisen gemeinsam an der Lösung einer Aufgabe. Der dazu nötige Informationsaustausch findet über das Funkmodul im Rumpf statt. Wie ihre natürlichen Vorbilder arbeiten die BionicANTs nach klaren Regeln zusammen. Sie kommunizieren miteinander und stimmen ihre Handlungen und Bewegungen aufeinander ab. Jede einzelne Ameise trifft ihre Entscheidungen autonom, ordnet sich dabei aber dem gemeinsamen Ziel unter und trägt so ihren Teil zur Lösung der anstehenden Aufgabe bei. Auf abstrahierte Weise liefert dieses kooperative Verhalten interessante Ansätze für die Fabrik von morgen. Die Grundlage künftiger Produktionssysteme sind intelligente Komponenten, die sich flexibel auf verschiedene Produktionsszenarien einstellen – ähnlich, wie dies die Ameisen in der Natur tun.
Bionik als Impulsgeber für Industrie 4.0
Impulse, wie die Produktion der Zukunft gestaltet werden kann, wie sie intuitiv bedienbar bleibt und vor allem energieeffizient wird, kann die Natur liefern, wie das Beispiel der BionicANTs zeigt. Anhand bionischer Modelle liefert der Bereich Bionik und Future Concepts bei Festo Lösungsansätze für wichtige Themen der Produktion der Zukunft wie Funktionsintegration, intelligente Komponenten, flexible und adaptive Anlagen oder die intuitive Bedienbarkeit von Maschinen. Diese Lösungsansätze fließen dann in die Entwicklung von Produkten und Produktionsprozessen ein und tragen zur Umsetzung von Industrie 4.0 bei. Festo praktiziert dies erfolgreich in der eigenen Technologiefabrik in Ostfildern-Scharnhausen, in der erste Industrie 4.0-Maßnahmen umgesetzt wurden.
Prof. Dr. Peter Hofmann
Leiter Globale Produktentwicklung und Forschung bei der Festo AG & Co. KG
Dieser Beitrag ist Teil der aktuellen Ausgabe des Handelsblatt Journals „Industrie 4.0 – Unsere Zukunft mit Künstlicher Intelligenz“, das Sie hier erhalten können