1. Fraunhofer SCS beschäftigt sich aus wissenschaftlicher Sicht mit der Optimierung der Supply Chain. Welche Veränderungen erwarten Sie für die Lieferkette durch die zunehmende Digitalisierung?
Die zahlreichen Ansatzpunkte zur Digitalisierung der Supply Chain ermöglichen in erster Linie eine deutlich höhere Transparenz bezüglich der dahinter liegenden Prozesse. Es wird schlicht eine viel größere Zahl an Daten zu allen möglichen Aspekten der Supply Chain erhoben. Die Zusammenführung und Auswertung dieser Daten bietet eine Vielzahl neuer Chancen: Prozesskosten können durch die Aufhebung von Bottlenecks gesenkt, Auslastungsgrade von Fahrzeugen und Ladungsträgern durch bessere Allokation erhöht und neue Steuerungs- und Verschlankungsmöglichkeiten durch Predictive Analytics ermöglicht werden. Ein häufig angeführtes Beispiel ist die Versendung eines Pakets in Richtung des Kunden, bevor die eigentliche Bestellung aufgegeben wurde. Die Echtzeit-Auswertung von Sensordaten bietet zudem neue Ansätze für automatisierte Lagerkonzepte oder das autonome Fahren als Lösungsperspektive für die zunehmende Fahrerknappheit. Die zunehmenden Möglichkeiten des 3-D-Drucks können Teile der traditionellen Logistiknachfrage in bestimmten Bereichen substituieren. Die logistischen Kernaufgaben der Organisation und physischen Abwicklung von Güterverkehren werden aber auch in einer digitalisierten Welt erhalten bleiben.
2. Auf der 17. EUROFORUM-Jahrestagung „Die Logistik-Immobilie“ werden Sie über die Logistikimmobilie als Wirtschaftsfaktor sprechen. Welchen Stellenwert hat die Wahl eines Logistikstandortes für die Supply Chain?
Logistikstandorte und –immobilien spielen eine zentrale Rolle bei der Realisierung einer zuverlässigen Lieferkette. Von hier aus werden Produktionsstandorte versorgt, die Im- und Exportverkehre gebündelt oder die Kunden zeitnah beliefert. Die Standortentscheidung wird in erster Linie anhand der individuellen Transportverflechtung und damit der Quellen und Senken für die Güter eines Logistikzentrums getroffen. Ein optimaler Standort wird anhand der minimalen Transportkosten gewählt. Daneben sollten aber auch die Grundstücks- bzw. Mietkosten, die Personalverfügbarkeit oder die Unternehmenshistorie berücksichtigt werden. Die Neustrukturierung der Logistikstandorte kann durchaus Einsparungspotentiale im zweistelligen Prozentbereich der gesamten Logistikkosten mit sich bringen, weshalb viele Unternehmen regelmäßig ihre Logistikstruktur auf den Prüfstand stellen.
3. Welche Kriterien sind maßgeblich für die Wahl einer Logistikimmobilie?
In erster Linie ist hier – wie auch bei anderen Immobilienarten – die Lage entscheidend.
Die Nutzer einer Logistikimmobilie bringen diesbezüglich meist ganz konkrete Vorstellungen mit, die auf die Erreichbarkeit bestimmter Kunden oder Umschlagseinrichtungen zugeschnitten sind. Investoren müssen hingegen auf eine möglichst hohe Flexibilität des potentiellen Kaufobjekts achten, um die Wiedervermietbarkeit im Falle einer Kündigung des bestehenden Mietverhältnisses zu gewährleisten. Diese Flexibilität kommt auf drei unterschiedlichen Ebenen zum Tragen:
Auf der Makroebene sind es die großräumigen Rahmenbedingungen, die die Attraktivität einer bestimmten Lage bestimmen. Die klassischen Standortfaktoren hinsichtlich guter Verkehrsinfrastruktur, niedrigen Baulandpreisen, ausreichender Flächen- und Arbeitskräfteverfügbarkeit, etc. müssen jedoch um eine logistische Nachfragekomponente ergänzt werden. Denn nur dort, wo aufgrund der örtlichen Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur eine zuverlässige Nachfrage nach logistischen Dienstleistungen gegeben ist, kann von einer schnellen Nachvermietbarkeit ausgegangen werden.
Mit der Mesoebene wird die direkte Umgebung der Logistikimmobilie beschrieben, d.h. meist das jeweilige Gewerbegebiet. Hier geht es insbesondere um eine möglichst störungs- und auflagenfreie Betriebsfähigkeit, insbesondere eine gute Verkehrsanbindung und die Möglichkeit zum 24h-Betrieb stehen hier im Vordergrund.
Die Mikroebene umfasst schließlich die Immobilie und das Betriebsgelände selbst, hier hat sich ein Quasi-Standard mit einer eingeschossigen Halle, Unterteilbarkeit für mehrere Nutzer, einem Büroanteil max. 10% der Hallenfläche, einer möglichst stützenfreien Konstruktion, einer Hallenhöhe von 10 – 12m, einer Bodentragfähigkeit > 5t/m² und potentieller Erweiterbarkeit herausgebildet.
Diese von der Investmentseite getriebenen Immobilienspezifika treffen zwar nicht immer die individuellen Anforderungen der Kunden, sorgen aber für eine hohe Wiedervermietbarkeit. Wer davon abweichende Anforderungen mitbringt muss entsprechend höhere Mieten in Kauf nehmen oder direkt ins Eigeninvest gehen.
4. Bietet produktionsnahe Logistik eher Vor- oder Nachteile gegenüber einer dezentralen Lösung?
Eine pauschale Antwort kann hier eigentlich nicht gegeben werden. Vielmehr besteht ein echter Trade-Off zwischen Vorteilen beim Service-Level durch produktionsnahe Logistikzentren und einem insgesamt meist billigeren Standort abseits der Ballungsräume. Industrieunternehmen erwarten von ihren Logistikdienstleistern eine hohe Flexibilität und ständige Lieferfähigkeit, die Nähe zu den Werksstandorten ist damit bei der Ausschreibung der Produktionsversorgung meist ein obligatorisches Kriterium. Die Verteilung der Fertigprodukte oder Ersatzteile wird hingegen häufig für mehrere Werksstandorten an einem Standort abseits der Produktion gebündelt und organisiert, um hier Skaleneffekte zu realisieren. Für die Logistikdienstleister ist die Nähe zu den Produktionsstandorten ein zweischneidiges Schwert: Einerseits hilft sie bei der Gewinnung von Ausschreibungen des betreffenden Industrieunternehmens, andererseits steigert sie die Flächen- und Personalkosten und kann Clusterrisiken bergen, wenn dieser Kunde doch einen anderen Logistiker wählt. Am attraktivsten sind deshalb Standorte mit einer hohen Dichte an Industrieverladern, um im Fall der Fälle die Flächen auch anderweitig nutzen zu können.
Erleben Sie Uwe Veres-Homm und viele weitere Experten aus der Logistik- und Immobilienbranche als Sprecher auf der 17. EUROFORUM Jahrestagung Die Logistik-Immobilie am 1. und 2. Februar 2017 in Berlin.