Die „unfreiwillige“ Veröffentlichung
In einem Insolvenzverfahren erfolgt die Information der Gläubiger nach dem Gesetz zwingend als öffentliche Bekanntmachung. Plattform für den staatlichen Veröffentlichungs-Akt ist die Internetadresse insolvenzbekanntmachungen.de, auf die jeder Zugriff hat, auch Nicht-Gläubiger. Mit der Veröffentlichung werden gerichtliche Entscheidungen transparent und zugänglich gemacht, die einen Eingriff in Grundrechte darstellen, insbesondere in die Eigentumsrechte der Gläubiger und die Persönlichkeitsrechte des Schuldners. Die Veröffentlichung ist damit ein Erfordernis des Rechtsstaates.
Warum aber ist die öffentliche Bekanntmachung so unbeliebt?
Die Gründe dafür, eine wirtschaftliche Krise nicht öffentlich zu machen sind vielfältig: Ein Unternehmen wird bestrebt sein, eine Krise vor anderen Gläubigern geheim zu halten, da es darum fürchten muss, dass eine schlechtere Bonitätseinstufung das wirtschaftliche Handeln weiter einschränkt. Dies erlebte beispielsweise kürzlich eine grosse Warenhauskette, als einer der wichtigsten Kreditversicherer die Warenkreditversicherungslimite stark reduzierte und dies sofort öffentlich wurde.
Weiterer Grund ist, dass die Publikation einer wirtschaftlichen Krise zu einer Verschlechterung des Markenwertes bei einem Unternehmen bzw. des gesellschaftlichen Ansehens bei einer natürlichen Person führt. Ein prominentes Beispiel hierfür ist der aktuelle Fall Boris Becker. Es wird deutlich, dass die Kultur der „Second Chance“ und des „Fresh Start“ in Deutschland noch nicht vollkommen angekommen ist und warum allein aus diesem Grund, eine Sanierung bzw. Entschuldung nicht öffentlich stattfinden soll.
Ein entscheidender Grund ist schließlich, dass professionelle Gläubiger, wie etwa Kreditinstitute, regelmäßig überprüfen, ob eine öffentliche Bekanntmachung einen Kunden betrifft. Erfolgt bereits in einer frühen Phase des Insolvenzverfahrens eine öffentliche Bekanntmachung, so bei der Anordnung von vorläufigen Sicherungsmaßnahmen, werten etwa Kreditinstitute tendenziell diese Situation als eine wesentliche Vermögensverschlechterung, was wiederum die Kündigung des Kreditengagements zur Folge haben kann. Eine Sanierung wird durch eine solche Kettenreaktion wesentlich erschwert, wenn nicht gar gänzlich unmöglich. Dies erklärt letztendlich auch die Diskussionen, die mit der Einführung des Schutzschirmverfahrens mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) ausgelöst wurde. Mit dem ESUG wollte der Gesetzgeber, insbesondere mit dem Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO, in einem frühen Stadium der Krise, nämlich bereits mit drohender Zahlungsunfähigkeit, die Sanierung eines Unternehmens ermöglichen. Diese Zielsetzung wird in Gefahr gesehen, wenn in einem Schutzschirmverfahren die Anordnung der vorläufi gen Sachwaltung als gerichtlicher Beschluss veröff entlicht wird. Ob diese Veröff entlichung notwendig ist, wird durch die Insolvenzgerichte in Deutschland unterschiedlich eingeschätzt und praktiziert. Vor dem Hintergrund der laufenden Evaluation des ESUG, sollte dies jedenfalls eines der Themen sein, die der Gesetzgeber zum Anlass nehmen sollte, eine Klarstellung in der Insolvenzordnung vorzunehmen.
Diese Situation bei dem Schutzschirmverfahren der Insolvenzordnung im Hinterkopf, lässt sich nachvollziehen, dass in einem außergerichtlichen präventiven Restrukturierungsverfahren unkontrollierbare Kettenreaktionen vermieden werden sollen, um die Restrukturierungschancen nicht zu verringern. Der Gesetzgeber sollte bei einem zukünftigen präventiven Restrukturierungsverfahren mit der Veröff entlichungspflicht zumindest dort zurückhaltend sein, wo das Gericht zwar begleitet, aber nicht durch Entscheidungen eingreifen muss. Denn immer dann, wenn ein Gericht eine Entscheidung trifft, die insbesondere in Rechte eingreift, ist eine Veröffentlichung erforderlich. Dies führt zu der Formel, je mehr ein Gericht in einem präventiven Restrukturierungsverfahren entscheiden muss, desto mehr Öffentlichkeit entsteht zwangsläufig. Dies entbindet den verantwortungsvollen Sanierer allerdings nicht, die wesentlichen Beteiligten rechtzeitig in geplante Maßnahmen einzubinden, um damit Transparenz und vor allem Vertrauen zu schaffen.
Freiwillige Veröff entlichung: Pressearbeit
Nicht zu vergessen bleibt die aktive Pressearbeit. Sie ist ein Instrument öffentliche Bekanntmachungen gezielt vorzubereiten und den Gläubigern ein mehr an Informationen zu liefern. Sie hilft Gerüchten und Spekulationen vorzugreifen und die meist doch hektische Situation gerade in der Anfangsphase eines akuten Sanierungsfalles zu beruhigen. Die Pressearbeit kann in diesem Stadium auch dazu genutzt werden, die Aufmerksamkeit und das Interesse potentieller Interessenten zu wecken oder eine Wettbewerbssituation im Rahmen eines Unternehmensverkaufs zu schaffen. So kann diese Form der „Veröffentlichung“ letztendlich für die Sanierung genutzt werden.
Am Ende gilt: Wer gar nichts sagt, hat auch nichts mehr zu sagen. Wer gezielt und kompetent zuerst nach Innen – insbesondere die Beschäftigten – und dann nach Aussen die zu beteiligende Öffentlichkeit abgewogen informiert, schafft Vertrauen. Ohne diese funktioniert keine Sanierung.
Patric Naumann
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Partner,
WELLENSIEK
Dieser Beitrag ist Teil der Ausgabe des Handelsblatt Journals „Restrukturierung Sanierung Insolvenz“, das Sie hier erhalten können.