Obwohl wir alle den digitalen Wandel im Alltag erleben, wird er vielfach noch unterschätzt – nicht zuletzt in weiten Teilen des traditionellen Banken- und Finanzsektors.
Dabei befindet sich auch dieser Sektor inmitten eines digitalen Umbruchs. Das zeigt sich unter anderem im rasanten Wachstum von Start-up- Unternehmen in der Finanzbranche, die mit meist auf eine Nische spezialisierten, technikorientierten Geschäftsmodellen auf den Markt drängen. Die Anzahl dieser so genannten Fintechs hat in den vergangenen Jahren enorm zugenommen: Andreas Hackethal von der Universität Frankfurt schätzt, dass es im November 2013 noch weniger als 50 Fintechs in Deutschland gab; anderthalb Jahre später hatte sich ihre Anzahl bereits verdreifacht. Weltweit sammeln Fintechs derzeit pro Monat rund eine Milliarde US-Dollar an Kapital ein, einen Großteil davon in den USA.
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Digitalisierung in Banken und Finanzindustrie herunter
Auch in Deutschland bietet sich Potenzial für Fintechs: Nach einer Studie von Roland Berger nutzen hierzulande derzeit 63 % der Bevölkerung Online Banking, 58 % können sich Mobile Banking vorstellen, und die Tendenz dürfte steigend sein. Diese Kundengruppe können auch Fintechs mit bedürfnisorientierten, schnellen und flexiblen Geschäftsmodell ansprechen.
Der digitale Wandel und die Entwicklungen im Fintech-Bereich erhöhen den Druck auf traditionelle Banken deutlich. Nach Schätzungen der Beratungsgesellschaft A.T. Kearney könnten Fintechs im Jahr 2020 vier Prozent der Erträge im deutschen Retailbanking auf sich vereinen. Und auch wenn die Banken und Sparkassen unter Hochdruck an Strategien arbeiten, um der neuen Konkurrenz zu begegnen, fehlt vielerorts der große Wurf. Dabei birgt der Wandel hin zur digitalen Bank viele Vorteile – sowohl für die Kunden als auch für das Unternehmen.
Für die Kunden kann das Ergebnis des digitalen Wandels eine bequeme und sichere Finanzplattform mit personalisierten Diensten sein. Die Banken können ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern, indem sie mit Hilfe kognitiver, selbstlernender Systeme maßgeschneiderte Lösungen für jeden Kunden anbieten. Gleichzeitig können sie durch den Einsatz von Informationstechnologie interne Abläufe effizienter gestalten und so ihre Kosten senken.
Noch haben die traditionellen Banken einen Wettbewerbsvorteil
Welche konkreten weiteren Optionen bieten sich in diesem Umfeld für Banken und Fintechs? Ausgangspunkt für eine Antwort auf diese Frage könnten die Stärken und Schwächen beider Akteure sein: Fintechs zeichnen sich in der Regel durch einen sicheren Umgang mit modernen Internettechnologien und Algorithmenbasierten Datenanalysen aus. Diese Fähigkeiten sind bei traditionellen Banken noch nicht sehr weit entwickelt. Bei aller Innovationskraft haben Fintechs aber auch Schwächen: Sie leiden unter einem Mangel an Bekanntheit, Vertrauen, Erfahrung und Kundenbeziehungen – genau die Stärken,die der traditionelle Bankensektor aufweist. Vor allem das Vertrauen ihrer Kunden in die Kompetenz für Bankgeschäfte, in die Datensicherheit und den Datenschutz ist für Banken ein entscheidender Wettbewerbsvorteil, den es zu nutzen gilt.
Aus dieser Konstellation ergeben sich mehrere Handlungsmöglichkeiten, die zum Teil auch schon in der Praxis beobachtbar sind. So besteht die Möglichkeit, dass Banken und Fintechs strategische Allianzen eingehen und miteinander kooperieren. Ferner können Banken eigene digitale Plattformen gründen oder sich an Start-ups beteiligen. Zudem haben manche Fintechs inzwischen Banklizenzen erworben. Die Möglichkeiten sind unterschiedlich, die Richtung ist klar: Die Branche entwickelt sich hin zu einem digitalen Finanzsektor.
Aus meiner Sicht sind drei Punkte wichtig, wenn es darum geht, die digitale Bank der Zukunft zu schaffen. Erstens muss sich der digitale Wandel ganzheitlich vollziehen, sich also auf sämtliche interne und externe Unternehmensbereiche erstrecken. Zweitens muss bei jeder digitalen Neuerung die Frage gestellt werden, welchen Mehrwert sie für den Kunden bietet und ob sie zum Geschäftsmodell der Bank passt. Zusätzliche Ertragschancen bestehen nur, wenn der Kunde einen Mehrwert wahrnimmt und bereit ist, dafür zu bezahlen. Drittens sollten bei einem digitalen Wandel sämtliche positiven Eigenschaften aller Beteiligten erhalten und sinnvoll kombiniert werden. Traditionelle Banken haben die Fähigkeit, finanzielle Risiken einzuschätzen, zu bewerten und zu steuern. Gleichzeitig haben sie einen großen Kundenstamm und Erfahrung in der Beratung. Werden diese Fähigkeiten und Erfahrungen mit den modernen Diensten der Fintechs kombiniert, kann sich der Nutzen für den Kunden deutlich erhöhen. Ihnen werden dann in einem etablierten Rahmen maßgeschneiderte, moderne Finanzdienste und -produkte aus einer Hand angeboten.
Auch Aufseher und Regulierer müssen sich natürlich mit dem digitalen Wandel auseinandersetzen und werden das auch tun: Dazu gehört, spezifisches Know-how aufzubauen, um mit den IT-Entwicklungenin den Banken Schritt halten zu können. Ein wichtiges Ziel muss es sein, Innovationen nicht im Keim durch überbordende Regulierung zu ersticken und gleichzeitig die noch weitgehend unregulierten Fintechs in den Blick zu nehmen. Und schließlich müssen neue Risiken, die aus dem digitalen Wandel resultieren, kontrolliert werden; dazu gehört in erster Linie die Cybersecurity. Sie ist 2015 eine der aufsichtlichen Prioritäten des einheitlichen europäischen Aufsichtsmechanismus. Auf diese Weise kann auch die Bankenaufsicht ihren Teil dazu beitragen, dass der digitale Wandel erfolgreich und so sicher wie möglich erfolgt.
Dr. Andreas Dombret, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank