Im Schnitt hängen die Banken hierzulande immer noch zu gut 80 Prozent vom Zinsergebnis ab. Wenn die Zinsen faktisch ausgesetzt sind, mussman nicht in Mathematik promoviert haben, um prophezeien zu können, dass die Institute stärker unter Druck geraten. Und je länger die Zinsen auf Tiefstand bleiben, desto mehr wird auch das Zinsänderungsrisiko im Anlagebuch zum Problem. Umso wichtiger ist es, dass die Banken auch dieses Risiko mit ausreichend Kapital unterfüttern.
Die Banken müssen ihre Abwehrkräfte steigern
In einer solchen Situation kann die Aufsicht nicht untätig sein. Wie ein fürsorglicher Arzt muss sie die Institute darauf hinweisen, dass da etwas im Anflug ist. Die Banken wiederum müssen ihre Abwehrkräfte entsprechend steigern. Konkret sollten sie umfassende Strategien entwickeln, um auf die erodierenden Margen im Zinsgeschäft zu reagieren. An diesem Punkt setzen wir an.
Banken, deren Ertrage wegbrechen, weil ihr Geschäft stark zinsabhängig ist und deren Zinsänderungsrisiko im Anlagebuch zugleich besonders hoch ist, sehen wir uns ganz genau an – und wir begleiten ihre Arbeit intensiv. Wir beobachten aber auch quer über die Branche hinweg mit Argusaugen, was die Institute unternehmen, um sich auf die erschwerten Rahmenbedingungen einzustellen. Natürlich schreiben wir den Banken nicht vor, welche Maßnahmen sie ergreifen sollen. Das bleibt originäre Aufgabe des jeweiligen Managements. Aber wir flankieren besonders gefährdete Institute eng bei ihren Anpassungsprozessen.
Der Blick in den Rückspiegel trügt
Das Knifflige an der aktuellen Situation ist, dass sich die Belastungen, die primär den niedrigen Zinsen geschuldet sind, wie ein schleichendes Gift in die Bilanzen hineinfressen und nicht über Nacht vom Himmel fallen. Hinzu kam, dass in den vergangenen Jahren einige positive und nicht beliebig wiederholbare Effekte die Lage aufgehellt haben. Hier sind etwa eine günstigere Refinanzierung, Volumenausweitungen durch die günstigen Kreditkonditionen, die quasi zu einer Sonderkonjunktur bei bestimmten Finanzierungen geführt haben, und sehr geringe Belastungen aus den Bewertungsergebnissen zu nennen. Das hat manchmal den Eindruck erweckt, dass allen Warnungen vor den niedrigen Zinsen zum Trotz, alles im grünen Bereich verläuft.
Der Blick in den Rückspiegel gibt aber nicht das richtige Bild für die nächsten Jahre wieder. Unsere Analysen zeigen, dass die Belastungen die Bilanzen schwer treffen können. Es gilt, mit aller Kraft gegenzusteuern bevor sich die Lage weiter zuspitzt. Die Banken haben einige Möglichkeiten, und sie sollten sie nutzen. Carpe Diem! Das ist in der Theorie natürlich leichter gesagt als in der Praxis getan. Aber nichts zu tun und abzuwarten, bis der Niedrigzinsvirus von selbst verschwunden ist, wäre für einige Institute zumindest Selbstmord auf Raten, denn wie lange die Niedrigzinsphase noch dauert, kann heute niemand seriös voraussagen.
Nach vorne denken
Das Spektrum möglicher Maßnahmen ist breit. Es reicht von weiteren Substanzstärkungen über Kostensenkungen und die Veränderung von Produktportfolios bis zu einer Sichtung der Ertragsseite. Ob das Gebühren sind oder völlig neue Modelle zum Zuge kommen, muss sich zeigen. Ebenso könnte sich dann auch die grundsätzliche Frage stellen, wie Geschäftsmodelle in einer Welt, in der der klassische Zinsertrag nur noch eine untergeordnete Rolle spielt, beschaffen sein müssen. Auch wenn es keine einfachen Antworten gibt, die Unternehmen, aber auch Regulierer und Aufseher, tun gut daran, sich mit der Frage zu beschäftigen und Strategien für Szenarien mit dauerhaft niedrigen Zinsen zu entwickeln. Das Beispiel Japan zeigt, dass so etwas nicht aus der Luft gegriffen ist. Daher müssen wir nach vorn denken und – wenn notwendig – handeln. Es ist besser einen Wandel mitzugestalten, anstatt sich vom Wandel gestalten zu lassen.
Über den Autor:
Felix Hufeld ist Präsident, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
Dieser Beitrag ist Teil der aktuellen Ausgabe des Handelsblatt Journals „Banking der Zukunft“, dass Sie hier erhalten können:
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