Herr Krakau, was sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigstes Zukunftstrends im Finanzsektor?
Es gibt viele verschiedene Trends. Die Kombination von Technologien wie Blockchain, Artificial Intelligence, Deep Learning, Robotik, Natural Language Recognition, Big Data und Internet of Things – all das kann unser Leben grundlegend verändern. Und damit auch die Zukunft der Finanzdienstleistungen. Aber aktuell sind es die folgenden drei Trends, die uns immer häufiger begegnen:
- Mobile Digital User Experience: Es gibt einen immer stärkeren Fokus auf das Nutzererlebnis am Frontend. Angesichts eines Publikums, für das Mobilität und Social Media selbstverständlich sind, können Banken sich gerade dort abheben – indem sie innovative Funktionen einsetzen, die die Interaktion unterstützen und Data Analytics fördern.
- Outsourcing & Software as a Service (SaaS): Eine Folge der Fokussierung auf das Kundengeschäft ist es, dass Banken den Rest gerne outsourcen. Für alles, was nicht zum Kerngeschäft gehört, bis hin zum Backoffice werden dann externe Lösungen oder externe Services gesucht – etwa Business Process Outsourcing (BPO)-Services und SaaS.
- Konvergenz von Retail- und Wealth-Management-Services: Im Niedrigzins-Umfeld sehen sich viele Retail-Banken gezwungen, einfach mehr tun zu müssen, um Kundenerwartungen zu erfüllen. Ein Ansatz besteht darin, Kunden den Mehrwert von Wealth-Management-Lösungen zu bieten. Oft geht dies mit einer Technologie einher, durch die Banken auch eine breitere Kundengruppe erreichen.
In Ihrem aktuellen Whitepaper „Successful Digital Banking: Aligning business strategy with technology“ vertreten Sie die These, dass der Digitalisierungseifer in der Bankenbranche und das Fehlen einer Strategie das Kundenerlebnis beeinträchtigt. Was heißt das konkret?
Der Digitalisierungshype in der Branche erreicht aktuell vielleicht so etwas wie ein Crescendo. Für eine Veränderung gibt es sicher gute Gründe und die Notwendigkeit ist gegeben. Aber einige Reaktionen sind doch dadurch getrieben gewesen, dass man einfach das neueste coole Gadget entdeckt hat – statt ein wirklich durchdachtes, integriertes und konsistentes Angebot zu entwickeln. In der Digitalisierung ist Geschwindigkeit natürlich ein Faktor und man muss neue Ideen ausprobieren. Aber was Banken keinesfalls tun sollten, ist den Service zu verschlechtern oder gar durch digitale Kanäle die Straight Trough Processing-Rate zu gefährden – denn damit erhöhen sie die Kosten in der Verarbeitung.
Welche Konsequenzen haben Banken durch unüberlegte Digitalisierungsprojekte zu fürchten?
Die Folge kann sein, dass das allgemeine Angebot zusammenhangslos ist und sich nicht mit den Service-Level-Erwartungen und den Ansprüchen deckt, die die Kunden der Bank haben. Einerseits kann dies zu einer Beschädigung der Marke führen – wenn der Service schwankt und inkonsistent ist. Aber es gibt auch technische Auswirkungen – nämlich wenn Daten nicht konsistent sind. Dann existieren in zwei verschiedenen Applikationen womöglich unterschiedliche Daten zur selben Person. Die Nutzer digitaler Kanäle haben zudem spezifische Service-Ansprüche und wenig Geduld bzw. Toleranz, wenn diese nicht erfüllt werden. Wenn ich in einem digitalen Kanal eine Nachricht absetze und nicht binnen kürzester Zeit, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, eine qualifizierte Antwort bekomme, ist meine Erwartungshaltung nicht erfüllt – und die Kundenbindung gestört.
Wie kann eine erfolgreiche Digitalisierungsstrategie aussehen?
Da sind letztlich fünf Punkte zu beachten:
- Zunächst gilt es, die grundlegenden strategischen Ziele der Organisation zu verstehen. Erst diese Ziele liefern den Kontext dafür, was im Rahmen einer Digitalisierungsstrategie überhaupt erreicht werden soll.
- Die aufwendigste und kritischste Arbeit besteht darin, eine Analyse der User Journey durchzuführen, sprich: wie möchte der digitale Kunde die Interaktion mobil durchführen bzw. erledigen? Wo fängt er an, wo hört er auf, und mit welcher Komplexität möchte er arbeiten? Dafür müssen alle einzelnen Stufen der User Journey definiert werden, und auch alle Personen und Dimensionen oder Segmente, die relevant sind. Die Frage ist: Was sind die Erwartungen der Nutzer? Und wie werden wir ihnen gerecht?
- Dann muss man sich auf Metriken, Benchmarks und Datenpunkte für jeden einzelnen Abschnitt der User Journey verständigen. Nur so lässt sich ermitteln, welche Resultate als gut gelten dürfen und wo man später wirkliche Fortschritte erzielt hat.
- Anschließend arbeitet man mit Kunden und Front-Office-Mitarbeitern daran, unterschiedliche Designs und Mock-ups von Use Cases zu entwerfen. So erfährt man, was nötig ist, um der User Journey wirklich gerecht zu werden. Und so lässt sich einschätzen, welche internen Anforderungen an das Framework und die Technologie zu stellen sind, die solch eine Strategie unterstützen sollen.
- Abschließend gilt es dann, entsprechende Programme und Projekte zu definieren und zu initiieren. Dabei ist es gar nicht so wichtig, wo genau man beginnt – dies wird sich von Bank zu Bank unterscheiden. Solange man sich des strategischen und technologischen Rahmens bewusst ist, ist etwas anderes entscheidend: der Modus der Umsetzung. Das heißt: Es braucht Agilität, ein iteratives Vorgehen und ein Experiment mit definierten Rahmenbedingungen.
Aktuell kommt es einem vor, als würde die deutsche Finanzbranche im internationalen Wettbewerb immer weiter nach hinten durchgereicht. Täuscht der Eindruck?
Tatsächlich befinden wir uns in Deutschland in einem der umkämpftesten Märkte in Europa – mit 2.026 Banken ist er zugleich einer der größten. Als deutsche Regulierungsbehörde hat die BaFin viel unternommen, um den Konsumenten bzw. den Bankkunden zu schützen, und den Banken etliche Auflagen aufgebürdet. Aber die deutschen Banken sind mittlerweile gut aufgestellt, und in Stresstests der internationalen Behörden platzieren sie sich inzwischen mit guten bis sehr guten Noten. Die deutschen Bankkunden sind sehr kostenbewusst unterwegs, was Banken gerade in dieser Niedrigzinsphase vor Herausforderungen stellt. Daher rücken die Banken auch den Kunden als solches wieder in den Vordergrund – wenngleich sie im letzten Jahrzehnt genau diese Kunden gezielt ausgesteuert haben. Denken Sie beispielsweise an die aktuelle Werbekampagne der Commerzbank. Und auch technologisch bewegt sich in Deutschland einiges. Berlin etwa mausert sich zum Mekka der FinTech-Szene in Europa. Beispiele sind hier etwa N26 oder solarisBank. Die Banken in Deutschland lernen sehr schnell von und mit den FinTechs. Das ist etwas, was Bankkunden – und gerade die neue Generation von Bankkunden – durchaus honorieren.
Welche Technologien werden den Finanzsektor in den nächsten 5 Jahren besonders nachhaltig beeinflussen?
Hier sind vor allem die folgenden vier zu nennen:
- Analytics / AI Machine Learning
- Cloud / SaaS
- Open-Banking-Architekturen und -Technologien
- und schließlich auch Blockchain.
Wie gelingt es den Banken, das ideale Kundenerlebnis zu schaffen?
Hier sind die Prinzipien letztlich dieselben wie für eine erfolgreiche Digitalisierungsstrategie. Wenn man es auf eine vereinfachte Formel bringen möchte, dann können wir nicht länger den Kunden liefern, was wir glauben, dass sie brauchen – weil wir annehmen zu wissen, was das ist, und wir gleichzeitig sicher sind, dass wir es technisch realisieren können. Was wir stattdessen liefern müssen, ist genau das, was sich ein Kunde heute unter einer „einfachen“ Lösung vorstellt. Diese einfache Lösung macht sein tägliches Leben simpler und „more convenient“. Die technische Komplexität dahinter darf in keiner Weise mehr eine Einschränkung bedeuten.
Uwe Krakau ist Chief Market Officer Germany bei Avaloq, einem technologierorientierten Finanzdienstleister für Wealth Management, Universal- und Retailbanken.