Frau Fabritius, was ist Neuroleadership?
Das kann ich Ihnen kurz beantworten: Neuroleadership ist die Nutzbarmachung von Erkenntnissen der Hirnforschung für die Führung von Mitarbeitern. Ein entscheidender Erfolgsfaktor dabei ist es, die Erkenntnisse seriös zu interpretieren und dann ganz pragmatisch für den Führungsalltag zu übersetzen, so dass Führungskräfte das Wissen auch umsetzen und nutzen können.
Können Sie mir ein Beispiel geben?
Der Fokus liegt hier auf drei Themen: Peak Performance, Lernen und Verhaltensänderung, sowie Führung und Zusammenarbeit. In allen drei Bereichen nutze ich Erkenntnisse über das Gehirn, um Führungskräfte persönlich weiterzuentwickeln und ihnen dabei zu helfen, besser zu führen. Erstaunlich ist beispielsweise, dass das Gehirn sich auch im Alter sehr viel stärker verändern kann als früher angenommen. Diese Fähigkeit wird auch als „Neuroplastizität“ bezeichnet – und kann Führungskräften helfen, Informationen schneller zu verarbeiten und eingefahrene Gewohnheiten zu verändern. Mit Hilfe dieser Methoden lässt sich etwa innerhalb von sechs Monaten fließend eine neue Sprache erlernen.
Unternehmen versuchen mit allen Mitteln ein Arbeitsumfeld zu schaffen, welches die Mitarbeiter zu mehr Innovationen und Geistesblitzen befähigt. Gibt es solche Geistesblitze überhaupt?
Ja, die gibt es. Man kann dem Gehirn mithilfe bildgebender Verfahren regelrecht beim Auftreten dieser Geistesblitze zuschauen. Wir wissen, dass für rationalanalytische Problemlösung andere Gehirnareale und Bewusstseinszustände notwendig sind als für sogenannte Aha-Momente und kreative Problemlösungen.
Woher kommen diese Aha-Momente? Kann ich sie irgendwie „hervorkitzeln“?
Beim „hervorkitzeln“ spielt der Dopamin-Haushalt eine entscheidende Rolle. Dopamin steigert unsere Fähigkeit zu lernen und neue Ideen zu entwickeln. Da gibt es große Unterschiede zwischen Menschen. Wir sind nicht alle gleich innovativ. Studien zeigen, dass Enterpreneure und Menschen in kreativen Berufen meist ein sehr viel aktiveres Dopamin-System haben, als andere. Insofern gibt es auch genetisch bedingte Faktoren, die Kreativität begünstigen.
Das Dopamin-System lässt sich aber auch von außen beeinflussen. Die Forschung zeigt, dass sogenannte Aha-Momente insbesondere auftreten, wenn wir in einer positiven Grundstimmung sind. Insofern ist es sehr sinnvoll, Stress zu reduzieren durch ausreichend Schlaf, regelmäßigen Sport und die Schaffung eines positiven Arbeitsklimas. Wenn wir Spaß an der Arbeit haben, neugierig sind, neue Erfahrungen machen und uns mit positiven Menschen umgeben, wird Dopamin ausgeschüttet. Es kann sich für ein Unternehmen auch durchaus lohnen, humorvolle und gut gelaunte Führungskräfte einzustellen, wenn diese die Grundstimmung der Mitarbeiter positiv beeinflussen.
Ein Begriff, der nicht nur bei Google-Suchanfragen gerade durch die Decke geht ist Mindfulness, im Deutschen Achtsamkeit. Was ist damit gemeint?
Bei Achtsamkeit geht es darum zu lernen, im Hier und Jetzt zu sein. Mindfulness Based Stress Reduction MBSR ist eine mentale Trainings-Technik, die von Prof. Jon Kabat Zinn aus den USA entwickelt wurde und nachweislich unser Gehirn in acht Wochen komplett transformiert und leistungsfähiger macht.
Und was genau passiert da im Gehirn?
Achtsamkeitstraining hat Auswirkungen auf das gesamte Gehirn:
Zum Beispiel wird der präfrontale Kortex für rational-analytische Prozesse gestärkt. Das kommt unserem logischen Denken sowie unserer Fähigkeit zu planen und zu reflektieren, zugute.
Ein anderer Bereich des Gehirns, der sich nachweislich verändert, ist die sogenannte Insula. Die Insula verarbeitet unsere Körper-Empfindungen. Wir werden also sensibler für das, was in unserem Körper passiert. Das hat zum Beispiel die Implikation, dass man Krankheiten früher wahrnimmt und aktiv etwas dagegen tun kann. Unsere Sensibilität für die Aktivitäten in unserem Körper hängt aber auch mit unserer Intuition zusammen. Als Resultat ist es tatsächlich möglich, bessere intuitive Entscheidungen zu treffen. Und das hat mit Esoterik gar nichts zu tun, sondern ist wissenschaftlich belegt.
Auch die emotionalen und sozialen Netzwerke des Gehirns profitieren. Empathie und Kollaboration werden gestärkt.
MBSR-Training ist wirklich ein „Zaubermittel“ mit positiven Auswirkungen auf alle Aspekte des Denkens, Fühlen und Handelns. Sogar das Immunsystem wird gestärkt. Viele Führungskräfte, die ein Achtsamkeitstraining gemacht haben, berichten mir, wie positiv sich ihr Leben verändert hat.
Einen einfachen Tipp, den ich ab morgen umsetzen kann?
Die meisten Führungskräfte, mit denen ich zu tun habe, sind sehr eng getaktet und ständig auf Reisen. Zeit für ausreichend Schlaf, Sport und Erholung bleibt da nicht. Dadurch werden Stresshormone nicht abgebaut. Das führt zu vermehrter Cortisol Ausschüttung – und schädigt den präfrontalen Cortex, einen Hirnbereich, der etwa für Entscheidungen und rationale Informationsverarbeitung zuständig ist. Man kann wirklich sagen: Das Gehirn schrumpft, wenn wir Stress nicht abbauen.
Sport ist ein einfaches Mittel, um Cortisol aus dem Körper abzubauen und die Neurotransmitter in unserem Gehirn wieder in Balance zu bringen. Drei Mal zwanzig Minuten Sport pro Woche hat einen nachweisbar positiven Effekt auf unsere geistige Leistungsfähigkeit und unsere emotionale Stabilität.
Der Trick ist, ein Zeitfenster zu finden, an dem Sport möglich wird. Oft reicht eine sehr einfache Umstellung des Tagesplans, um diesen zu ermöglichen. Ich habe bisher noch keine Führungskraft getroffen, bei der wir keine Lösung finden konnten, um Sport in den Alltag zu integrieren.
Friederike Fabritius leitet die neue Seminarreihe „Neuroleadership Academy“.
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Friederike Fabritius
Neuropsychologin und Leadership Expertin
Friederike Fabritius ist Co-Autorin des Buchs “The leading brain” (Fabritius, F., Hagemann H.W., Random House, New York, Veröffentlichung im Februar 2017).
www.fabulous-brain.com
https://de.linkedin.com/in/friederikewiedemann/de
Das Interview führte Frederic Bleck, Projektleiter, EUROFORUM.
www.linkedin.com/in/frederic-bleck-a9b56849