von Dr. Andreas Liebl & Philipp Hartmann

Die meisten Firmen sind sich inzwischen bewusst, welche Möglichkeiten die Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) ihrem Unternehmen bietet und welche Bedeutung KI für die eigene Wettbewerbsfähigkeit hat. Entsprechend haben viele Firmen KI-Initiativen gestartet und angefangen, eine Vielzahl von KI-Projekten anzustoßen. Doch oftmals ist Ernüchterung eingekehrt – aus unterschiedlichsten Gründen: da werden Lösungen entwickelt, die keinen Wert schaff en, oder ein Mehrwert wäre da, die Mitarbeiter erhalten die nötigen Daten aber nicht, um die Anwendung zu trainieren oder in Betrieb zu nehmen.

In wieder anderen Unternehmen werden eine Vielzahl von Insellösungen entwickelt, die eine effiziente Skalierung von KI verhindern. Eine wesentliche Ursache für das Scheitern von KI-Projekten liegt oft in der fehlenden oder falschen Gestaltung des Rahmens, in dem die KI-Aktivitäten stattfinden. Um die richtigen Strukturen für den Einsatz von KI zu schaff en, gilt es, drei Grundsätze zu beachten:

1. Managen Sie KI-Lösungen als Produkt, nicht als Projekt.
2. Es braucht die richtige Balance zwischen zentraler Koordination und dezentraler Umsetzung.
3. Die KI-Aktivitäten brauchen eine starke Führungsperson sowie ein starkes Mandat des Vorstandes.

Managen Sie KI-Lösungen als Produkt, nicht als Projekt

KI und Machine Learning (ML)-Lösungen lassen sich nicht wie „klassische“ Projekte entwickeln und managen, sondern müssen vielmehr als Produkt behandelt werden. Die Ursache dafür liegt im Kern von maschinellem Lernen: Es ist inhärent experimentell. Die typischen Projektparameter wie das Erreichen eines bestimmten Ergebnisses in einem fi xen Zeitrahmen und innerhalb eines gegebenen Budgets können für KI-Anwendungen kaum vorher defi niert werden. Erst wenn ein Algorithmus auf echte Daten angewendet wird, lässt sich herausfi nden, ob und wie gut sich das zugrundeliegende Problem lösen lässt. Darüber hinaus sind ML-Lösungen nie „fertig“ entwickelt, sie erfordern eine kontinuierliche Wartung. Die Anwendung muss auch für neue Daten noch das richtige Ergebnis liefern, Modelle müssen neu trainiert und falsche Ergebnisse erkannt werden. Daher sollte die Entwicklung und Wartung von ML-Lösungen in Produktteams erfolgen. Diese Teams sind für die laufende Entwicklung des Produkts und seine vollständige Integration und Übernahme innerhalb der Organisation verantwortlich.

Schaffen Sie das richtige Gleichgewicht zwischen zentraler Koordination und dezentraler Verantwortung

Komplett von der Organisation entkoppeln lassen sich die Produktteams jedoch auch nicht, das wäre nicht effizient: KI-Talente sind schwer zu bekommen, Wissen entwickelt sich schnell weiter und die Skalierung von KI-Anwendungen erfordert den Einsatz standardisierter Tools. Entsprechend sollten gewisse Funktionen für die effi ziente Durchführung von KIProjekten zentral gebündelt werden. Insbesondere die Expertise für wesentliche KITechnologien, zum Beispiel für Bilderkennung oder NLP, sollte zentral gebündelt werden, um einen optimalen Austausch und Aufbau von Wissen zu ermöglichen. Auch die Auswahl der wesentlichen Tools und Frameworks sollte zentral erfolgen. Nur so ist sichergestellt, dass Anwendungen skalierbar sind und Entwickler sich austauschen können. Auch durch das zentrale Bereitstellen von Trainings- und Testdatensätzen lässt sich die Effizienz in ML-Projekten steigern – typischerweise ist das der arbeitsintensivste Teil in jedem ML-Projekt. Darüber hinaus ist die Koordination einer einheitlichen und unternehmensübergreifenden KI-Strategie einfacher mit einem zentralen Team umzusetzen.

„MLLösungen sind nie ‚fertig‘ entwickelt, sie erfordern eine kontinuierliche Wartung.“

Dabei gilt es wiederum darauf zu achten, dass sich das zentrale KI-Team nicht in den Elfenbeinturm der schönen Theorie zurückzieht und Lösungen entwickelt, die keinen konkreten Kunden- oder Geschäftsnutzen bieten. Verliert das zentrale Team die Anbindung an die Organisation, führt dies nicht nur zur Entwicklung von KI-Projekten, die kein Mehrwert schaffen, sondern oftmals auch zur Frustration unter den KI-Mitarbeitern. Entscheidend ist also das richtige Gleichgewicht zwischen zentraler Koordination und den dezentralen Aktivitäten: Anwendungsfälle sollten basierend auf konkreten Problemen oder Kundenanforderungen in den Geschäftsbereichen identifiziert werden, die Umsetzung jedoch durch ein zentrales Team oder zumindest mit dessen Unterstützung erfolgen. Ein Ansatz, der diesem Gleichgewicht gerecht wird und sich in vielen Unternehmen bewährt hat, ist ein hybrider: Hier bündelt ein zentrales KI-Team – oft als Center of Excellence (CoE) bezeichnet – bestimmte Funktionen und Fachkenntnisse und hält gleichzeitig eine enge Verbindung zu dezentralen Einheiten und dem Rest der Organisation. Der hybride Ansatz sorgt für Ausgewogenheit und fördert die Zusammenarbeit zwischen den zentralen Teams und den dezentralen Einheiten, beides Schlüsselfaktoren für die erfolgreiche Anwendung der KI.

KI-Aktivitäten brauchen eine starke Führungsperson sowie ein starkes Mandat des Vorstandes Die Entwicklung von KI-Lösungen erfordert die Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg und ein Scheitern eines gewissen Anteils von KI-Projekten ist – wie oben beschrieben – zwangsläufi g. Ein zentraler Erfolgsfaktor für KI-Aktivitäten ist dementsprechend eine starke Führungsperson wie auch ein starkes Mandat des Vorstands. Die Anforderungen an die „richtige“ Person zur Leitung der KI-Aktivitäten ist hoch: Sie sollte KI sowohl aus technischer Sicht verstehen als auch geschäftlich versiert sein. Sie muss in der Lage sein, andere davon zu überzeugen, Änderungen an Geschäftsmodellen, Prozessen und Produkten vorzunehmen und die eigenen Ressourcen und Prioritäten verteidigen. Schließlich muss diese Person ein ausgezeichneter Stratege sein, der in der Lage ist, die Komplexität aller KI-Aktivitäten innerhalb der Organisation zu managen. Doch genauso wichtig ist es, dass die KI-Aktivitäten die volle Unterstützung des Vorstandes haben. Dafür ist es jedoch erforderlich, dass auch Vorstandsmitglieder die Grundlagen der KI-Technologie verstehen und sich sowohl mit deren Potenzial als auch den Auswirkungen einer KI-Einführung im eigenen Unternehmen auseinandersetzen. Welches Vorstandsmitglied sollte nun mit dem KIThema betraut werden? Oftmals wird KI als „Technologie“ direkt dem CIO zugeordnet. Dieser Logik sollten Unternehmen nicht unbedingt folgen: Eine kürzliche veröffntlichte Studie (MITSloan/BCG 2019: “Winning with AI”) zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, Wert durch KI zu schaff en, doppelt so hoch ist, wenn die Verantwortung für die KI außerhalb der Abteilung des CIOs angesiedelt ist. In Organisationen, in denen sich die KI hauptsächlich auf Prozess- und Effi zienzverbesserungen konzentriert, sind besser der COO oder CFO für die KIGesamtstrategie verantwortlich. Wird die KI hingegen weitgehend zur Förderung von Produktinnovationen eingesetzt, kann der CTO oder CPO die geeignete Stelle sein. Wenn der Einsatz von KI jedoch Teil einer großen und umfassenden digitalen Transformation ist, kann der CEO oder ein CDO die richtige Führungskraft sein, um die Initiative zu leiten. Unabhängig davon, an welcher Stelle KI letztendlich federführend vorangetrieben wird – wir empfehlen allen Management-Teams, sich immer wieder mit dem Potenzial von KI auseinanderzusetzen und sich kontinuierlich abzustimmen. Insellösungen machen selten Sinn, KI hat das Potenzial, Unternehmen in ihrer Gesamtheit zu verändern.

Dr. Andreas Liebl (lks.) ist Geschäftsführer der UnternehmerTUM GmbH und unter anderem für die appliedAI-Initiative zuständig. Die Initiative zählt in Europa zu den größten im Bereich angewandter Künstlicher Intelligenz und beantwortet die organisatorischen, technologischen und strategischen Fragen von Unternehmen in der Anwendung von KI.

Philipp Hartmann (re.) ist Director of AI Strategy bei appliedAI. Vorher war er vier Jahr bei McKinsey & Company als Strategieberater tätig und hat an der Technischen Universität München zu Wettbewerbsfaktoren beim Einsatz von künstlicher Intelligenz promoviert.